Ein Rechtsstaat ohne Rechtsanwälte

Die türkische Regierung versucht nach der Verhaftung von Öcalan, ihr Kurden-Problem auch politisch zu beseitigen

"Wenn unsere Staatssicherheitsgerichte dem europäischen Recht nicht entsprechen, dann entsprechen sie ihm eben nicht", verkündete der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel vergangene Woche während einer Pressekonferenz und wies darauf hin, daß die Türkei schließlich ein Rechtsstaat sei.

Ganz anderer Ansicht sind die Anwälte von Abdullah Öcalan, die letzten Freitag ihr Mandat niederlegten. "Wir werden die Verteidigung Abdullah Öcalans nicht übernehmen. Wir werden mit dem Tode bedroht. Wir sind in Lebensgefahr", erklärte Anwalt Zeki Okcuoglu. Sein Kollege Osman Baydemir kam nicht einmal mehr dazu, sich der Erklärung anzuschließen. Er wurde auf dem Weg zur Pressekonferenz festgenommen.

Seit der Festnahme von PKK-Führer Öcalan wird in Ankara kraftvoll auf den Tisch gehauen. Die nationale Stimmung ist prächtig: Der ungeliebte Nachbar Griechenland hat sich blamiert, die PKK hat sich durch die gewaltvollen Demonstrationen in Europa ihre Sympathien verspielt und der bis zum ersten Besuch von zwei Anwälten am Freitag von jeder Öffentlichkeit isolierte Apo ist ein ideales Medium für staatliche Propaganda.

Nach den Bildern vom narkotisierten Apo im Flugzeug, der erzählte, er liebe die Türken, titelten die regierungsnahen Zeitungen Sabah, Hürriyet und Milliyet, "Apo werde während der Vernehmung von Weinkrämpfen geschüttelt" und wolle die Guerilla per Video zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes auffordern. Als man merkte, daß sich das schlecht mit dem Image vom grausamen Terroristenführers vereinbaren ließ, berichteten dieselben Zeitungen nun, daß Öcalan ruhig und kaltblütig für seine Greueltaten die Verantwortung übernehme. Die Nachricht von Öcalans angegriffenem Gesundheitszustand ließ die Anhänger in Europa aufhorchen: Vorbereitungen für ein Attentat? Doch da ein Check-up in Italien beweist, daß Öcalan gesund wie ein Fisch sein muß, erzählten die Zeitungen, daß die türkischen Militärärzte Apos Gesundheitszustand stabilisiert hätten.

Tatsächlich wäre ein plötzlicher Herzschlag des PKK-Chefs das, was sich Ankara zur Zeit am meisten wünschen sollte, denn der Showprozeß wird mehr Aufmerksamkeit auf das Land und seine kurdische Bevölkerung ziehen, als der türkischen Regierung und vor allem dem Generalstab lieb sein kann. Eine Gruppe ausländischer Journalisten wurde vergangene Woche nicht einmal erlaubt, das südostanatolische Diyarbakir zu betreten.

Das zeigt bereits an, daß die Türkei ausländischen Beobachtern - sei es für den Prozeß von Öcalan oder die Wahlen am 18. April - nur eine zensierte Wirklichkeit zugänglich machen will. Derweil halten die regierungsnahen monopolistischen Medien die Propagandamaschine in Gang. Zuerst standen die Mütter gefallener Soldaten im Mittelpunkt, dann waren im Kampf mit der PKK verstümmelte Soldaten aus dem Militärkrankenhaus Gatta an der Reihe. Die Türkei versucht alles, um eine Thematisierung der Kurden-Frage neben der Öcalan-Affäre zu verhindern. Während des Prozesses wird die Regierung daher vermutlich versuchen, alle Organisationen, die sich politisch mit der Kurdenfrage beschäftigen, als PKK-nah zu "entlarven".

