Über den Film »Beeswax« von Andrew Bujalskis

Das neue Nebenbei-Kino

Slackertum und die Generation X der Neunziger werden in dem neuen Kino-Subgenre Mumblecore frisch verhandelt. So wie in Andrew Bujalskis Film »Beeswax«.

It’s none of your beeswax« heißt so viel wie »It’s none of your business« – eine Redewendung, die in Andrew Bujalskis drittem Spielfilm eine mehrfache Bedeutung hat. Denn die geschäftlichen und privaten Beziehungen sind hier so eng und für die Figuren undurchschaubar miteinander verbunden, dass die Auflösung einer Geschäftspartnerschaft gleich in einer persönlichen Krise mündet. Jeannie, die seit ihrer Jugend querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt, führt gemeinsam mit ihrer Freundin Amanda einen Secondhandladen in Austin. Es gibt Spannungen zwischen den beiden Frauen darüber, wie der Laden namens »Storyville« zu führen sei, wer dabei zu viel oder zu wenig arbeitet bzw. welche Form von Arbeit diese Bezeichnung überhaupt verdient. Jeannie befürchtet, ihre Freundin plane eine Gerichtsklage, zu einer ehrlichen Aussprache kommt es jedoch nicht. »Soll ich sie umbringen oder anrufen?« fragt sie ihre Zwillingsschwester wiederholt. »Ruf sie an«, meint Lauren, doch natürlich trägt auch dieser Anruf nicht zu einer Klärung der Verhältnisse bei, in »Beeswax« wird im Gegenteil permanent Verunsicherung und Verwirrung produziert. Lauren weiß nicht, wie es beruflich weitergehen soll, dann nimmt sie fast überstürzt eine Stelle in Nairobi an. Auch zwischen Jeannie und ihrem Ex-Freund Merrill, der von ihr als Rechtsberater um Unterstützung gebeten wird, ist so einiges verwachst. Als es bereits nach dem ersten Treffen zum Sex kommt und alles nach einer Wiederaufnahme der Beziehung aussieht, lehnt Jeannie die Bezeichnung »Freund« dennoch vehement ab, eine Alternative fällt ihr aber auch nicht ein.
Entscheidend für den Charakter des Films ist bei diesen Situationen, dass die Figuren solche Dinge nicht mit sich selbst ausmachen, sondern darüber reden und reden, und zwar bevor sie ihre Gedanken im Kopf in eine klare Form gebracht haben. Auf diese Weise kommt es zu komischen wie peinlichen Momenten. Lauren grummelt gegenüber ihrem Freund unentschlossen etwas davon, dass man »sich nicht mehr sehen« solle, bis dieser – auch nicht besonders wortgewandt – die Trennung ausspricht, und Merrill wirkt selbst ziemlich schockiert, als er einmal etwas absolut Geschmackloses von sich gibt: »In meinem Kopf hat es sich ganz anders angehört.«
Andrew Bujalski ist seit seinem Debütfilm »Funny Ha Ha« (2002) einer der Hauptvertreter des so genannten Mumblecore – einer losen Bewegung innerhalb des amerikanischen Independentkinos, die seit ein paar Jahren auf den Festivals für Aufsehen sorgt, aber bisher kaum in die deutschen Kinos vorgedrungen ist. Der Begriff fiel zum ersten Mal, als Bujalski selbst ihn verwendete, in einem Interview mit dem Internet-Filmmagazin IndieWire. Rückblickend wird ihm das wohl eher unangenehm sein, der Begriff machte schnell die Runde und wurde von seinen zahlreichen Verächtern zum Synonym für schlampiges, um sich selbst kreisendes Quasselkino. Die unter diesem Begriff zusammengefassten Filme sind in der Regel Ultra-Low-Budget-Produktionen (oftmals mit Digitalkameras gedreht, Bujalski ist hier eine Ausnahme), oft arbeiten sie mit einem losen Drehbuch, improvisierten Dialogen und Laiendarstellern. Die Erzählung generiert sich im »Mumblecore« weniger durch einen dramatischen Plot und eine sorgfältige Figurenzeichnung als vielmehr durch die Aneinanderreihung von Dialogen, die sich kaum durch Eloquenz auszeichnen und oftmals mit verschluckten Silben gesprochen oder genuschelt (to mumble) werden. Die Figuren sind in der Regel weiß und hetero, Twenty-Somethings und akademisch gebildet. Eine gewisse Nähe zu der Dogma-Schule von Lars von Trier ist auf der Ebene der Produktionsbedingungen und Ästhetik vorhanden, aber »Mumblecore« kommt ganz ohne das Existentielle, das Grenzüberschreitende und Abgründige aus, das die Dogma-Filme ausmachte.
