Altfälle werden keine Neubürger

Abgelehnte Asylbewerber müssen auch unter Rot-Grün weiter auf einen sicheren Rechtsstatus warten. Wegen der Kurden-Proteste strichen die Innenminister das Thema kurzerhand

Einen Tag vor der Sonderkonferenz der Innenminister am vergangenen Donnerstag stand das Thema noch ganz oben auf der Tagesordnung: die rot-grüne Vereinbarung über eine Altfallregelung für Flüchtlinge. Doch dann ka-men die Kurden-Proteste. Den Ministern war es danach wichtiger, über die Verschärfung des Straf- und Ausländerrechtes zu diskutieren - gegen die kurzfristige Änderung der Tagesordnung protestierte keiner.

Eigentlich sollte es auf der Innenministerkonferenz um die Altfallregelung für abgelehnte Asylbewerber gehen, die seit Jahren mit ungeklärtem Status in Deutschland leben: Ein Aufenthaltsrecht haben sie nicht, und in ihre Herkunftsländer können sie aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden. Die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnisgrünen sieht deshalb ein humanitäres Bleiberecht für seit langen Jahren hier lebende abgelehnte Asylbewerber vor - auf flüchtlingspolitischem Gebiet der einzige Punkt, bei dem die Grünen sich in den Koalitionsverhandlungen hatten durchsetzen können.

Wer genau von der Altfallregelung profitieren sollte, stand nicht in der Regierungsvereinbarung. Dort hieß es nur, daß eine solche Regelung einmalig zu-stande kommen sollte. Was wohl der Grund war, warum auch die Grünen das Thema letzte Woche noch nicht verabschieden wollte: Denn schlechter als nach der Hessenwahl und den Kurdenprotesten kann das Klima für ihre Forderung nach einem humanitären Um-gang mit Flüchtlingen kaum noch werden. Doch viele der nach offiziellen Angaben 525 000 abgelehnten Asylbewerber warten auf das Bleiberecht, und die Innenministerkonferenz kommt erst wieder im Juni zusammen.

Die Konzepte, die seit November von einer Arbeitsgruppe des Bundesinnenministeriums und der Innenministerien von Sachsen, Hessen, Bayern und Rheinland-Pfalz hinter verschlossenen Türen diskutiert werden, lassen nichts Gutes ahnen. Nach weitgehend übereinstimmenden Informationen, die dem sachsen-anhaltinischen Landtagsabgeordneten Matthias Gärtner (PDS) sowie den Flüchtlingsräten Berlin und Rheinland-Pfalz vorliegen, sollen abgelehnte Asylbewerber ohne Kinder, die seit An-fang 1990 in der Bundesrepublik leben, sowie abgelehnte Asylbewerber mit Kindern, die vor Mitte 1993 eingereist sind, ein Bleiberecht erhalten.

Versehen mit zahlreichen Einschränkungen: Voraussetzung für ein Bleiberecht ist demnach, daß die Flüchtlinge nicht oder nur geringfügig straffällig ge-worden sind, daß sie ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht durch "unnütze" Rechtsmittel und Asylfolgeanträge in die Länge gezogen und daß sie innerhalb kürzester Zeit eine Arbeitsstelle gefunden haben.

Von der Bleiberechtsregelung ganz ausgeschlossen werden sollen bosnische und jugoslawische Staatsbürger. Die CDU- und CSU-regierten Länder wollen darüber hinaus auch Vietnamesen pauschal aus der Regelung ausnehmen, und im Moment sieht es aus, als könnten sie sich damit durchsetzen.

Unter den seit Jahren hier lebenden abgelehnten Asylbewerbern sind jedoch gerade diese drei Gruppen die größten. Der Grund dafür ist, daß ihre Herkunftsländer sie selbst dann nur zögerlich oder gar nicht zurücknehmen, wenn die Bundesrepublik sie abschieben will. "Der Ausschluß dieser Gruppen", so Gärtner, "wird damit begründet, daß mit den jeweiligen Staaten Rückübernahmeabkommen existieren. Man wolle nicht in zwischenstaatliches Recht eingreifen."

Ein vorgeschobenes Argument, denn kaum ein Vertrag der deutschen Diplomatie wird so schlecht umgesetzt wie dieses Abkommen. Von den bis Ende 1998 mit Vietnam vereinbarten 20 000 Rückkehrern nahm die vietnamesische Regierung nur 5 800 tatsächlich auf. Bei 8 300 Menschen lehnte Hanoi die Rückübernahme ab, weil sie nicht als vietnamesische Staatsbürger akzeptiert wurden.

Ein humanitäres Bleiberecht macht wenig Sinn, wenn es ausgerechnet die Leute ausschließt, die keinerlei Rückkehr-Perspektive haben. Und auch das Argument von der angeblich besonders hohen Kriminalität dieser Bevölkerungsgruppen zieht nicht: Gerade das Beispiel der Vietnamesen zeigt, daß eine Aufenthaltsperspektive entkriminalisierend wirken kann. Als sich die Innenminister 1993 zu einem humanitären Bleiberecht für ehemalige Vertragsarbeitnehmer durchgerungen hatten, zogen die sich aus dem illegalen Zigarettenhandel zurück. Ihre Verkaufsplätze nahmen allerdings ihre Landsleute ein, die nunmehr als abgelehnte Asylbewerber perspektivlos waren.

Andreas Günzler vom Arbeitskreis Ausländerrecht der Berliner Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte geht da-von aus, daß die beabsichtigte Bleiberechtsregelung noch aus einem anderen Grund ein Riesenflop wird: weil die Hürden für die Arbeitssuche zu hoch sind. Nach dem 1997 novellierten Arbeitsrecht erhalten Ausländer, die erstmals in der Bundesrepublik arbeiten, nur dann eine Arbeitserlaubnis, wenn sich die Bezahlung an den üblichen Tarifen orientiert. Für Leute, die seit Jahren per Gesetz zum Nichtstun verdammt waren, ist es utopisch, eine solche Stelle zu finden. Günzler glaubt, daß von einer Altfallregelung mit den beabsichtigten Ausschlußgründen fast keiner der Mandanten seiner Kollegen profitieren würde. Auch Flüchtlinge aus Afghanistan, Algerien und vielen schwarzafrikanischen Staaten, denen bei einer Abschiebung Folter und Tod drohen, erhielten dann kein Bleiberecht.

Bereits 1996 hatten die Innenminister eine Altfallregelung für abgelehnte Asylbewerber mit ähnlichen Stichtagen für die Einreise beschlossen. 7 856 Flüchtlinge kamen damals in die Gunst dieser Regelung. Eine weit größere Zahl jedoch scheiterte an der Auflage, binnen kürzester Zeit Arbeit zu finden. Damals - unter der schwarz-gelben Bundesregierung - gab es jedoch mehrere Ausschlußkriterien nicht, die jetzt diskutiert werden: so etwa den pauschalen Ausschluß von Bosniern und Vietnamesen sowie von Flüchtlingen, die lediglich einen Billig-Job finden.

Thorsten Koch vom Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz, selbst Juso, fordert deshalb von den SPD-regierten Ländern, keinen Scheinkompromiß mit den Unions-Ländern einzugehen. Die CDU habe in mehreren Positionspapieren eine Altfallregelung für unnütz erklärt. Sie werde in den Verhandlungen Positionen vertreten, die lediglich den Schein einer Regelung wahren, in Wirklichkeit aber fast allen Flüchtlingen ein humanitäres Bleiberecht vorenthalten. Nur bei einem Scheitern des angeblichen Kompromisses würde das Thema erneut im Koalitionsausschuß in Bonn landen, so Koch.