Schutz vor dem Staat

Solidarität mit den Kurden verlangt von der deutschen Linken vor allem die Kritik am autoritären Konsens in Deutschland.

Die kurdischen Proteste nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan haben auch die Frage nach der Beteiligung der deutschen Linken neu aufgeworfen. Daß die Problematik eines sinnvollen Bezuges auf die kurdischen Proteste nicht nach dem Muster eines simplen Pro oder Contra PKK abgehandelt werden kann, zeigt allein schon die Art und Weise, wie die kurdischen Aktionen zur Aufheizung des rassistischen Konsenses in der BRD sowie die damit verbundenen Auseinandersetzungen um Staatsangehörigkeit und die weitere Verschärfung repressiver Sondergesetze gegen "Ausländer" instrumentalisiert wurden.

Es müßte sich eigentlich von selbst verstehen, daß genau dieser autoritäre Konsens in Deutschland den Ansatzpunkt darstellt, von dem aus eine eigenständige Teilnahme deutscher Linker an den kurdischen Protesten einzufordern ist, die zugleich auch die eigenen Kämpfe um eine emanzipatorische Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse hier zum Inhalt hat. Zu Recht geht L.U.P.U.S davon aus, daß die Formulierung gesellschaftlicher Forderungen oftmals bis zur Unkenntlichkeit überlagert wurde vom unkritischen Nachbeten der nationalistischen Ideologie der kurdischen Bewegung um die PKK. Der völlige Bankrott der antiautoritären Ziele, auf die sich die Linke hierzulande einst soviel zugute hielt, wird nachhaltig bestätigt, wenn in Flugblättern nach wie vor der Bezug auf "das kurdische Volk" und die PKK als dessen "Vertretung" fröhliche Urständ feiern und beispielsweise am 24. Februar auf der großen Trauer-Demonstration für die erschossenen KurdInnen ganze Demo-Blöcke deutscher Linker im Chor mit kurdischen Nationalisten "Apo" Öcalan und die PKK hochleben lassen.

L.U.P.U.S wirft der antinationalen Linken auch vor, der radikale Gestus messerscharfer Kritik am autoritär-nationalistischen Diskurs der PKK diene nur dem Verschwindenlassen eigener Probleme der Restlinken in Deutschland. Dieser Vorwurf gehört zum Standardrepertoire des Abwehrdiskurses, mit dem sich Kurdistan-Soligruppen und AntiimperialistInnen stereotyp jede Kritik an ihrem revolutionsromantischen Bezug auf die PKK verbitten. Er steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Haltung, die jede PKK-Kritik als Schwächung des kurdischen Widerstandes denunziert und antinationaler Kritik eine Art negativen deutschen Nationalismus unterstellt. Dieser Vorwurf wird seither endlos wiedergegeben, um eine Ideologiekritik am positiven linken Bezug auf "Völker" und auf autoritär strukturierte nationale Befreiungsbewegungen zu übergehen. Es hat vielleicht noch mehr mit dieser Haltung als mit der Kritik an der PKK selber zu tun, wenn viele Linke sich keine Beteiligung an den kurdischen Protesten mehr vorstellen können.

L.U.P.U.S macht sich zahlreiche Kritikpunkte an der PKK zu eigen, landet aber schließlich doch bei einer Rehabilitierung der Forderung nach kurdischer Eigenstaatlichkeit. Grundlage dafür ist ein Vergleich mit der jahrhundertelangen Verfolgungssituation "staatenloser" jüdischer Menschen. Bei dieser Argumentation werden allerdings wesentliche Unterschiede ausgeblendet. Die bis zum Genozid reichenden Unterdrükkungspraktiken gegen KurdInnen lassen sich trotz aller Brutalität nicht mit der antisemitischen Vernichtungspraxis des Nationalsozialismus vergleichen. Dies ist aber der entscheidende Punkt, in dem sich die israelische Staatsgründung von der aller anderen Nationalstaaten unterscheidet. Ständige Vergleiche in die Richtung "Gestern Juden, heute Kurden" bewirken vor dem Hintergrund des Normalisierungsdiskurses in Deutschland nur eine Relativierung der NS-Vernichtungspraxis. Die Ausblendung dieses Punktes geht zudem oft mit einer "antizionistischen" Rhetorik einher, die bei der Öcalan-Entführung mit unfehlbarer Treffsicherheit sofort Israel als Oberschurkenstaat ausgemacht hat. Die tödlichen Schüsse auf kurdische DemonstrantInnen am israelischen Generalkonsulat in Berlin wurden dann zum Anlaß eines weiteren Schubs Antizionismus - auf der bereits erwähnten Demo wurde ein riesiges Transparent mitgeführt, dessen einzige Botschaft in der auf deutsch, englisch und türkisch aufgemalten Hetzparole "Nieder mit dem israelischen Zionismus" bestand.

Doch auch aufgrund der realhistorischen Entwicklung ist der Vergleich der kurdischen Forderung nach Eigenstaatlichkeit mit dem Hintergrund der israelischen Staatsgründung falsch. Ein wirksamer Schutz eines entstehenden kurdischen Staates gegen Angriffe der umliegenden Staaten, wie er im Fall Israels gegeben war, ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen der politischen Landkarte in der Region wie auch den Konstellationen der Führungsmächte heutiger internationaler Machtpolitik nicht zu erwarten. Gerade die Erfahrung mit der bisher am weitesten in Richtung der Entwicklung staatlicher Strukturen gehenden kurdischen "Schutzzone" im Norden des Irak belegt dies ebenso wie das Auflaufenlassen von Öcalans diplomatischer Offensive.