Nathan Halverson, Investigativjournalist, im Gespräch über weltweites »land grabbing«

»Knappheit bedeutet Unsicherheit«

Im 21. Jahrhundert droht Wasser zu einer immer knapperen Ressource zu werden. Staaten mit großem Wasserbedarf, der ihre eigenen Res­sour­cen übersteigt, versuchen, sich landwirtschaftlich nutzbare Flächen andernorts anzueignen. Die »Jungle World« sprach mit dem Journalisten Nathan Halverson über saudisch-arabische Plantagen in der Wüste von Arizona und Landraub in Sambia.

Sie beschäftigen sich mit weltweitem »land grabbing«, das auch von Staaten betrieben wird. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Vor etwas über zehn Jahren Jahren habe ich in China über organisiertes Verbrechen recherchiert, unter anderem an der Hongkonger Börse. Als ich in die USA zurückkehrte, wurde ich gebeten, mir ein in Hongkong registriertes Unternehmen anzuschauen: die WH Group, die damals noch Shuanghui International hieß. Es handelte sich um den größten Fleischkonzern Chinas, der im Begriff war, in den USA den größten Schweinefleischproduzenten der Welt aufzukaufen, Smithfield Foods. Mit dieser Übernahme besaß ein chinesischer Konzern mit einem Schlag jedes vierte Schwein in den USA, was große Diskussionen auslöste. Also recherchierte ich über die Hintergründe dieses Kaufs.

Und was fanden Sie heraus?
Dass es sich bei der WH Group zwar um ein formell privates Unternehmen handelte, dieses aber staatliche politische Ziele verfolgte und dafür auch einen Milliardenkredit von einer Staatsbank erhalten hatte. China hat Investitionen in die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie anderer Länder zur na­tionalen Priorität erklärt. Und schnell wurde mir klar, dass China nicht allein war damit: Staaten wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate tätigen systematisch ähnliche Inves­titionen. Ein wichtiges Betätigungsfeld für sie ist Afrika, aber auch die USA.

»China verfügt über 20 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur sechs Prozent des globalen Süßwassers.«

Was für Investitionen sind das?
In Saudi-Arabien gehen die Grundwasserreserven immer mehr zur Neige. Wasserquellen sind ausgetrocknet, die so alt sind, dass sie schon in der Bibel erwähnt werden. Also sucht Saudi-Arabien nach fruchtbarem Land in anderen Ländern. Ich stieß auf ein Beispiel in Arizona, wo ein saudisches Molkereiunternehmen Tausende Hektar teilweise in der Wüste gepachtet hatte und Wasser tief aus der Erde pumpte, um Tierfutter anzubauen, das dann nach Saudi-Arabien verschifft wurde. In Arizona war das ein Skandal, weil es die Wasserversorgung von Anwohnern gefährdete, die es sich nicht leisten können, vor ihren Häusern immer tiefere Brunnen zu bohren.

Was treibt diese Staaten?
China beispielsweise verfügt über 20 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur sechs Prozent des globalen Süßwassers. Der enorme wirtschaftliche Aufstieg der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass die chinesische Bevölkerung immer besser essen kann und will, was vor allem bedeutet, dass sie mehr Fleisch isst. Ihre Ernährung erfordert deshalb mehr Futtergetreide und damit letztlich mehr Land und Wasser, und das ist in diesem Ausmaß nur im Ausland zu finden. Für Wüstenstaaten wie Saudi-Arabien, dessen Bevölkerung stark wächst, ist das Problem noch akuter.

Aber können diese Länder nicht einfach Nahrungsmittel importieren?
Das tun sie ja auch, in sehr großem Maßstab. Und ein großer Teil ihrer Investitionen ist auch kommerziell motiviert – das ist eine andere Entwicklung, die damals, in den Jahren nach der ­Finanzkrise von 2008, ihren Anfang nahm, als Agrarland immer mehr zum Spekulationsobjekt wurde. Aber für bestimmte Staaten kommt das wichtige Motiv Sicherheit dazu. Die Erderwärmung wird in Teilen der Welt die Nahrungsversorgung verschlechtern, und Knappheit steigert zwar die Profitaussichten, bedeutet aber auch Unsicherheit – und zwar global. Das hat man schon während des »Arabischen Frühlings« gesehen.

