Protektorat ohne Grenzen

Für die Nachfolger der Kosovo-Befreiungsarmee UCK erweisen sich Uno und Kfor zunehmend als Hindernis auf dem Weg in die Unabhängigkeit. Nach den Unruhen von Mitrovica stehen die Kosovo-Albaner ihren Befreiern feindlich gegenüber.

Spenden, Spenden, Spenden! Nein, zur Abwechslung nicht die CDU, sondern die Exil-Gemeinde der Kosovo-Albaner war es, die letzte Woche mit einem Spendenaufruf für Schlagzeilen sorgte. Allerdings nicht in der deutschen Presse - sondern auf den vorderen Seiten von Koha Ditore, der wichtigsten albanischsprachigen Zeitung des Kosovo: Während sich im Norden der serbischen Provinz Serben, Albaner und Kfor-Soldaten heftige Straßenschlachten lieferten, erkoren die Vertreter der Volksbewegung Kosovo (LPK) ausgerechnet ein ruhiges Örtchen namens Schweinbad zu ihrem Tagungsort.

In den hintersten Zipfel Österreichs, dort, wo die Verdammten Europas derzeit zu Hause sind, zogen sich die Exil-Albaner zurück, um über die Lage ihrer bedrängten Provinz zu beraten. Zufrieden waren sie nicht: Knapp ein Jahr nach Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien fühlen sich die Kosovo-Albaner von ihren einstigen Befreiern im Stich gelassen.

Das Vaterland ruft! - »Vendlindja Therret!»: Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Kosovo-Serben und Kosovo-Albanern in der geteilten Stadt Kosovo Mitrovica reaktivierten die Kämpfer für ein unabhängiges Kosovo vergangene Woche einen Spendenfonds, der schon vor anderthalb Jahren für erhebliche diplomatische Verstimmungen zwischen Deutschland und den USA gesorgt hatte.

Im Juni 1998 war bekannt geworden, dass die Bundesregierung in Bonn die Spendenaufrufe des deutschen Kosovo-Underground um ihren Exilpremier Bujar Bukoshi stillschweigend tolerierte - obwohl die Gelder für Waffenkäufe der Kosovo-Befreieungsarmee UCK bestimmt waren. Der US-Sondergesandte für den Balkan, Richard Holbrooke, griff damals zu einem außergewöhnlichen Mittel: Die laxe Spendenpraxis der Regierung Kohl kritisierte er öffentlich in einem Zeitungsinterview; bei einem Besuch in der umkämpften südserbischen Provinz hatte er erfahren, wie gefährlich und »wie wichtig Gelder aus Deutschland, Dänemark und der Schweiz für die UCK« seien. Einen Monat später zog die Balkan-Kontaktgruppe die Konsequenzen: Die Bundesregierung wurde aufgefordert, die klandestine Finanzierung der Skipetaren-Guerilla zu unterbinden.

Das System Kohl kennt keine Grenzen: Mehr als zehn Millionen Mark jährlich waren seit 1992 in dem von Holbrooke inkriminierten Bukoshi-»Fonds der Republik Kosovo« gesammelt worden - und auch der neuerliche Aufruf zum Fund-Raising durch die österreichische Exil-Gemeinde dürfte der Aufstockung der Waffenarsenale der UCK-Nachfolger dienen.

Die waren es auch, die die Riots am Ufer des Ibar in Mitrovica überhaupt erst möglich gemacht hatten. Über Stunden hinweg waren Kfor-Soldaten letzte Woche damit beschäftigt, einen Demonstrationszug randalierender Kosovo-Albaner aufzulösen. Organisiert hatte den Marsch der Bürgermeister des Südteils der Stadt, Rexhip Syla, »den die UCK« einem Le Monde-Bericht zufolge »im Juni 1999 eingesetzt hat«.

Der mörderische Kreis des albanischen Sezessionismus schließt sich. Wie im Frühjahr 1998, als die UCK mit ihren Anschlägen auf serbische Polizei-Quartiere die Unabhängigkeit der Provinz auf die internatioale Tagesordnung gesetzt - und dadurch die »humanitäre Intervention« der Nato provoziert - hatte, bringt das Sezessionsstreben der Kosovo-Albaner das Protektorat in seine bislang schwerste Krise. Die politischen und paramilitärischen Vertreter der Kosovo-Albaner sind sauer - denn der bombende Flügel des gemeinsamen Unabhängigkeitskampfes vom vergangenen Frühjahr erweist sich immer mehr als Gegner des eigenen Separationskurses. Für die organisierten Nachfolger der Kosovo-Befreiungsarmee UCK ist klar: Die Schutzmacht Nato hat ausgedient - und mit ihr Europa.

»Das Beharren einiger europäischer Staaten, die UCK durch eine Feuerwehr zu ersetzen, die Tatsache, dass sie Mitrovica als Geisel genommen haben«, erfordere entschlossenere Aktionen, erklärten die Separatisten in der österreichischen Diaspora. Ob klandestin oder legal, ist dabei egal: So wie der nationale Einheitskämpfer Kohl will es sich auch die Führungsspitze der Kosovo-Albaner nicht nehmen lassen, den Wiederaufbau der zerstörten Provinz mit eigenen Geldern zu subventionieren.

