Intrigen, Affären, Mauern

In Tschechien wird am Wochenende ein neues Parlament gewählt. Egal wer gewinnt, Verlierer werden die Roma sein

Zwar ist er häufig bettlägerig, an seiner Wortgewalt scheinen aber die vielen Krankheiten des Vaclav Havel nichts zu ändern. Vor den am 19. Juni in Tschechien stattfindenden Parlaments-Neuwahlen setzte sich der Staatspräsident wieder einmal in die Nesseln. Er sei sich nicht sicher, ob der Chef der tschechischen Sozialdemokraten (CSSD), Milos Zeman, nach den Wahlen der nächste Premier der Tschechischen Republik sein werde, ätzte Havel Ende Mai in Richtung des Favoriten für den Posten des Regierungschefs.

Angesichts der bisherigen Meinungsumfragen scheint der Zweckpessimismus Havels jedoch schlecht begründet: Zemans CSSD führte monatelang mit knapp 30 Prozent deutlich das Feld der sich zur Wahl stellenden Parteien an. Mit großem Abstand folgte die Freiheitsunion (US) des früheren Innenministers Jan Ruml vor der ehemals regierenden Bürgerlich-Demokratischen Partei (ODS) von Ex-Premier Vaclav Klaus.

Doch die Umfragen sollten Milos Zeman nicht nicht leichtsinnig machen. Denn das Problem, eine regierungsfähige Koalition zu bilden, läßt schon vor der Wahl Politik-Experten und Parteifunktionäre spekulieren. Die von Zeman favorisierte Koalition mit der bürgergerlichen Volkspartei (KDU-CSL) von Josef Lux hat den Haken, daß sie im 200köpfigen Parlament nach aktuellen Umfragen nur 91 Sitze erhalten würde. Eine große Koalition zwischen CSSD, US und ODS wiederum würde zwar eine satte Mehrheit garantieren, stößt aber bei Zeman auf wenig Gegenliebe. Aber vielleicht bleibt dem Chef der Sozialdemokraten nichts anderes übrig, denn nach dem derzeitigen Stimmungsbarometer können nur diese drei Parteien mit dem Einzug ins Parlament rechnen. Alle anderen müssen bangen, überhaupt die nötigen fünf Prozent zu erreichen.

Doch die konfusen Zahlenspielereien der verschiedenen Demoskopen und Parteiapparate kurz vor den Wahlen sind nur ein Spiegelbild des chaotischen Zustands der politischen Verhältnisse in der Tschechischen Republik. Seitdem der Langzeit-Premier Vaclav Klaus im Herbst vergangenen Jahres wegen seines unkomplizierten Verhältnisses zu Korruption, Vetternwirtschaft und Intrigen einige seiner engsten Vertrauten zurücksetzen mußte, scheint das starre politische System der Klaus-Ära implodiert. Nach dem Rücktritt von Klaus schließlich übten sich sämtliche Mächte in der Kunst der Abrechnung mit dem politischen Gegner, neue und ungeahnte Koalitionen, Kooperationen und Antipathien zwischen den handelnden Personen traten zutage.

Dieses Spiel um die politische Macht wird von drei Personen besonders gut beherrscht: Von Vaclav Klaus, Jan Ruml und Vaclav Havel. Ersterer war in den letzten Monaten vor allem bestrebt, die politische Arbeit des Übergangspremiers Josef Tosovsky zu torpedieren. Entsprechend versagt ihm die ODS im Parlament seit Monaten die Unterstützung. Realpolitisch wird Klaus dabei Mühe haben, sein Vorgehen zu rechtfertigen: Tosovsky trat das Amt des Premiers mit der Absicht an, das von Korruption und Ämterklüngel geprägte parlamentarische System zu entwirren und Wirtschaftsreformen einzuleiten oder weiterzuführen.

Doch vergeblich. Die eingesessenen Apparatschiks unter der Leitung von Vaclav Klaus machten dem Interims-Premier die politische Arbeit schwer. Schon einen Monat nach seinem Amtsantritt im Januar dieses Jahres wollte Tosovsky - vom Intrigenspiel schwer beleidigt - erstmals das Handtuch werfen. Einen Verbündeten im etablierten Parteienspektrum fand er lediglich im Parteichef der KDU-CSL, Josef Lux. Der unterstützte Tosovskys Vorhaben im Prager Parlament beinahe bedingungslos, doch brachte dieses Bündnis Tosovsky nicht weiter. Im Gegenteil: Vaclav Klaus zählte bereits seit seinem Rücktritt zu den erbittertsten Gegnern von Lux und wurde durch dessen Anbiederung an den neuen Premier erst richtig angespornt, die Arbeit der Regierung zu torpedieren.