Was hatte der mit Nahrungsmitteln zu tun?
2010 und 2011 gab es eine weltweite Nahrungskrise, das war ein entscheidender Moment, der in vielen Ländern zu einem Umdenken geführt hat. In Russland hatten Dürre und Brände große Teile der Ernte zerstört, und es stoppte seine Getreideexporte. Auch andere Länder wie die Ukraine schränkten ihre Exporte ein. Weltweit stiegen die Preise – das war eine der Ursachen für die politischen Unruhen in arabischen Ländern damals. Länder erkannten, dass sie sich in solchen Fällen nicht auf den Weltmarkt allein verlassen konnten, sie mussten auch vertikal die Kontrolle über ihre Lieferketten haben. Die Covid-19-Pandemie war ein anderes Ereignis, durch das der freie Handel kurzzeitig zum Erliegen zu kommen drohte. Die Fleischindustrie in den USA argumentierte damals, dass sie trotz der Durchseuchungsgefahr weiterarbeiten müsse, um die Nahrungsversorgung sicherzustellen. In Wirklichkeit hatte unter anderem der anfangs erwähnte, von der chinesischen Firma aufgekaufte Konzern Smithfield sich bei der US-Regierung dafür eingesetzt, den Betrieb in seinen Fabriken aufrechterhalten zu können, um dann weiter in großem Maßstab nach China zu exportieren.

Gut, aber auch die chinesische Bevölkerung braucht eben Nahrungsmittel. Dass auch die Landwirtschaft immer internationaler organisiert wird, ist doch an sich nichts Schlechtes …
Sicher, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, gerade das Thema Ackerland ruft oft schlicht irrationale xenophobe Reflexe hervor: »Hilfe, die Fremden kaufen unser Land auf!« Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in den USA beispielsweise eine Panik, weil deutsche Einwanderer immer mehr Ackerland besaßen. Und seit Donald Trump machen einige Politiker in den USA auf ähnliche Weise Stimmung gegen chinesische Landkäufe.

»Was wir in Sambia gesehen haben, war reinstes ›land grabbing‹. Land wird übernommen und verkauft, und die, die es zuvor bewirtschaftet hatten oder auf ihm lebten, werden enteignet oder vertrieben.«

Ich habe ja das Beispiel in Arizona genannt. Da gab es noch einen weiteren Fall: Eine Firma aus den Vereinigten Arabischen Emiraten pachtete Land, um Zugang zu Grundwasser zu bekommen. Organisiert hatte das aber der staatliche Pensionsfonds von Arizona. Es war also ein Geschäft, an dem auch zahlreiche Bürger von Arizona mitverdienten. Das eigentliche Problem in Arizona ist dann auch, dass die Gesetze, die jedem Landpächter unbegrenzten Zugang zu Wasser erlauben, aus einer Zeit stammen, als es das Problem der Wasserknappheit in dieser Form noch nicht gab. Das ist die eigentliche Frage, auch global: Wie kann die Verteilung von knappen Ressourcen, zu denen Wasser immer öfter zählt, organisiert werden, ohne dass Konflikte eskalieren oder die Interessen von Leuten, die keine Macht haben und sich nicht wehren können, unter die Räder geraten? So wie es oft in vielen ärmeren Ländern La­teinamerikas oder Afrikas der Fall ist.

Zum Beispiel in Sambia, wo Sie für Ihren Film gedreht haben …
Was wir in Sambia gesehen haben, war reinstes land grabbing. Der Drang nach profitablem Ackerland führt dazu, dass Land, oft mit illegalen Methoden oder Gewaltandrohung, übernommen und verkauft wird, und die, die es zuvor ­bewirtschaftet haben oder auf ihm lebten, enteignet oder vertrieben werden. Bei dem Fall, den wir uns angesehen haben, kann ich tatsächlich sicher sagen, dass es illegaler Landraub war, denn das Oberste Gericht Sambias hat den ent­eigneten und teilweise ­vertriebenen Dorfbewohnern nach langem Kampf recht gegeben. Das verdankten sie dem Einsatz eines bemerkenswerten Anwalts namens Brigadier Siachitema. Dieser hat in den USA studiert, kehrte aber nach Sambia zurück, um als Anwalt gegen land grabbing zu kämpfen – denn da gewinnen, wie er uns sagte, sonst stets die, die genug Geld haben, um teure Anwälte oder Bestechungsgelder zu zahlen.