Überhaupt ist das inhaltliche Spektrum dieser Filme streng eingegrenzt, es geht um den banalen Alltag der Figuren, dabei ist das Private nun wirklich nicht politisch. Bezüge zu einem Außerhalb der Figuren gibt es nicht.
Von Filmkritikern wurden die Macher dieses Indie-Subgenres in Anspielung auf das große Vorbild des Independent-Kinos auch »Slacka­vetes« genannt. Der Vergleich mit John Cassavetes ist allerdings ziemlicher Unsinn – den sogenannten Mumblecore-Filmen fehlt sowohl die emotionale Dramatik jener Filme als auch Cassavetes’ Präzision, was Schauspiel bzw. Schauspielführung, aber auch die visuelle Gestaltung betrifft.
Ob man die Filme dieser Mumblecore-Bewegung nun mag oder nicht: Was sie bemerkenswert macht, ist in jedem Fall ihre Ausnahmeposition und Autonomie innerhalb des inzwischen doch nicht mehr ganz so unabhängigen Independentkinos. Tatsächlich ist Mumblecore die einzige amerikanische Indiefilm-Welle, die außerhalb des Sundance-Filmfestivals ihr Publikum fand. Innerhalb des inzwischen doch recht konfektionierten unabhängigen Kinos, das in den letzten Jahren vor allem durch eine Flut von Familiendramen und Coming-of-age-Stories gelangweilt hat, sieht ein Film wie »Beeswax« dann doch ungewöhnlich aus. Bujalski spitzt keines seiner Themen in irgendeine Richtung zu, ohne dass hinter dieser Entscheidung eine trotzige Verweigerungshaltung läge. Er selbst hat seinen Film als einen »Justizthriller« beschrieben, mit der Einschränkung »für all diejenigen, die in dem Wort ›Justizthriller‹ einen Widerspruch in sich sehen«.
Der Konflikt zwischen Jeannie und Amanda ist dann auch so etwas wie der rote Faden des Films, gewinnt aber in keinem Moment an echter Zugkraft, die Bürokratie der juristischen Verhältnisse lässt schlichtweg keinen Thrill zu. »Beeswax« macht auch aus Jeannies Behinderung kein Thema, auch wenn er sie mitunter ausgiebig in Szene setzt: wie die Frau mit ihrem Rollstuhl routiniert durch den vollgestellten Laden navigiert, wie sie den Rollstuhl mühsam zusammenklappt, um in ihr Auto zu steigen, oder wie Merrill bei der Umarmung auf dem Bett Rücksicht auf ihre steifen Beine nimmt.
Natürlich kann man zu Recht die Hermetik des dargestellten Milieus kritisieren: Wenn alle nur möglichen Konflikte dramaturgisch heruntergedimmt werden, wenn alle irgendwie ähnlich alternativ ticken oder in sympathischen (wenn auch nicht gerade stilsicheren) Flohmarktklamotten herumrennen, wie soll es da auch zu irgendeiner produktiven Reibung kommen? So sind dann auch die Konflikte, die die Figuren mit sich selbst austragen, bzw. die Bretter vorm eigenen Kopf am interessantesten. Dann reden (übrigens: nicht nuscheln) die Figuren sich um Kopf und Kragen, wie Jeannie, die von ihrer neuen Angestellten Corinne um die Erlaubnis gebeten wird, im »Storyville« ein Plakat aufzuhängen, das zu einer Demonstration für die gleichgeschlechtliche Ehe aufruft. Klar, gute Sache, heißt es zunächst, doch allmählich verspannt sich Jeannies Gesicht. Es könne doch passieren, dass Corinne dabei festgenommen werden und im Gefängnis landen würde, wer würde dann ihre Schicht übernehmen? Auf eine Demo gehen und anschließend pünktlich einen rumpeligen Laden aufschließen, das geht für sie einfach nicht zusammen.

»Beeswax« (USA 2009). Regie: Andrew Bujalski. Darsteller: Maggie Hatcher, Tilly Hatcher, Alex Karpovsky. Start: 25. März