Für eine Handvoll Geier
Die Serra de Tramuntana, der Gebirgszug zwischen dem Westende Mallorcas bei Sant Elm und dem nördlichsten Punkt am Cap de Formentor, markiert so etwas wie den Schutzwall der Insel. Die schroff zerhackten und zerklüfteten Bergformationen fangen für die flacheren Teile Mallorcas die manchmal eisigen Festlandwinde ab und mildern sie so, dass die Sandstrände im Süden nur noch laue Lüfte abbekommen. In den Bergen der Tramuntana fällt dazu dreimal so viel Regen vom Himmel wie auf der übrigen Insel. Das Leben war in dieser Region nie einfach, und die kantigen Steilküsten bieten bis heute keinen Anlass zum Badevergnügen.
Trotzdem ist die Gegend mit dem wachsenden Massentourismus natürlich irgendwann in den Blick der Tourismusindustrie geraten. Ewig nur Strand, Jürgen Drews und Sangria füllte selbst den rundum versorgten Drei-Mahlzeiten-Urlauber nicht mehr ganz aus. Was zuerst mit Ausflugsfahrten nach Valdemossa oder Soller begann, sollte auf der Tramuntana fortgesetzt werden. Hier wollte ein, wie das heute heißt, Segment des Tourismus, das zu Beginn des Massentourismus Anfang der siebziger Jahre vernachlässigt worden war, der Hochpreistourismus, seine exklusiven und luxuriösen Ferienapartments errichten.
Eines der ersten Ziele der Apartmentstrategen war die bis dahin unbewohnte Insel Sa Dragonera, direkt vor Sant Elm gelegen. Dass die Dracheninsel, wie sie übersetzt heißt, immer noch unbewohnt und mittlerweile zum Nationalpark erklärt worden ist, verdankt sie den Aktionen einer am Beginn kleinen Gruppe von Ornithologen. Der 1973 gegründete Grup Balear d’Ornitologia i Defensa de la Naturalesa, die Vereinigung der Ornithologen und Naturschützer der Balearen, kurz: GOB, hatte die Ausbaupläne von Anfang an gestört. Die Vogelfreunde blockierten die Transporte von Baumaterial im Hafen, organisierten Massendemonstrationen und besetzten 1977 die Insel.
Damit lieferte der GOB nicht nur das Vorbild für alle weiteren Proteste gegen die hemmungslose Ausbeutung der Insel durch Tourismusunternehmen, er wurde auch zur wichtigsten und heute größten Umweltschutzorganisation, die auf allen Inseln der Balearen aktiv ist. Auf Sa Dragonera wurde so ein bedeutender Rastplatz für über 100 Zugvogelarten erhalten, was Mallorca attraktiv für eine andere Gruppe von Reisenden als die Pauschaltouristen machte: für Vogelbeobachter. Und deren bevorzugte Aufenthaltsorte liegen vor allem im Gebiet um den Puig Major, dem mit 1 445 Meter höchsten Berg Mallorcas, zwischen dem Cuber- und dem Gorg-Blau-Stausee. Die Höhenregion bietet hier einen phantastischen Ausblick über die Steinformationen der Tramuntana und bei gutem Wetter und günstiger Thermik auch regelmäßig darüber segelnde Mönchsgeier. Mit einer Spannweite von an die drei Meter sind die am Himmel schwarz scheinenden Vögel nicht zu übersehen. Aus der Luft suchen sie auf kreisenden Flügen nach verendeten Tieren oder anderen fleischlichen Abfällen. Und dass sie das zurzeit in wieder ansteigender Zahl tun, zeigt, dass man auch im Kampf gegen den Tourismus Natur erhalten kann, ohne den Tourismus ganz zu verdammen.
1982 war die Population der Geier bis auf 20 Tiere geschrumpft. Sie hatten neben den vergifteten Fleischködern, die in Mallorca für streunende Katzen und Hunde ausgelegt werden, auch den ungehemmt einfallenden Massentourismus in den Bergen nicht vertragen. Was dann einsetzte, kann man als eine konzertierte Rettungsaktion beschreiben, die beispielhaft alle Aspekte des Geierlebens berücksichtigte. Unter der Leitung der Fundacion para la Conversion del Buitre Negro (BVCF) wurde auf der Finca San Pons bei Campanet ein Zuchtprogramm für die Geier begonnen, deren Nachkommen heute wieder in einer Zahl von an die 100 Vögel über der Tramuntana kreisen. Unterstützt von der deutschen Zoologischen Gesellschaft in Frankfurt/Main, der EU und der balearischen Landesregierung wurden aber nicht nur Geier gezüchtet und krank oder verletzt aufgefundene Tiere wieder aufgepäppelt, es wurden auch Schulungen angeboten und die Bemühungen um Schutzgebiete verstärkt.
Alles zusammen hat nicht nur die Mönchsgeier vorerst gerettet, sondern auch dafür gesorgt, dass mittlerweile auch Gänsegeier, die es hier vorher noch nicht gab, vom spanischen Festland in die mallorquinischen Berge geflogen kommen.
Es sind aber nicht nur die großen Vögel, die eine Wanderung in der Tramuntana mit einem Vogelbestimmungsbuch zur Lust werden lassen. Balearen-Grasmücken, die es nur auf Mallorca gibt, Eleonorenfalken, Zwergadler, Sardengrasmücken oder Kolkraben gehören hier genauso zu den verbreiteten Seltenheiten wie die Geier. Und für Freunde der Botanik bieten Pinien, Öl- und Johannisbrotbäume an den Berghängen neben dem Anblick auch Schutz vor den derben Winden. Die Bäume und in den höheren Lagen die Ginster-, Lavendel- und Lorbeersträucher wuchern dabei so vielfältig, dass man den Eindruck gewinnen kann, man müsse gar nicht so viel tun, um eine Landschaft wie die der Tramuntana-Berge zu erhalten, die immer, seit hier Menschen leben, auch eine Kulturlandschaft war.
Man muss offensichtlich, wie es der GOB tut, vor allem darauf achten, dass sich die Bau- und Tourismusbranche nicht unreguliert jeden Quadratmeter, der für ein paar Jahre Profit verspricht, unter den Nagel reißt. Diese Kämpfe sind aber, wie es die Auseinandersetzungen um den geplanten Autobahnausbau auf Mallorca derzeit zeigen, auch nicht nur mit schönen Reden zu führen. Besetzungen und Demonstrationen werden Mittel bleiben müssen, ansonsten droht immer die Gefahr, dass die Probleme schon in der Darstellung der Regierung verschwinden. Glaubt man der Regierung der Balearen, dann steht jetzt schon fast die Hälfte der Insel unter Schutz, nach Angaben des GOB sind es aber gerade mal an die fünf Prozent.