Auf nach Meppen

Die Mythen über Borussia Mönchengladbach können nicht verschleiern, daß am Niederrhein nichts los ist

Ganz in Weiß, mit einem Blumenstrauß, so sah sie in meinen schönsten Träumen aus, die Mönchengladbacher Borussia, die, so glauben ihre Fans, eine ganz große Tradition hat, und die, so behaupten es die Statistiken, sogar schon fünfmal Deutscher Fußballmeister war, dreimal Pokalsieger, zweimal Uefacup-Gewinner. Weil sich das fast alles in den siebziger Jahren abgespielt hat und um zu zeigen, daß der von Fans, Fernsehreportern und anderen ähnlich Fachkundigen "Fohlen" gerufene Club vom Niederrhein wirklich Tradition besitzt, teilen die Statistiken mit, daß die im Jahr 1900 gegründete Borussia 1920 Westmeister war.

Ganz weiß ist das Trikot der Gladbacher Borussia, seit sie unter Trainer Hennes Weisweiler in die erste Bundesliga aufgestiegen sind. Vorher war es schwarz, seit geraumer Zeit ist es oft wieder schwarz, aber die Erinnerung an die Erfolge der Borussia sind weiß.

Außer dem Erfolg als Westmeister im Jahr 1920, aber da spielte Günter Netzer noch nicht mit, zumindest erwähnen ihn die Statistiken nicht, aber heute, das ist amtlich, spielt er ja auch nicht mit, womit wir beim Thema wären: Borussia Mönchengladbach steckt in der Krise, befindet sich in der Abstiegsregion, und ihr könnte das passieren, was man ihrem Mitaufsteiger aus dem Jahr 1965, dem FC Bayern München, an den Hals wünscht: die Reise nach Meppen oder nach St. Pauli.

Der Club befindet sich im Abstiegskampf, hat vor wenigen Monaten erst mit Norbert Meier einen neuen Trainer verpflichtet, dem man nur nachsagen kann, daß er den Verein nicht viel kostet, von dem aber niemand behauptet, er sei der erforderliche Feuerwehrmann, der die Abstiegsgefahr bannen könnte. Und weil dem Vorstand, allen voran dem Manager Rolf Rüßmann, gegenwärtig dämmert, daß Meier zwar billig ist - er war Amateurtrainer -, aber nicht unbedingt den Erfolg garantieren kann, hockt Norbert Meier, der Ex-Nationalspieler, der so sanft ausschaut und sich, seit er Cheftrainer ist, so hart gibt, nicht mehr sicher auf seinem Stuhl. Vielleicht hat man ihn ja, wenn diese Jungle World erscheint, auch schon von seinen Pflichten entbunden.

Über Borussia Mönchengladbach gibt es allerlei Mythen, was vielleicht daran liegt, daß der Club vom Niederrhein kommt, wo außer dem Freiluftmuseum Xanten nicht so viel passiert, und man sich sein bißchen Beitrag zur Weltkultur gerade dann schön redet, wenn es nicht mehr so läuft wie früher. "In den siebziger Jahren war eigentlich jeder Anhänger von Borussia Mönchengladbach", notierte zum Beispiel der bis auf seine Borussenliebe durchaus seriöse Sportjournalist Holger Jenrich 1993 in der taz, und fügte hinzu: "Und wer's nicht war und zu den Bayern hielt, war irgendwie gestört." Alles zu lesen in einem Text, der sich "eigentlich", um in der Terminologie zu bleiben, mit dem legendären Pokalfinale 1973 zwischen der Borussia und dem 1. FC Köln beschäftigte, woraus doch wohl zu folgern ist, daß es mindestens drei wichtige Clubs in jener Zeit in diesem Land gegeben hat.

Noch höhere Weihen erhält Borussia Mönchengladbach von dem Feuilletonisten Helmut Böttiger, der eine Günter Netzer-Biographie vorgelegt hat, die aus dem lauffaulen Spielmacher einen Rebell am Ball macht, einen fußballerischen Ausdruck einer revolutionären Epoche. Als ob man nicht schon damals "Wir brauchen keinen Netzer, wir brauchen keinen Held, wir haben Erwin Kremers, den besten Mann von Welt" gerufen hätte. Aber die Revolution blieb ja irgendwie auch aus.

Ganz weiß war auch ein Papier, bevor Borussias Regisseur Stefan Effenberg, mit einem Fünf-Millionen-Jahresgehalt einer, der das Mannschaftsgefüge arg strapaziert, ohne immer die Leistung zu bringen, die Manager Rüßmann, Trainer Meier und auch die verbliebenen Fans gerne sähen, bevor dieser Stefan Effenberg also einen Offenen Brief aufsetzte: "Wir sind uns der Situation absolut bewußt", dichtete er, "wir sind sensibilisiert für die Gefahren", Meppen, St. Pauli also, die drohen, "wenn wir nicht sehr schnell die Wende einleiten".

Nun ist das Papier nicht mehr weiß, "Wir" im Brief von Stefan Effenberg, ist wahrscheinlich der Pluralis majestatis, denn wenn Stefan Effenberg von der Mannschaft redet, dann wählt er als amtierender Kapitän lieber die dritte Person. Als vor elf Wochen Norbert Meier Nachfolger des glücklosen Hannes Bongartz wurde, da sagte Stefan Effenberg: "Die Mannschaft ist schon zufrieden mit dem Trainerwechsel."