Mehr Beinfreiheit

Gefährliche Orte VIII: Die Kulturbrauerei wird zum Vergnügungspark. Ab 1999 lauert dort auch ein Multiplex-Kino

In Berlin wird viel gebaut, damit es eines Tages gemütlicher wird in der neuen Hauptstadt. Vorbei sein sollen nicht nur die Zeiten der unangenehmen Großbaustellen, auch zugige Kinos mit schepperndem Sound werden bald keine Chance mehr haben. Mit Multiplexen in allen Stadtteilen sollen die Berliner in das Kino-Paradies des 21. Jahrhunderts gelockt werden. Dort wartet ein geräumiger Sessel mit viel Beinraum, und Dolby-Surround-Systeme wollen die vom S-Bahn-Kreischen gefolterten Ohren in die digitale Oase laden.

In der sowohl von Touristen als auch Einheimischen allzeit gern frequentierten Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg wird fleißig an einem solchen Ort des Schmauses für die Sinne gebastelt. Das Areal der ehemaligen Produktionsstätte für Schultheiß-Bier, insgesamt 25 190 Quadratmeter groß, wird seit 1990 von der Berlin-Brandenburger Niederlassung der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) verwaltet. Mehrmals sind Versuche, Teilgebiete des zu rund 80 Prozent noch brachliegenden Geländes zu privatisieren, gescheitert. Nun will die TLG - auch zur Image-Pflege - als Investor auftreten und einen 24-Stunden-Betrieb auf die Beine bringen. Bis 1999 wird die Sanierung der Kulturbrauerei abgeschlossen sein. Neben Lebensmittelläden und Büro-Neubauten soll vor allem ein Multiplex-Kino noch mehr Leben in die ehemalige Bierfabrik bringen. Den nördlichen Teil der Kulturbrauerei, die einstige Bierflaschen-Abteilung, hat sich der amerikanische Major-Konzern Warner als Standort für ihr "Arthouse-Kino" ausgesucht. Auf 5 000 Quadratmetern entstehen derzeit acht Säle mit insgesamt 1 900 Sitzplätzen. "Warner will kein Massenprogramm, sondern vor allem themenbezogene Filme zu Kongressen und Austellungen anbieten", weiß Sabine Pentrop, Pressesprecherin der TLG. Neben Kinder- und Ferienprogrammen mit "Malwettbewerben" sind "anspruchsvolle Veranstaltungsreihen" genauso geplant wie Matinées und Frühschoppen im angegliederten Restaurant. Einige Kinoräume sollen darüber hinaus mit moderner Vortragstechnik für Foren ausgerüstet werden.

Doch schon im vergangenen Jahr regte sich Protest gegen die "weitere Monokultivierung des Stadtbezirkes als Freizeitpark". Die Anwohner, die sich zu einer Betroffenenversammlung zusammengeschlossen haben, befürchten zudem, daß noch mehr kleine Gewerbetreibende vertrieben werden.

Auch bei der Wirtschaftsverwaltung des Berliner Senats gibt es Bedenken gegen das Kino, da das Einzugsgebiet für das "Arthouse" für zu klein gehalten wird. 200 000 Menschen sind für eine rentable Nutzung des Multiplex das Minimum, doch nur 600 Meter von der Kulturbrauerei entfernt eröffnet im November das "Cinemaxx Colosseum" des deutschen Kinomoguls Flebbe. Dort warten zehn Leinwände und 2 600 Sitzplätze auf das Publikum mit Sinn für den Hollywood-Mainstream.

Doch dies ist eine Entwicklung, die symptomatisch für den Berliner Multiplex-Höhenflug ist. Derzeit sind schon drei Multiplex-Kinos in Betrieb: Der Zoo-Palast, das Kosmos und das Cine-Star. Sieben Mega-Kinos mit insgesamt 64 Leinwänden befinden sich im Bau. 17 500 Zuschauer können dort Platz nehmen, vor allem in den zentralen Bezirken Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Tiergarten. Allein am Potsdamer Platz wird es 18 Leinwände und 5 600 Sitzplätze geben. Angekündigt sind weitere 136 Leinwände mit 32 700 Plätzen für Berlin und 109 Leinwände mit 16 700 Plätzen im näheren Umland. Zusammengenommen ergibt das 309 Leinwände mit Platz für 66 900 Zuschauer. Weitere Multiplex-Standorte sind noch im Gespräch. Doch schon nach den aktuellen Planungen wird sich der Kinobestand in den kommenden zwei Jahren verdreifachen.

"Nach unserer Einschätzung gehen die Planungen weit über den Bedarf hinaus", kommentiert Manfred Bittmann, Geschäftsführer vom Wirtschaftsverband der Filmtheater Ost diese Entwicklung. In dem Verband sind sämtliche Berliner und Brandenburger Kinobetreiber vertreten. Bittman schätzt, daß etliche vorhandene Kinos schließen werden, die dem zu erwartenden Konkurrenzdruck nicht gewachsen sind. Auf den Mitgliederversammlungen werde zwar die Situation thematisiert, so Bittman, doch gebe es schlichtweg "unterschiedliche Einschätzungen" zu den Besucher-Ressourcen. Der Berliner Kinomogul Stefan Arndt, der die Traditionskinos Sputnik Südstern und Sputnik Wedding betreibt, glaubt, daß die meisten mittelgroßen Programmkinos "in dem anstehenden Preiskampf zugrunde gehen werden". Bei den "Elefantenrunden", die von der Senatswirtschaftsverwaltung einberufen wurden, habe sich gezeigt, daß gerade die Major-Konzerne wie UIP und Columbia "jede Art von Vernunft verloren" hätten.

Inwieweit sich die Investitionen zumindest für die Multiplex-Größen rechnen werden, steht noch in den Sternen von Hollywood. Nach einer Studie im Auftrag der Kinobetreiber sollen sich im Ruhrgebiet die Zuschauerzahlen durch die Multiplex-Kinos um 50 Prozent erhöhen. In Berlin stieg die Anzahl der Kinobesuche von 102,5 Millionen im Jahr 1990 auf 133 Millionen im letzten Jahr. Im ersten Halbjahr diesen Jahres konnte ein Zuwachs von zehn Prozent verzeichnet werden.

Daß nach diesen im Vergleich zum Bau-Boom mageren Zahlen die ersten Multiplex-Ruinen nicht lange auf sich warten lassen werden, mag dann auch niemand bestreiten. Eine anderweitige Nutzung der Kinogebäude aus Guß-Beton sei dann kaum möglich, wie Betreiber Arndt ausführt, die kann man "nur noch wegsprengen".