Nur 48 Stunden

In Algerien hat der Journalistenverband SNJ zum Generalstreik aller Zeitungen aufgerufen

Zuerst waren es nur zwei, dann vier, später sieben. Und seit Mitte vergangener Woche hat sich nun auch der Journalistenverband Syndicat National des Journalistes (SNJ) mit einem Aufruf zum Generalstreik bei allen Zeitungen eingeschaltet: Die seit Wochen andauernde Auseinandersetzung algerischer Zeitungsjournalisten mit regierungseigenen Druckereien droht zu eskalieren.

Bereits Mitte Oktober waren insgesamt sieben unabhängige Zeitungen in einen unbefristeten Streik getreten, nachdem sich die staatlichen Druckereien geweigert hatten, die unabhängigen Tageszeitungen Le Matin, El Watan, La Tribune und Le Soir d'Algérie zu drukken. Offizielle Begründung: Die jeweiligen Verleger hätten ihre Druckkosten aus den Jahren 1996/97 nicht gezahlt. Binnen 48 Stunden sollten nun die gesamten Schulden beglichen werden, Ratenzahlungen wurden strikt abgelehnt.

Die plötzliche Aufforderung zur Rückzahlung kommt nicht von ungefähr: Präsident Liamine Zéroual hatte im September seinen Rücktritt angekündigt und vorgezogene Neuwahlen für Februar nächsten Jahres in Aussicht gestellt, am vergangenen Wochenende jedoch den Wahltermin wieder verschoben. Der schon länger währende Kampf verschiedener Cliquen in Algerien verwandelte sich in eine Auseinandersetzung um die Nachfolge Zérouals. Innerhalb der Militärführung wird dabei die vermeintliche Schuldenfrage als Vorwand benutzt, um die unabhängigen Medien Algeriens mundtot zu machen.

"Es war klar, daß es sich dabei um eine politische Maßnahme handelt, die praktisch einem Verbot gleichkommt. Aber um sich nicht der Kritik auszusetzen, Pressezensur zu üben, ist das ökonomische Argument herangezogen worden", erklärt die Algeria Watch-Aktivistin Selima Mellah.

Unbekannt dürfte Algeriens Zeitungsmachern das Vorgehen der Regierung nicht sein: Bereits 1996 hatte sich das Militär der gleichen Methode bedient, um der regimekritischen Wochenzeitung La Nation einen Maulkorb zu verpassen. Die aktuellen staatlichen Repressalien stehen in engem Zusammenhang mit Enthüllungen der Zeitungen von Korruptionsfällen und Ämtermißbrauch in der Führungsspitze der Armee. Seit Juli berichten vor allem El Watan und Le Matin ausführlich über die illegalen Machenschaften von Präsidentenberater Mohammad Betchine und Justizminister Mohammad Adami im Fall des algerischen Journalisten Ali Bensaad.

Der in Hamburg lebende linke Publizist war Anfang Juli von einem Gericht im ostalgerischen Constantine wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer islamischen Terrororganisation in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden (Jungle World, Nr. 31/98). Bensaad vermutet hinter dem Willkürurteil einen persönlichen Rachefeldzug des ehemaligen Geheimdienstchefs Betchine. Auf einer Wahlveranstaltung im September 1995 hatte Bensaad den Ex-Geheimdienstchef kritisiert: Betchine habe in Constantine von den Medien über die Wirtschaftsaktivitäten bis hin zur lokalen Fußballmannschaft alles unter seine Kontrolle gebracht und regiere die Stadt nach Art der Mafia.

Nach der Urteilsverkündung hatten sich Algeriens unabhhängige Zeitungsredakteure mit Bensaad solidarisiert. Sein Fall sorgte aber auch in europäischen Medien für Schlagzeilen. Und das Medienereignis Bensaad verfehlte nicht seine Wirkung: Anfang Oktober wurde das Verfahren gegen ihn ausgesetzt und das Todesurteil zurückgenommen.

"Der ganze Prozeß gegen mich war völlig kafkaesk. Bis heute weiß ich nicht, auf welcher juristischen Grundlage das Urteil ausgesprochen und wieder zurückgenommen wurde", beschwerte sich der geschaßte Journalist vor knapp zwei Wochen. Er vermutet, daß die Regierung derzeit versuche, möglichst schnell und ungeschoren aus der Affäre herauszukommen, um die Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung nicht gänzlich zu verspielen. Denn vor zwei Wochen hatten der "Fall Bensaad" sowie die Korruptionsvorwürfe bereits Präsidentenberater Betchine und Justizminister Adami zum Rücktritt veranlaßt. Adami war außerdem von unabhängigen Medien einer Vergewaltigung beschuldigt und für den Tod von 32 Gefangenen verantwortlich gemacht worden.

Daß in Algerien seit dem vergangenen Sommer überhaupt relativ frei über den Machtmißbrauch ranghoher Regierungsvertreter berichtet werden kann, mutet auf ersten Blick ungewöhnlich an. Die Machthaber in Algier haben die inländische Presse fest im Griff. Der Staat verfügt über ein Druckereimonopol, regelt den Papierimport und kontrolliert die Werbeeinnahmen sowie den Internet-Zugang der Redaktionen. Nachrichtensperren und Pressezensur sind ohnehin gang und gäbe.

Die nichtstaatliche Presse Algeriens hat sich jedoch in Zeiten innenpolitischer Grabenkriege stets einen relativen politischen Freiraum erobern können. Nach Einschätzung Bensaads haben die unabhängigen Zeitungen in der gegenwärtig instabilen politischen Situation eine reelle Chance, ihren Streik auf dem Rücken der Regierung erfolgreich auszutragen. Der Streit im Lager der Offiziere habe den Medien schließlich die Möglichkeit eröffnet, politische Mißstände anmahnen und öffentliche Debatten führen zu können.

Mittlerweile gilt als offenes Geheimnis, daß die rivalisierenden Offiziersclans ihre Machtkämpfe stellvertretend über die Medien austragen. In diese Informationspolitik werden auch private Zeitungen miteinbezogen. So könnte die Instrumentalisierung der unabhängigen Presse in dem seit diesem Sommer eskalierenden Konflikt zwischen dem Clan von Präsident Liamine Zéroual und dem des Oberbefehlshabers der Armee, Mohammad Lamarie, eine Rolle gespielt haben.

Die Pressekampagne, die sich gegen Betchine, Adami und im Grunde auch gegen Zéroual richtete, paßte zumindest ins politische Kalkül der Präsidentengegner innerhalb der militärischen Führungsriege. Kommentatoren der unabhängigen Presse gehen davon aus, daß Betchine bereits im Sommer des vergangenen Jahres auf den Widerstand Lamaries stieß: Er hatte versucht, seinen Einfluß innerhalb der Regierungspartei RND zu vergrößern. Und mit Unterstützung des Generals und Geheimdienstchefs Mohammad Medienne scheint Lamarie nun auf einen sanften Putsch hinzuarbeiten. Zumal mit dem Rücktritt Betchines und Adamis das Regierungslager weiter geschwächt worden zu sein scheint, ohne daß gleichzeitig ein neues und eindeutiges Machtzentrum entstanden wäre.