Souverän in der Ecke

Nach dem Abbruch der Camp-David-Verhandlungen ist Yassir Arafat so populär wie selten zuvor. Sein Spielraum bleibt aber begrenzt.

So stürmisch wie nach seiner Rückkehr aus Camp David ist Yassir Arafat schon seit Jahren nicht mehr empfangen worden. Seine Weigerung, in Camp David den palästinensischen Anspruch auf völlige Souveränität über Ost-Jerusalem aufzugeben, wurde ihm sowohl von seinen Anhängern als auch von der islamischen Hamas-Bewegung hoch angerechnet. Ausdrückliches Lob erhielt der Palästinenserpräsident sogar von deren Führer Scheich Yassin. Doch auf einen Burgfrieden mit den Islamisten scheint die Entwicklung nicht hinauszulaufen; das prominente Hamas-Mitglied Abdel-Aziz Rantisse wurde festgenommen, unter anderem weil er zu einem »heiligen Krieg gegen Israel« aufgerufen hatte.

Offensichtlich liegt es im Interesse der palästinensischen Autonomiebehörde, weiter auf eine Verhandlungslösung zu setzen und dabei die breite Unterstützung auszunutzen, die Arafat nach Camp David in allen Bereichen der Gesellschaft genießt. Hier wird seine mutige Entscheidung begrüßt, die zeige, dass die palästinensische Führung auch nach dem Abkommen von Oslo 1993 sehr wohl in der Lage sei, sich dem Willen Israels zu widersetzen.

Den bisherigen Verlauf des Friedensprozesses empfand eine wachsende Zahl von Palästinensern als Kapitulation und als Ausverkauf ihrer Interessen. Keiner zentralen Forderung hätten die Israelis bisher stattgegeben: weder dem Rückzug aus allen besetzten Gebieten, noch der Freilassung aller Gefangenen noch dem »Recht auf Rückkehr«. Arafat wurde vorgeworfen, bisher in allen Punkten nachgegeben zu haben, obwohl sich die Palästinenser auf eine Fülle von UN-Resolutionen berufen können.

Erst sein »Nein« in Camp David brachte ihm den dringend benötigten Popularitätsschub. Palästinensische Medien feierten ihn als nationalen Helden und Wiedergänger Salah eh-Dins, der die Kreuzfahrer geschlagen hatte. Sein Justizminister Freih Abu Meddein brachte diese Stimmung auf den Punkt, indem er Arafat als einen der »letzten historischen Führer« pries, »der den Amerikanern in einer Zeit 'Nein' gesagt hat, in der sich das sonst weltweit niemand traut«.

Eine breite Unterstützung hat Arafat auch nötig, machen ihn doch sowohl US-Amerikaner als auch die israelische Regierung für den Abbruch der Verhandlungen verantwortlich. Sollte seine unnachgiebige Haltung den ganzen Friedensprozess zum Scheitern bringen, muss die Palästinensische Nationalbehörde als Konsequenz mit internationaler Isolation und erheblichen finanziellen Einbußen rechnen.

In einem spektakulären Interview stellte US-Präsident William Clinton im israelischen Fernsehen klar, dass die USA, sollte im September einseitig ein palästinensischer Staat ausgerufen werden, zu harten Maßnahmen greifen würden: Hilfsgelder in Höhe von 400 Millionen US-Dollar könnten gestrichen, die US-Botschaft könnte von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden. Zugleich signalisierten die USA aber auch, dass sie weiterhin auf eine gütliche Lösung hoffen und dass Arafat die Ausführungen Clintons als innenpolitische Unterstützung des schwer angeschlagenen Barak zu verstehen habe.

Von dessen politischem Überleben ist auch eine Fortführung des Friedensprozesses abhängig. Das weiß auch die palästinensische Führung. Schließlich habe man sich, gab ein hoher Berater Arafats bekannt, in fast allen Punkten geeinigt; lediglich der Streit, wer die Souveränität über Ost-Jerusalem und die islamischen Heiligtümer auf dem Tempelberg in Zukunft ausüben werde, habe den Gipfel kollabieren lassen. Jenseits dieser Frage, erklärte Planungsminister Nabil Shaath der Presse, hätten beide Seiten sogar ihr gegenseitiges Verständnis in den vergangenen Wochen bedeutend vertieft.

