BMW verkauft Rover

Phoenix ohne Asche

Für zehn britische Pfund hat BMW den maroden Rover-Konzern verkauft und noch 500 Millionen dazugegeben. Wie es weitergeht, wenn das Geld aufgebraucht ist, weiß keiner.

Groß wie ein Adler, mit purpurfarbenem und goldenem Gefieder und wohlklingendem Gesang entsteigt der Phoenix den Flammen. Den alten Ägyptern galt der Vogel als Symbol der Unsterblichkeit: Bescheiden war das Konsortium von mittelenglischen Geschäftsleuten nicht, als es vor zwei Monaten auf der Suche nach einem Firmennamen in die Mythologie-Kiste griff. Dabei sollte nur zum Ausdruck gebracht werden, wie der Zusammenschluss unter Führung des einstigen Rover-Chefs John Towers sich selbst sah: als Retter der britischen Auto-Industrie, auferstanden aus den Flammen des transnationalen Kapitalismus.

So ging es denn auch nicht ohne nationales Brimborium ab, als Towers vergangene Woche die triumphale Neuheit verkündete, er habe soeben zum Preis von zehn britischen Pfund die Rover-Automobilfabrik

im mittelenglischen Longbridge mitsamt 60 000 unverkauften Autos erstanden. Das nationalistische Credo formulierte in einer Debatte des britischen Unterhauses der Labour-Abgeordnete Ian Pearson: »British jobs depend on British people buying British cars.« Dafür, dass er diese Maxime umgesetzt hat, wurde Towers von den Gewerkschaften, der Presse und Politikern aller drei großen Parteien gefeiert.

Fachleute aus der Automobilbranche sind weniger euphorisch: Sie glauben nicht, dass der Konzern auf einem Markt bestehen kann, auf dem Rover als einziger größerer britischer Personenwagen-Hersteller einen Anteil von nur noch sieben Prozent hat. Der derzeitige Höhenflug des Pfunds, der Importe nach Großbritannien immens verbilligt, Exporte im Ausland aber unerschwinglich macht, tut ein Übriges: Um den Rover im Ausland konkurrenzfähig zu halten, musste BMW zuletzt Rabatte gewähren, die dazu führten, dass der Wagen noch nicht einmal die Kosten der Herstellung einbrachte.

Solange dieses Kursverhältnis anhält (und Großbritannien nicht der Euro-Zone beitritt), bleibt Towers tatsächlich nichts anderes übrig, als auf die inländischen Käufer zu setzen. Und dabei könnte ihm zumindest kurzfristig die momentane nationale Mobilisierung helfen: Nach der BMW-Ankündigung, Rover verkaufen zu wollen, wurden im April in Großbritannien doppelt so viele Rover verkauft wie im März.

Womöglich könnte es der neuen Konzernspitze bei dieser Gelegenheit sogar gelingen, das schnarchige Image abzustreifen, das bislang für den Rover das größte Geschäftshindernis auf der Insel war. Er gilt als typisches Auto für Männer in grauen Anzügen, für Bankangestellte und Beamte. Kein anderes Auto hat in Großbritannien solche Image-Probleme wie der Rover, und nirgends hat der Rover solche Probleme wie ausgerechnet im Land seiner Herstellung. Dass aus demselben Haus auch die schicken MG-Sportwagen stammen sowie die Land-Rover-Geländeautos und der Mini, die Ikone des Swinging London, hat daran nichts geändert. Den Mini will BMW jetzt behalten, Land Rover soll an Ford verkauft werden.

Viel Zeit bleibt Towers nicht, um die Marke Rover, die derzeit Verluste von drei Millionen Euro am Tag einfährt, neu zu definieren und in die Gewinnzone zu führen: Innerhalb der nächsten beiden Jahre erhält er von BMW einen Kredit von 850 Millionen Euro. Schon 2003 könnte Rover bereits wieder pleite sein. Darüber, ob das Darlehen jemals zurückgezahlt werden muss, erhält man übrigens durchaus unterschiedliche Antworten, je nachdem, ob man bei Phoenix anfragt oder bei BMW. Künftige Konflikte zwischen der Münchener Konzern-Zentrale und ihrer einstigen Tochter sind bereits programmiert.

Auf die Frage, ob sich BMW mit dem Rover-Deal etwas Gutes getan hat, hat die Börse nach anfänglicher Verwirrung eine eindeutige Antwort gefunden: Von Mittwoch auf Donnerstag letzter Woche stieg die BMW-Aktie in Frankfurt um 3,6 Prozent und durchbrach damit ihr bisheriges Jahreshoch. Stirnrunzelnd sehen die Analysten das Darlehen an Phoenix. Doch selbst wenn das Geld verloren sein sollte, wäre das immer noch ein wesentlich geringerer Verlust als das, was die britische BMW-Tochter in den vergangenen Jahren eingefahren hat: Allein in den letzten beiden Jahren hat Rover Verluste von 2,2 Milliarden Euro gemacht, insgesamt hat der Konzern fünf bis sechs Milliarden Euro investiert, seit er 1994 die britische Firma aufkaufte.

Wie Towers seine Ankündigung umsetzen will, Rover binnen zwei Jahren wieder in die Gewinnzone zu bringen, bleibt das Geheimnis des Phoenix-Chefs. Denn Missmanagement konnte selbst die britische Boulevardpresse BMW nicht vorwerfen. In der britischen Financial Times bezweifelt Garel Rhys, ein auf die Auto-Industrie spezialisierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Cardiff, dass angesichts der zunehmenden Konzentration in der Branche Unternehmen von der Größe Rovers und auch BMWs überhaupt noch eine Chance haben. Mit der Übernahme sei auch der Versuch von BMW gescheitert, sich auf dem internationalen Markt für in hoher Stückzahl produzierte Autos festzusetzen. Danach gilt BMW jetzt trotz steigender Aktienkurse selber wieder als Übernahmekandidat.

Was für BMW gilt, gilt für Rover erst recht. Die Experten sind sich einig, dass ein Hersteller mit dem von Towers anvisierten Ausstoß von 200 000 Autos jährlich auf dem Markt dauerhaft nicht wird bestehen können. Also machte sich der Phoenix-Chef noch vor Abschluss der Verkaufsverhandlungen auf die Suche nach einem potenten Geschäftspartner. Doch der frühere Rover-Partner Honda, bei dem er zuerst anfragte, ließ schleunigst alle Meldungen dementieren, man stehe in Verhandlungen: So etwas kann Gift für die Aktienkurse sein.

Nun muss Towers bei den Bossen der internationalen Automobilkonzerne hausieren gehen. Seinem Image als Retter der britischen Auto-Industrie wird das nicht unbedingt gut tun. Wenn er keinen Erfolg hat, dann könnte es sein, dass die 8 000 Rover-Arbeiter aus Longbridge bald wieder auf die Straße gehen - diesmal, um gegen John Towers zu demonstrieren.

Der ägyptische Mythos vom Phoenix ist übrigens eine unendliche Geschichte: Wenn seine Zeit abgelaufen ist, fliegt der sterbende Vogel nach Heliopolis, um in den Flammen, die ihn geboren haben, wieder zu vergehen. Bis dahin gingen in sagenhafter Zeit mindestens fünfhundert Jahre ins Land. So lange wird es heute wohl nicht mehr dauern.