Kosovo den Kosovaren: Die Abspaltung der Provinz jedenfalls haben sie wieder in die eigene Händen genommen - nachdem Vereinte Nationen und Kfor in ihren Augen bewiesen, »dass Kosovo immer noch davon abgehalten wird, staatliche Strukturen aufzubauen«. Auch Hashim Thaqi, Ex-UCK-Chef und Mitglied des Provisorischen Kosovo-Verwaltungsrates ließ letzte Woche keine Zweifel an den Zielen der Separatisten: »Kosovo braucht ein Parlament, eine Regierung, seine eigene Legislative und Organe der Exekutive«.

Für die Protektorats-Verwalter jedoch ist die Sache alles andere als klar: Mit der Krise in Mitrovica rückt die Frage nach dem Status des Kosovo zurück auf die internationale Tagesordnung. Und das, obwohl der Uno-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1 244 im Juni 1999 eigentlich keine Fragen offen gelassen hatte: Der Provinz sollte eine »umfassende Selbstverwaltung« zugestanden werden - innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien.

Doch der Chef der Uno-Übergangsverwaltung Unmik, der Franzose Bernard Kouchner, kündigte das Mandat seines Arbeitgebers letzte Woche auf. Ein unglaublicher Vorgang: »Ich glaube, sagen zu können, dass nichts wie früher sein wird. Es wird keine Rückkehr und keine Wiedereingliederung in die Republik Jugoslawien geben«, erklärte er dem französischen Wochenmagazin Les Inrockuptibles. Mission impossible - Vertrag gekündigt: Der Widerspruch zwischen der Uno-Forderung nach Erhalt der territorialen Integrität Jugoslawiens und den widerstreitenden Interessen der militärischen Besatzungsmächte stellt die Zukunft des Protektorats grundlegend in Frage - und wirft die seit dem Ende des Nato-Krieges nur mühsam gedeckelten Rivalitäten zwischen Franzosen, Briten, Deutschen und US-Amerikanern neu auf. Grund für die inner-atlantischen Verwerfungen: der Streit über den künftigen Kurs auf dem Balkan.

Schon bei den Gesprächen zwischen Holbrooke und dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic im Winter vor den Nato-Angriffen und schließlich auch bei den Scheinverhandlungen von Rambouillet war es um die Klärung des völkerrechtlichen Status der de jure immer noch zu Jugoslawien gehörenden Provinz gegangen - ohne Erfolg. Das Hauptproblem der Nato-Regierungen, speziell aber Frankreichs und Großbritanniens, lag darin, dass ihr Stabilitätskonzept für den Balkan zwingend vorsah, die Grenzen Jugoslawiens zu erhalten. Damit war sie den Zielen Belgrads meist näher als denen der Kosovo-Albaner: Die sollten sich mit einer kommunalen Selbstverwaltung zufrieden geben.

Autonome gegen Föderierte: Aus der Schutzmacht für die bedrängten Kosovo-Albaner ist ein Jahr nach Beginn des Luftkrieges gegen Jugoslawien eben auch die Schutztruppe der verbliebenen Serben in der Provinz geworden. Zwar machte der inzwischen zum US-Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York beförderte Richard Holbrooke Milosevic für die Unruhen in Mitrovica verantwortlich, doch US-Außenministerin Madeleine Albright zeigte dem designierten Kosovo-Regierungschef Hashim Thaqi bei einem Treffen letzte Woche die Grenzen der US-Albanerfreundschaft auf: »Wir haben kein Großkroatien zugelassen, wir werden kein Großserbien dulden und kein Großalbanien.« Und auch der französische Außenminister Hubert Védrine wandte sich im Pariser Figaro gegen eine Sezession: »Unser Programm besteht nicht darin, die ethnische Homogenität auf der Basis allein der albanischsprachigen Bevölkerung herzustellen.« Doch Thaqi blieb stur. »Wir haben den Krieg gewonnen, jetzt müssen wir den Frieden gewinnen«, beharrte er gegenüber der L'Humanité auf der Unabhängigkeit der Provinz von Jugoslawien.

Die Unabhängigkeit könnte den Kosovo-Albanern am Ende doch noch die Deutschen bringen. Außenminister Joseph Fischer und Innenminister Otto Schily brachen deshalb am vergangenen Feitag zu einem Blitzbesuch nach Pristina auf, um dem Fischer-Vertrauten und Chef der Kosovo-Zivilverwaltung, Thomas Koenigs, die Entsendung weiterer deutscher Polizisten zuzusagen. Die sollten so lange bleiben, forderte nach dem Besuch die FAZ, bis die Kosovo-Albaner selbst zu regieren gelernt hätten. Unter Fischers Führung: Denn »staatsbildende Begabung haben die Albaner, durch ihre Geschichte bedingt, nun einmal nicht, und ihre gegenwärtigen politischen Führer hätten kaum die Fähigkeiten, einen Staat zu führen«.