Abbas Maroufi

»Dieser Alptraum hat wohl nie ein Ende«

Der iranische Schriftsteller und Journalist Abbas Maroufi ist Herausgeber der seit 1996 im Iran verbotenen Kulturzeitschrift Gardun ("Himmelsrad"). Gardun versteht sich vor allem als Sprachrohr exil-iranischer Dichter und Publizisten. Mit seinen Romanen und politischen Essays zählt Maroufi wie Faradj Sarkuhi und Hushang Golshiri zu der jüngeren verfolgten exiliranischen Schriftstellergeneration. Im Januar 1996 wurde er wegen regimekritischer Äußerungen zu 20 Peitschenhieben und einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt, die Redaktion von Gardun wurde geschlossen. Noch im selben Jahr gelang ihm die Flucht nach Deutschland. Als Herausgeber der Zeitung Gardun waren Sie im Iran von jahrelangen Zensurmaßnahmen und Schikanen betroffen.

Seit unserer ersten Ausgabe 1990 hatten wir große Schwierigkeiten mit der Hizbollah. Es gab ständig anonyme Drohungen, Bespitzelungen und Überfälle gegen die Redaktion. Viermal stand ich als Angeklagter vor Gericht. Noch bevor ich 1991 zum letzten Mal zu einer Gerichtsverhandlung erschien, hatte der Richter bereits das Urteil gegen mich gefällt. Die vier Geschworenen waren alle Bazaris und gehörten den Fedayan-e Islam an, einer Organisation, die man heute für die Morde an regimekritischen Autoren und Journalisten verantwortlich macht.

Acht renommierte persische Dichter und Schriftsteller, darunter auch mein Freund Hushang Golshiri, haben daraufhin Bittgesuche an das Gericht geschrieben, die Auspeitschungen und die Gefängnisstrafe zu teilen. 1996 konnte ich dann mit Hilfe der deutschen Botschaft und Human Rights Watch den Iran verlassen.

Spielen regimekritische Zeitungen wie Gardun im heutigen Iran überhaupt eine Rolle?

Um die Rolle der iranischen Presse zu verstehen, muß man sich mit der Geschichte des Landes auseinandersetzen: Nach der iranischen Revolution im Jahre 1979 wurden die politischen Parteien eine nach der anderen demontiert und ausgelöscht. Das Regime spielte viele linke Gruppierungen gegeneinander aus und instrumentalisierte sie, um größere oppositionelle Zusammenhänge zu zerschlagen.

Danach hatten Pasdaran und Hizbollah während des achtjährigen Krieges gegen den Irak wegen des herrschenden Ausnahmezustandes die Möglichkeit, sich zu organisieren und ihre Machtposition zu festigen. In dieser Zeit verstärkten die Pasdaran die Geheimpolizei und durchdrangen alle gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche. Als nach dem ersten Golfkrieg der heutige Präsident Mohammad Khatami Kulturminister wurde, versuchte er, den Spielraum für die iranische Presse zu erweitern. So bekam auch ich eine Genehmigung für meine Zeitschrift.

Aber war Khatami, damaliger Minister für Kultur und islamische Führung, nicht maßgeblich an der Islamisierung von Kultur, Medien und Bildung sowie an der Niederschlagung der säkularen Opposition beteiligt?

Das Problem der iranischen Medien ist nicht so sehr Khatami, sondern die grundsätzliche Frage der Pressefreiheit. Schriftsteller und Journalisten müssen ihren eigenen Weg gehen - und zwar unabhängig vom gegenwärtigen Grabenkrieg zwischen Konservativen und sogenannten Reformern.

Tatsache ist, daß unter Khatami als Kulturminister ab 1990 zahlreiche neue Publikationen entstanden sind. Ihre Aufgabe bestand darin, das entstandene Parteienvakuum zu füllen. Schriftsteller und Journalisten nehmen dadurch einerseits ihre berufliche Funktion und andererseits eine Verantwortung als politische Partei wahr. Sie versuchen, Bewegung in die iranische Gesellschaft zu bringen. Ihre momentane Einflußnahme ist daher nicht zu unterschätzen. Aus diesem Grund schenkt das Regime dieser Zeitungsopposition heute sehr große Beachtung. Wenn politische Parteien im Iran aktiv wären, dann hätte ich auch nicht soviele politische Artikel in meiner Zeitschrift zu veröffentlichen brauchen.

