Alkohol-EU-Standard in Schweden

Tequila für Elche

Schweden muss die Alkohol-Einfuhren dem EU-Standard anpassen - zur Freude seiner norwegischen Nachbarn.

Wie Skandinavier mit Alkohol umgehen, das weiß jeder, der jemals im Sommer irgendwo im europäischen Süden eine Disko besucht hat. Dort bleiben am Ende grundsätzlich Schweden oder Norweger in der Ecke liegen, die sich mit Tequila und Rum aus dem Leben geschossen haben.

Weniger bekannt ist hingegen, dass Skandinavier so etwas auch zu Hause tun. Vor dem abendlichen Ausgang in irgendeine Gaststätte, in der ein normales Glas Bier umgerechnet 20 Mark kostet, neigen auch ansonsten seriöse Menschen dazu, sich »aufzuwärmen«. So nennt man den Vorgang, der darin besteht, zu Hause mindestens ein Saftglas mit Schnaps zu füllen und in möglichst wenigen Zügen auszutrinken.

Eine andere Trinkkultur ist wohl auch kaum möglich in Ländern, in denen Sekt, Wein, Likör und Schnaps nur in staatlich kontrollierten Läden (schwedisch: Systembolaget, norwegisch: Vinmonopol) zu - im europäischen Vergleich - unglaublich hohen Preisen verkauft werden dürfen. Alkohol zu trinken gilt in den beiden protestantischen Ländern als etwas zutiefst Verdammenswertes. Was zuerst da war, der sinnlos betrunkene Skandinavier oder der staatlich reglementierte Alkoholverkauf, ist heute jedoch kaum noch herauszufinden.

Die Alkohol-Shops dienten jedenfalls immer auch der sozialen Kontrolle - teilweise erhalten die Kunden Registrierungskarten, auf denen jeder Einkauf vermerkt wurde. Wer nach Meinung des Personals schon zu viel Wein oder Schnaps konsumiert hatte, für den war eben manchmal schon Mitte des Monats Schluss mit lustig. Ohne Einspruchmöglichkeit - eine Beschwerde-Instanz gab es nicht.

Woher aber kommt dieses tiefe Misstrauen gegenüber den eigenen Einwohnern? Handelt es sich um eine manische Kontroll-Besessenheit oder um wirkliche Sorge? Die Gründe sind umstritten. Eine mögliche Erklärung für die traditionell restriktive Trinkpolitik lautet, dass man es sich früher in den kargen bergigen Ländern mit den wenigen Anbauflächen nicht leisten konnte, das für die Ernährung wichtige Getreide für die Alkoholproduktion zu verschwenden. Andere sehen die langen, dunklen Winter und die daraus verbundenen Depressionen als historischen Grund, das Trinken zu verteufeln.

Der mittlerweile so gut eingependelte Modus vivendi zwischen Skandinavien und dem übrigen Europa - während des Sommers fallen die nordländischen Trinker im Ausland um, in den restlichen Jahreszeiten gehen sie nur den Leuten daheim auf die Nerven - droht nun aus dem Gleichgewicht zu geraten. Denn die EU verlangt vom Mitgliedsland Schweden, bis zum 1. Juli 2000 die Alkohol-Einfuhrquote drastisch zu erhöhen. Damit soll endlich die Einfuhrregelung in den EU-Ländern angeglichen werden. Statt bisher fünf Litern Wein sollen 90, statt 15 Litern Bier 110, statt einem Liter Schnaps nunmehr zehn eingeführt werden dürfen. Dies gilt auch für schwedische Bürger, die nur eine kurze Tour in ein anderes EU-Land, beispielsweise Dänemark, unternehmen.

»In Brüssel hat man sehr wenig Verständnis für die skandinavische Extra-Tour«, erklärten schwedische Zeitungen ihren Lesern den aus Sicht der Enthaltsamkeits-Anhänger nun bald eintretenden Super-Gau. Die hohen Preise der staatlichen Systembolagets würden sich damit nicht halten können. Jetzt versucht Schweden, eine Übergangsregelung durchzusetzen, nach der wenigstens bis 2006 alles beim Alten bleibt. Was durchaus im Interesse des Nachbarn Norwegen liegen müsste. Bei dessen letzter erfolgloser Volksabstimmung über den EU-Beitritt hatten sich dort schon seltsame Alkohol-Allianzen ergeben - die christliche Afholds-Bewegung der strengen Anti-Alkoholiker sah sich damals in einer Reihe mit Verkäufern von Schwarzgebranntem, die ihre Geschäftsgrundlage schwinden sahen.

Trotzdem blieb das neutrale Norwegen von den Einflüssen der Union nicht verschont. Das vor 20 Jahren für das Jahr 2000 angepeilte offizielle Ziel, aus dem kleinen Staat ein tabakfreies Land zu machen und den Alkoholverbrauch pro Einwohner um 25 Prozent zu senken, konnte definitiv nicht erreicht werden.

1980 hatte jeder Norweger über 15 Jahre insgesamt 5,98 Liter hundertprozentigen Alkohol konsumiert - eine Zahl, die 1997 gerade mal um 0,63 Liter unterschritten worden war. Ein Grund zur Freude war dieses Ergebnis für die Freunde der Volksgesundheit daher nicht: Ausdrücklich mussten sie eingestehen, dass bei diesem Ergebnis weder der Konsum des »Hjemmebrennt« (Schwarzgebrannter) noch der Schmuggel-Schnaps oder der im Ausland erworbene Alkohol berücksichtigt worden war.

Besonders die jenseits der Grenze erworbenen Getränke machen den norwegischen Offiziellen derzeit Sorgen. Im Ausland erworben bedeutet meist schlicht »in Schweden gekauft«, und der Grenzverkehr mit dem ironisch »süßen Bruder« genannten Nachbarland lässt sich schon längst nicht mehr kontrollieren. Denn zwei Drittel aller Einwohner leben weniger als eine Tagesreise von Schweden entfernt. Und dort sind in den letzten Jahren die Preise wegen der EU-Zugehörigkeit enorm gesunken.

Rasch wurden z.B. im schwedischen Urlaubsort Strømstad, nahe der norwegischen Grenze, riesige Supermärkte erbaut, in denen sogar transportable Miet-Tiefkühltruhen offeriert werden. Unzählige norwegische Senioren wurden daraufhin von ihren Familien wieder entdeckt und zu Ausflügen über die Grenze mitgenommen, denn am Zoll zählt bei der Alkoholkontrolle jeder Kfz-Insasse über 18 Jahre.

Die angedrohten neuen Alkohol-Quoten könnten den Opas und Omas nun sogar noch mehr Auslauf verschaffen. Zwar prognostizierte die norwegische Tageszeitung Dagbladet, dass in absehbarer Zeit auch die Alkohol-Preise im eigenen Land nachgeben werden müssen, aber billiger wird die EU-Shopping-Tour bis dahin allemal sein.

Im schwedischen Strømstad baut man jedenfalls schon mal das »größte Systembolaget« des Landes. Das wird mit den bisher üblichen »Lagets«, in denen man der stets ein wenig herablassenden Bedienung seine vorher auf einer vorgedruckten Liste angekreuzten Alk-Präferenzen preisgeben muss, nur noch sehr wenig zu tun haben: Selbstbedienung soll dort ebenso üblich sein wie der Verkauf von Alkohol am Samstag.