Kanada hat den Zugang zu Sterbehilfe immens ausgeweitet

Der Tod als kleineres Übel

Kanada hat den Zugang zu Sterbehilfe stark ausgeweitet. Sie gilt nun auch als therapeutische Option, wenn eine medizinische Alternative nicht zugänglich ist.

Eine linke Position zur institutionalisierten Sterbehilfe scheint schnell gefunden: Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass hinter einem glaubwürdig geäußerten Sterbewunsch nicht doch das Leiden daran steckt, nicht einmal mehr als Material für kapitalistische Verwertung in Frage zu kommen, oder ein gesellschaftlich induzierter Ableismus, sollten Linke der Pro­paganda des »Sterbens in Würde« skeptisch gegenüberstehen und weiter für ein Leben in Würde für alle kämpfen. Man kann es sich aber auch schwerer machen, indem man mögliche Einwände vorwegnimmt: Abstrahiert diese Sichtweise nicht selbst auf inhumane Weise von der konkreten Situation einzelner Patient:innen?

Von 2016 bis 2022 starben in Kanada 44.958 Menschen mit Hilfe von Ärzt:innen, alleine 2022 waren es 13.241 – eine Steigerung von 31,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Das erwähnte Argument geht also zu weit. Und es geht nicht weit genug: Wer garantiert denn, dass in der ohnehin sehr unwahrscheinlichen befreiten, nichtkapitalistischen Gesellschaft nicht auf andere Weise Druck entstehen würde? »Genosse, Schlappmachen gilt nun, da wir die Produktion um des Mehrwerts willen sowie sämtliche Berufskrankheiten abgeschafft haben, nicht mehr!« Wer fürchtet, dass Lenins Aussagen über Faulenzer oder Kautskys Phantasie, dass es in der sozialistischen Gesellschaft keine Ausreden mehr für Krankheiten gebe, ein Nachleben in der Restlinken haben könnten – der würde auch in einer ­deren Vorstellungen entsprechenden Gesellschaft für den prekären Schutz von Menschen vor ihren eigenen Todeswünschen kämpfen. Nach derzeitigem Stand wird aber nicht nur eine etwas menschlichere Gesellschaft Utopie bleiben. Sondern es könnte auch bald eine Gesellschaft, in er wie bisher der absichtlich herbeigeführte frühzeitige Tod von kranken Menschen nicht als Lösung sozialpolitischer Probleme fungiert, als utopisch gelten.

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