In den deutschen Medien wurde das Eingeständnis des als Informationsministerium bezeichneten iranischen Geheimdienstes, an der Mordserie gegen oppositionelle Schriftsteller und Journalisten im vergangenen Jahr beteiligt gewesen zu sein, als "Punktsieg" Khatamis im Kampf gegen den vom religiösen Führer Ali Khamenei dominierten konservativen Justizapparat gewertet.

Es ist doch klar, daß die deutsche Presse zum größten Teil von den offiziellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Iran bestimmt wird. Die Regierung will ihre guten Beziehungen zum Iran aufrecht erhalten. Erinnern wir uns nur daran, daß auch der Vorgänger Khatamis, Rafsanjani, von den deutschen Medien als liberal eingestuft wurde. Khatami geht mit seiner Politik immer einen Schritt vor und zwei wieder zurück. Mit dieser Taktik kommt man natürlich keineswegs vorwärts.

Also alles andere als ein "Punktsieg"?

Selbst wenn man von einem Etappensieg sprechen könnte, bedeutet das für uns Schriftsteller noch lange keinen Erfolg. Der einzige positive Nebeneffekt dieses Ereignisses war, daß durch die Morde der Vorhang des Schweigens endgültig zerrissen wurde: Die Zeitungen konnten über die Hintergründe relativ frei berichten, den Kampf gegen das Informationsministerium offen führen. Die Enthüllungen haben dem Image der Konservativen sehr geschadet. Zum ersten Mal in der zwanzigjährigen Geschichte der Islamischen Republik mußte das Regime seine direkte Beteiligung an Morden gegen Oppositionspolitiker eingestehen und dies selbst öffentlich verurteilen. Es stellt sich für mich allerdings die Frage, welchen Preis wir Schriftsteller dafür bezahlt haben. Das Problem ist ja nicht nur, daß oppositionelle Schriftsteller im Auftrag des Regimes umgebracht werden, sondern daß die fundamentalistische Bewegung wieder stärker wird. Erst Ende Januar haben diese Kräfte einen Anschlag auf eine Zeitungsredaktion verübt - diesmal auf die Tageszeitung Khordad. Dieser Alptraum wird für uns Journalisten und Schriftsteller wohl nie zu Ende gehen.

Sie teilen demnach nicht die Auffassung Bahman Nirumands, das ideologisch-politische System des Welayat-e Faqih ("Die Herrschaft der Rechtsgelehrten") werde sich angesichts des gesellschaftlichen Wandels und des fortschreitenden Modernisierungsprozesses im Iran auf kurz oder lang nicht mehr halten können?

So wie ich Khatami einschätze, wird er zwar nicht der strikten ideologischen Linie des Welayat-e Faqih folgen. Andererseits heißt das noch lange nicht, daß damit das totalitäre Regime im Iran insgesamt am Ende ist. Solange das Land von der Europäischen Union massiv unterstützt wird, wäre ich da keinesfalls so optimistisch wie Nirumand.

Haben regimekritische Journalisten und Schriftsteller denn dann überhaupt eine Möglichkeit, der Entwicklung im Iran entgegenzusteuern?

Oberstes Ziel ist nach wie vor die Gründung eines unabhängigen Schriftstellerverbandes, wie er in der "Erklärung der 134" gefordert wird. Da die Aufgabe und Verantwortung der politischen Parteien schwer auf uns lastet, müssen wir eine Konföderation mehrerer Gruppen und Vereine aufbauen, damit wir uns künftig verstärkt unserem Berufe widmen können.

Aber es gibt doch Kräfte, die das gar nicht gern sehen werden.

Natürlich wird das Regime über verschiedene Berufszweige versuchen, einzelne Organisationen dieses dezentralen Zusammenschlusses zu infiltrieren. Dies wird ihnen aber auf höherer Verbandsebene kaum gelingen, wenn die iranischen Schriftsteller und Journalisten unabhängig von den politischen Rivalen innerhalb der Führung des Landes bleiben. Aber wenn uns Khatami mehr Spielraum ermöglicht, sollten wir diesen auf jeden Fall für uns nutzen.