Entsprechend liegt es auch im augenblicklichen Interesse der palästinensischen Führung, jedwede Gewalt gegen israelische Soldaten oder Siedler und damit eine Wiederkehr Intifada-ähnlicher Aufstände zu vermeiden. Lediglich ein paar Steine flogen denn auch in Gaza, ansonsten sorgten die palästinensischen Sicherheitskräfte überall für Ruhe.

Die palästinensische Führung betont ihren Willen, weiter zu verhandeln; angestrebt werde ein zweites Gipfeltreffen möglichst noch im August. Bereits wenige Tage nach dem Ende von Camp David trafen sich die beiden Unterhändler Oded Eran und Saeb Erekat zu Routineverhandlungen. Mit diesem Treffen sollte zugleich demonstriert werden, dass man weiterhin konstruktiv an einer Verhandlungslösung arbeiten will.

Die Palästinenser stehen nach Camp David unter enormem Zeitdruck. Sie wissen, dass ein Abkommen nur unter US-Ägide vermittelt werden kann, Clintons Amtszeit aber läuft aus. Und ob sich sein Nachfolger ähnlich intensiv um den Nahostfrieden kümmern wird, ist fraglich. Ohne US-Zustimmung und israelische Duldung einen Staat auszurufen, wäre ein äußerst riskantes Unterfangen. Schon deshalb scheint Arafat bereit zu sein, den Termin für die Ausrufung des Staates einmal mehr zu verschieben - möglich sei jetzt ein Termin im November, heißt es aus palästinensischen Kreisen.

Wie allerdings eine Verhandlungslösung auf einem zweiten Gipfel aussehen könnte, ist weiterhin unklar. »Auf jeden Fall muss es sich am Ende um einen wirklichen Staat Palästina, nicht nur um Worte in einem Vertrag, handeln«, meint Jalal al-Husseini, Berater der PLO für Flüchtlingsfragen. »Und es muss klar sein, dass Arafat einen Fuß in Jerusalem, der palästinensichen Hauptstadt, haben wird.«

Die Israelis werden aber, soweit abzusehen ist, keine weiteren Zugeständnisse in der Jerusalem-Frage machen. Barak ist nach den innenpolitischen Niederlagen der letzen Woche so geschwächt, dass nun seine Zukunft unter anderem von der Frage abhängt, inwieweit die Palästinenser bei dem Streitpunkt Jerusalem bereit sind, Kompromisse einzugehen.

Ob aber die Popularität, die Arafat sein »Nein« in Palästina und der arabischen Welt eingebracht hat, ausreicht, zu einem späteren Zeitpunkt schmerzhafte Konzessionen auch öffentlich - vor allem gegen die Hamas und die Flüchtlingsvertreter - durchzusetzen, ist fraglich. Sein Handlungsspielraum jedenfalls bleibt eingeschränkt. Und vor allem über die Zukunft Jerusalems können, wie Thomas L. Friedman in der New York Times feststellte, die Palästinenser nicht mehr alleine entscheiden. Bei den Verhandlungen um die drittheiligste Stadt des Islam hat sich Arafat erfolgreich als Sprecher der ganzen islamischen Welt präsentiert.

Aber auch eine Tour durch die arabische Welt, bei der er in den vergangenen Tagen mit arabischen Staatschefs die zukünftige Linie des Friedensprozesses diskutierte, blieb bislang ohne konkrete Ergebnisse. Lediglich der jordanische König Abdullah forderte die Palästinenser auf, das israelisch-amerikanische Angebot einer Doppelsouveränität anzunehmen. Die Staatschefs Ägyptens und Saudi Arabiens hielten sich auffällig zurück und gaben lediglich unverbindliche Statements ab.