Debatte um Nationaldenkmal

Ein Mal ist kein Mal

Einigkeit im Parlament: Deutschland braucht ein Denkmal, das die Wende und die Einheit würdigt.

Wenn im Bundestag ein »Freudenmal« verhandelt wird, so geht es wahrscheinlich nicht um das Symptom einer Geschlechtskrankheit. Denn ein solches Mal könnte nicht zugleich ein »Mekka der Demokraten sein« und »so etwas wie die Spanische Treppe in Rom, wo sich Menschen einfach gern treffen«.

Dem wirklichen Sachverhalt ziemlich nahe kommt, wer jetzt an Gerhard Schröders unseligen Ausspruch zum Holocaust-Mahnmal denkt, er nähert sich allerdings von der falschen Seite: Erwogen wurde der Antrag von 177 Abgeordneten, die Bundesregierung möge in Berlin ein »Einheits- und Freiheitsdenkmal« errichten lassen und zu diesem Zweck einen internationalen Künstlerwettbewerb ausschreiben.

»Ja«, proklamierte Günter Nooke von der CDU, »wir betreten damit politisches Neuland. Wir fordern ein positives nationales Symbol.« Und weil allen Fraktionen außer der PDS ein Nationaldenkmal schon seit langem fehlt, wurde der Antrag beifällig an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

So gut wie beschlossen ist also ein Symbolbrocken, der »davon erzählen und zeugen soll, wie die Deutschen 1989/90 zur Freiheit und zur Einheit fanden«. Und er wird unfehlbar ein Freudenmal werden, denn es wird viel zu lachen geben, sobald die ersten Entwürfe eintrudeln. Unsere Parlamentarier, die wenige Tage zuvor in der Debatte um Hans Haackes Bevölkerungsbeet noch ihre ästhetische Kompetenz bewiesen hatten, ließen sich nun das nationale Verlangen nicht miesmachen von der Besorgnis, moderne Kunst dürfte sich vom Ansinnen, den Deutschen einige Festmeter Einheit und Freiheit hinzustellen, wohl überfordert fühlen. Könnte man - ein Vorschlag zur Güte - den Scheiß nicht auch singen?

Schon vor einem halben Jahr ahnte Norbert Lammert, der kulturpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, es werde, wenn erst einmal das Holocaust-Mahnmal stehe, die Forderung nach einem Denkmal der deutschen Wiedervereinigung laut werden. Damals wollte er sie nicht kommentieren, denn dass er selbst sie unterstützen würde, ahnte er nicht. Nooke versicherte nun, man wolle »kein Antidenkmal zum Holocaust-Mahnmal errichten. Aber wir lassen uns als Nation nicht auf die zwölf Jahre Nazidiktatur festlegen.«

Der zweite Satz dementiert den ersten, und die Bemühung, das intime Verhältnis der beiden Mäler zu leugnen, scheiterte aufs Erbärmlichste an solchen Dummheiten: »Wir Deutsche tun uns schwer mit Denkmälern und Gedenkstätten. Es wird auch um ein Denkmal der Deutschen Einheit Streit geben. Die Unfähigkeit zu feiern und die Unfähigkeit zu trauern gehören zusammen.« Wie Dick und Doof. Denn Spaß muss sein auf der Beerdigung. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Das Nationaldenkmal soll die Heilung der deutschen Geschichte symbolisieren. Dahinter steckt die absurde Idee, der Sturz des SED-Regimes und die Wiedervereinigung könnten gegen den Holocaust irgend ins Gewicht fallen. Um wenigstens sich selbst davon zu überzeugen, müssen die Interessenten die welthistorische Bedeutung der deutschen Wende von 1989 ins Unermessliche vergrößern. Zwar gibt man mitunter zu, was 1989 in der DDR geschah, sei ganz ähnlich auch in den meisten anderen Staaten des Ostblocks geschehen. Aber meistens klingt es so, wie es während der Debatte ums Nationaldenkmal aus dem Munde Cornelia Piepers klang, der stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion: »Wir sprechen über ein Ereignis, was seinesgleichen nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Geschichte und weltweit sucht. Nicht nur in Europa, sondern auch weltweit ist es mit Anerkennung aufgenommen worden, was die Ostdeutschen damals im Rahmen der friedlichen Revolution geleistet haben. Denn noch nie ist es durch eine Revolution auf friedlichem Wege, sozusagen durch den Druck auf der Straße, gelungen, eine Diktatur zu stürzen und den Weg in einen freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat zu ebnen.«