Vergangenen Dienstag wurde nach den ersten Vernehmungen gegen Öcalan Anklage wegen Hochverrats erhoben. Darauf steht in der Türkei die Todesstrafe, die seit fünfzehn Jahren nicht mehr vollzogen, per Parlamentsabstimmung aber zur Vollstreckung gebracht werden kann. Am Mittwoch setzte eine Kammer des Staatssicherheitsgerichts in Ankara ihr seit 1997 laufendes Verfahren gegen Öcalan fort. Es war die erste Sitzung des aus zwei Zivil- und einem Militärrichter bestehenden Gremiums seit Öcalans Festnahme. Aus Justizkreisen hieß es, das Verfahren werde die Grundlage für den am 24. April beginnenden Hauptprozeß bilden. Dieser werde aber mit großer Wahrscheinlichkeit auf der Gefängnisinsel Imrali in der Nähe von Istanbul stattfinden, wo Öcalan inhaftiert ist.

Am Wochenende filmten Fernsehteams ein großes Frachtschiff vor dem Eiland. Es transportierte den Käfig aus Panzerglas, der aus Sicherheitsgründen im Gerichtssaal für Öcalan installiert werden wird. Damit soll ein Attentat verhindert werden, gleichzeitig wird Öcalan - über Mikrofon - nur mit Richtern, Staatsanwälten und Anwälten kommunizieren können.

Die Öcalan-Affäre ist zur Zeit ein wichtiger Trumpf für Ministerpräsident Bülent Ecevit und sein Minderheitskabinett. Ecevit, der sich vom engagierten sozialdemokratischen und anti-amerikanischen Ministerpräsidenten der siebziger Jahre zu einem voll die Militärs unterstützenden Ultranationalisten entwikkelte, ist natürlicherweise der Wunschkandidat des Generalstabs. Er wird auch sicherlich viele der Stimmen aus dem Lager der beiden konservativen Parteien von Mesut Yilmaz und Tansu Çiller für sich gewinnen. Nur die Kurden und die Islamisten werden Ecevit auf keinen Fall unterstützen, und so werden bereits die nötigen Vorkehrungen getroffen.

Der Oberste Staatsanwalt der Türkei, Vural Savas, beantragte am Freitag, daß die prokurdische Demokratiepartei des Volkes (Hadep) nicht zu den Wahlen zugelassen wird. Ein Verfahren mit dem Ziel, die Partei zu verbieten, hatte er rechtzeitig vor den allgemeinen und lokalen Wahlen Ende April eröffnet. Es besteht jedoch die Möglichkeit, daß dieser Prozeß nicht pünktlich mit dem Verbot der Hadep abgeschlossen wird.

Gelänge es der Partei, die Zehn-Prozent-Hürde zu nehmen, würden ihre Abgeordneten für die Dauer der Legislaturperiode parlamentarische Immunität genießen. Wie man am Beispiel des Vorgängers Demokratiepartei und auch der islamistischen Wohlfahrtspartei sehen konnte, schützt auch dies nicht vor Parteiverbot und Strafverfolgung, doch die Prozedur ist sehr viel langwieriger.

Savas behauptet in seinem Antrag, Hadep sei der politische Arm der PKK und bedrohe die kurdische Dorfbevölkerung damit, ihre Dörfer zu verbrennen, falls sie ihre Stimme einer anderen Partei gäben. Die psychologische Kriegsführung basiert auf dem Prinzip, dem Feind das in die Schuhe zu schieben, was man selber tut.

Seit Jahren wird international gegen die türkische Entvölkerungspolitik des Südostens und die Praxis, die in Gefechtsgebieten liegenden kurdischen Dörfer zu räumen und niederzubrennen, protestiert. Westlichen Geheimdiensten und Regierungen ist seit langem bekannt, daß der türkische Staat einen Teil des bislang 100 Milliarden Dollar teuren Krieges aus Duldung und Förderung des Drogenhandels verdient und die türkische Kontraguerilla neben der Geldbeschaffung auch politische Morde und Sabotageakte verübt.

Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des deutschen Innenministers Otto Schily, sein Amt werde überprüfen, ob abgeschobene Kurden möglicherweise in der Türkei zum Tode verurteilt oder gefoltert werden könnten, vorläufig der beste Witz des Jahres.