Als eindeutiger Sieger aus diesen Feindseligkeiten geht Vaclav Havel hervor. Der legendär prinzipienfeste ehemalige Bürgerrechtler schaffte es in den vergangenen Monaten bravourös, sich durch die Untiefen des politischen Spektrums zu lavieren. Regelmäßig schlug er sich im richtigen Moment auf die Seite der Macht: Im Dezember 1997 stieg er von seinem Präsidentensessel in die Niederungen der Tagespolitik herab und katapultierte Vaclav Klaus durch gewandte Moralpredigten an die Nation ins politische Aus. Offensichtlich war bereits vorher, daß der ehemalige Bürgerrechtler Havel mit dem Revolutionsverweigerer und Bankmanager Klaus nur wenig anfangen konnte. Doch solange die Macht auf ihrer Seite war, entfesselte der doppelte Vaclav erstaunliche Synergie-Effekte. Was auch immer Klaus den Tschechen als Heilslösung verkaufen wollte, Havel sorgte für die notwendige moralische Verkleidung.

Doch als die Korruptionsaffären um Klaus aufzufliegen begannen, sah Havel seine Chance, sich des unsympathischen Premiers zu entledigen.

Auch die Ansetzung des relativ frühen Neuwahltermins am 19. Juni durch Havel ist als Schlag gegen Klaus zu werten. Dessen ODS konnte sich in den wenigen Monaten kaum vom Desaster des Vorjahres erholen - entsprechend schlecht sehen zur Zeit die Umfrage-Ergebnisse für die Partei aus: Nur elf Prozent der Befragten wollen die ehemalige Regierungspartei wählen.

Für den Chef der rechtsextremen Republikaner, Miroslav Sladek, waren diese Verhältnisse eine Voraussetzung zur Erlangung größerer Aufmerksamkeit. Auch wenn er das gar nicht nötig hat: Wenn in Tschechien ein Thema populistisch diskutiert wird, so ist es die weitverbreitete Ablehnung der Roma-Minderheit. Und da ist Sladek Experte, mit - wenn auch verhaltener - Rückendeckung der anderen Parteien.

Aktualität erhielt die rassistische Diskussion über die Roma bereits im vergangenen Jahr durch einen Bericht des tschechischen Privat-Senders Nova. Der Sender strahlte eine Dokumentation über das Leben einer (in Tschechien geborenen) Roma-Familie in Kanada aus. Darauf packte viele in Tschechien permanenter Diskriminierung ausgesetzte Roma der Wunsch, ebenfalls das Land zu verlassen. Allein sechs von zehn Roma aus der Kleinstadt Ostrava wollten nach Kanada fliehen, was von Mitgliedern einiger politischer Parteien der liberalen und rechten Mitte öffentlich begrüßt wurde. Die Bürgermeisterin eines Stadtteils von Ostrava, Liana Janakova, erklärte, den ausreisewilligen Roma zwei Drittel des Flugpreises bezahlen zu wollen. Der ODS-Senator und Bürgermeister des vierten Prager Bezirks, Zdenek Klausner, wollte Roma-Familien seines Stadtteils in "Ghettos" außerhalb der Stadt verbannen. Und der ehemalige Arbeitsminister Jindrich Vodicka (ODS) glaubte gar "verrückt werden" zu müssen, wenn er "als einziger Weißer mit Roma-Familien" "in einem Wohnblock wohnen" müßte.

Selbst der damalige Minderheitenbeauftragte der tschechischen Regierung, Pavel Bratinka, wußte mit den Roma wenig anzufangen. Er verurteilte die Exodus-Unterstützung der Politiker mit dem Hinweis, "wir sollten unsere Probleme nicht anderen Staaten aufhalsen".

Doch auch nach dem Regierungswechsel von Klaus zu Tosovsky ist die Dikriminierung der Roma ungebrochen: Ende Mai verkündeten die Stadtoberen der tschechischen Städte Usti und Pilsen, jeweils eine Mauer bauen zu wollen, um Siedlungen, in denen überwiegend Tschechen leben, von Siedlungen zu trennen, in denen überwiegend Roma leben.

Miroslav Sladek geht das noch nicht weit genug. Vor wenigen Wochen regte er an, die Strafmündigkeit von Roma von 14 auf null Jahre zu senken. Begründung: "Es ist schon ein Verbrechen, daß die überhaupt geboren werden."