Was vielleicht daran liegen mag, dass diese Diktatur im Jahr 1989 um ihren Sturz geradezu bettelte und dass weltweit kein selbstbewusstes Regime sich von Montagsdemonstranten des Kalibers Leipzig oder Ostberlin auch nur ein Ende der Parkplatzbewirtschaftung abnötigen ließe. »Die Ereignisse vom Herbst 1989 sind ein Glücksfall für uns Deutsche und für unsere Geschichte - zum einen natürlich deswegen, weil mit der Einheit Deutschlands ein Jahrhundert der Kriege und der totalitären Systeme beendet wurde«, das zwar auch ohne die deutsche Einheit sowieso Schlag zwölf geendet hätte, ohne eine frühere deutsche Einheit aber vielleicht gar kein Jahrhundert der Kriege und der totalitären Systeme geworden wäre, »zum anderen deswegen, weil die Worte 'deutsches Volk' und 'deutsche Nation' nicht mehr mit Schande, sondern von uns Deutschen wieder mit einem gewissen patriotischen Stolz verwendet werden können.«

Zwei Einwände gegen ein solches Denkmal wurden gründlich bedacht und widerlegt. Man könnte es hybrid finden, einen Nationalstolz, der erst vor zehn Jahren geschlüpft ist, nun schon in Beton abzufeiern. Deshalb sollte man die deutsche Einheits- und Freiheitstradition tunlichst nach rückwärts verlängern. Zweitens zeugte es von schlechtem Geschmack, wenn die ostdeutschen Revolutionshelden sich selbst ein Monument bauten. Das erlösende Wort sprach der bündnisgrüne Werner Schulz: »Es gibt keine Helden der Freiheit und der Einheit, und falls doch, dann gäbe es von 1848 bis 1990 sehr viele. Es handelt sich um einen sehr langen Kampf, den diese Nation geführt hat, um ihre Freiheit und Einheit zu erreichen.«

Diesen letzten Satz allerdings hätte, mit Verlaub, auch Hitler 1938 in Wien ausbrüllen können. Die Freiheit gehört dem Individuum, die Einheit - weshalb man auch gerne auf sie verzichten kann - der Nation. Es ist bestenfalls bloß demagogisch, schlimmstenfalls ein Verbrechen, der Nation einzureden, sie müsse frei, und den Individuen einzureden, sie müssten einig sein.

Der nationale Kampf hatte also 1848 begonnen, und da er in seinem Freiheitswillen zunächst düpiert worden war, hatte er sich aufs Ziel der Einheit konzentriert. 1989 war er zum Sieg geführt worden, und strittig blieb nur noch, ob in diesem Jahr die Freiheit aus der Einheit kam oder umgekehrt die Einheit aus der Freiheit. »Die erste inhaltliche Forderung dieser Revolution war die nach der deutschen Einheit«, meinte Nooke. »Erst war die Freiheit und dann war die Einheit«, hielt Markus Meckel von der SPD ihm entgegen. Über diese Frage aber wird man sich nicht einigen müssen.

Denn es wird uns ein quasi dialektisches Denkmal beschert werden. Es wird auf dem Sockel des ersten monströsen Nationaldenkmals ruhen, das vor gut hundert Jahren zu Ehren Wilhelms I. erbaut wurde, der bekanntlich den Deutschen die Einheit schenkte. Dass er zugleich der »Kartätschenprinz« gewesen war und die Revolution von 1848 blutig hatte niederschlagen lassen, wird nicht sonderlich stören. Wir müssen nur, wie Günter Nooke, »den Mut haben, diesen Sockel im hegelschen Sinne demokratisch aufzuheben und mit neuem Leben zu erfüllen«, dann wird das Freudenwerk gelingen.