Dass bei »land grabbing« oft Gewalt im Spiel ist, zeigen auch die an Sie geleakten internen E-Mails aus den Unternehmen von Erik Prince, die Sie für Ihren Film ausgewertet haben. Prince, der auch die Söldner­firma Blackwater gegründet hat, hat in den Rohstoffabbau in Afrika ­investiert und leitete bis 2021 die in China ansässige Sicherheits- und Söldnerfirma Frontier Service Group, die Kunden vor allem in den Ver­einigten Arabischen Emiraten und China anbot, ihre Geschäfte in Af­rika zu schützen.
Prince ist ein Mensch, der wirklich eine koloniale Denkweise hat, das kann man nicht anders beschreiben. Er hat auch exzellente Beziehungen zum politischen Umfeld von Donald Trump – er ist der Bruder von dessen ehemaliger Bildungsministerin Betsy DeVos. Prince besuchte Mitte Juli den Parteitag der ­Republikaner, und als der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon vor einigen Wochen ins Gefängnis musste, war Prince an seiner Seite. Es wird interessant sein zu sehen, welche Rolle Prince spielen wird, falls Trump wieder an die Macht kommt.

»Die Ukraine zu kon­trollieren, würde Russland zu einem der größten Nahrungsexporteure der Welt machen.«

Apropos Gewalt und »land grabbing« – auch der russische Einmarsch in die Ukraine wird in Ihrem Dokumentarfilm thematisiert. Was hatte der mit Ackerland zu tun?
Wir begannen unsere Dreharbeiten 2021, als Wladimir Putin begann, die militärische Bedrohung der Ukraine zu intensivieren. Viele glaubten da noch an einen Bluff, aber wir hatten mit Experten gesprochen, die uns darauf hingewiesen hatten, wo auf der Welt Konflikte um Agrarland zu Krieg führen könnten, und unter dem Gesichtspunkt beobachteten wir Russland und die Ukraine. Die Halbinsel Krim braucht unbedingt Wasser aus Bewässerungs­kanälen vom Festland, die die Ukraine nach der russischen Annexion blockiert hatte, sonst ist dort keine Landwirtschaft möglich. Die Wasserversorgung der Krim wiederherzustellen, war eine der ersten Maßnahmen der rus­sischen Armee, als sie einmarschierte. Darüber hinaus ist klar, dass Russland die eigenen Nahrungsexporte als strategische Ressource sieht, um Einfluss in der Welt zu gewinnen, und dass Putin auch darin die strategische Bedeutung der Ukraine, diesem riesigen Agrarland, für sich sah. Die Ukraine zu kon­trollieren, würde Russland zu einem der größten Nahrungsexporteure der Welt machen.

Werden also in Zukunft vermehrt Kriege um Land geführt werden?
Zumindest ist das ein Beispiel dafür, wie die Erwartung, dass fruchtbares Ackerland eine immer knappere Ressource sein wird, zu Gewalt beigetragen hat. Das Schlimmste wäre, wenn im 21. Jahrhundert Nahrung und Wasser, von denen es ja immer noch genug auf der Welt gäbe, um alle Menschen zu versorgen, zunehmend für Machtkonkurrenz missbraucht werden oder Konflikte in fragilen Ländern aufgrund von Hunger und Armut eskalieren.

Porträtbild Nathan Halverson

Nathan Halverson ist Investigativjournalist beim Center for Investigative Reporting (CIR) in Kalifornien. Er produzierte den 2022 erschienenen Dokumentarfilm »The Grab«, der zeigt, wie von Nahrungsimporten abhängige Staaten weltweit die Kontrolle über Ackerland anstreben.

Bild:
nathanhalverson.com