Ganz Europa stiert auf Schröder

Die Schützen sind ausgehobe. Frankreich macht mobil gegen die deutschen Pläne zur Kofinanzierung der Agrarausgaben. Dabei geht es nicht ums Geld: Im Streit um die Agenda 2000 wollen die Konkurrenten die Vorherrschaft in Europa erringen.

Auf dem traditionellen Familienfoto läßt man sich nichts anmerken: Gerhard Schröder strahlt zwischen Frankreichs Präsident Jacques Chirac und EU-Kommissionspräsident Jacques Santer, anschließend legt er dem französischen Premierminister Lionel Jospin freundschaftlich den Arm um die Schulter. Soll heißen: alles in Ordnung zwischen Paris und Bonn.

Als sich nach einer bewegten Woche am vergangenen Freitag auf dem Petersberg bei Bonn die 15 Regierungschefs der Europäischen Union zur informellen Sitzung trafen, war vom vorausgegangenen Streit nicht mehr viel zu bemerken. Erstaunlich, denn in der Diskussion um die Agenda 2000, die sowohl die künftige Agrarpolitik als auch die Finanzierung der gesamten Union regeln soll, kam man kein Stück weiter. Noch am Vortag war es eine Verhandlungsstufe tiefer, zwischen den EU-Landwirtschaftsministern und ihren Delegationen, heftig zur Sache gegangen.

Angefangen hatte alles bereits knapp eine Woche zuvor, als sich die EU-Außenminister trafen. Zwar hatten sie den Tagungsort kurzerhand von Brüssel nach Luxembourg verlegt, um der Mistgabeln schwenkenden Menge, die zudem mit Eiern und Kartoffeln um sich warf, zu entgehen. Doch stellte sich schnell heraus, daß auch ohne Demonstranten vor der Verhandlungstür drinnen alles andere als Eintracht herrschte. Vor allem zwischen Frankreich und Gastgeber Deutschland knisterte es. Als Außenminister Joseph Fischer Finanzierungsvorschläge auf den Tisch legte, zu denen Frankreich bereits vor Monaten sein Veto angekündigt hatte, war der Streit vorgezeichnet.

So fand sich der deutsche Agrarminister Karl-Heinz Funke (SPD) am Montag vergangener Woche als Präsident eines Ministerrats wieder, bei dem es von vornherein unmöglich schien, die Konflikte zu beseitigen. Da reichte es nicht aus, daß 5 000 Polizisten im Europa-Viertel aufmarschierten, um dem Agrarrat die rund 40 000 demonstrierenden Bauern vom Leib zu halten.

Funke mußte taktieren: Statt die zerstrittenen Parteien direkt aufeinander loszulassen, ordnete er zunächst bilaterale Gespräche an und zitierte die Teilnehmer einzeln in sein Büro, um sich ihre Positionen anzuhören. Ein weiterer Faux-pas der deutschen Seite, wie sich an den Reaktionen der Teilnehmer zeigte.

Noch am Montag hatte der Präsident des Europäischen Landwirtschaftsverbands (Copa), Luc Guyeau, Funke und Agrarkommissar Franz Fischler die Botschaft der Bauern überbracht: Es gehe um die Zukunft für die europäischen Landwirte schlechthin. Doch der Erhalt der bäuerlichen Existenz ist eine Sache, der Preis dafür die andere.

Neben den vorgeschlagenen Preissenkungen für Milch, Getreide und Rindfleisch dreht sich die Diskussion bei der Agenda 2000 derzeit vor allem um die Finanzierung der künftigen EU-Agrarpolitik. Die Ausgaben in diesem Bereich verschlingen 40 Milliarden Euro - die Hälfte des EU-Haushaltes. Damit in Zukunft weniger auf der EU lastet, schlug die Kommission das Modell einer Kofinanzierung vor: Die einzelnen Mitgliedstaaten sollen 25 Prozent der Zuschüsse direkt an ihre Bauern zahlen.

Ein Modell, das vor allem in der Bundesrepublik auf Zustimmung stieß, denn Bonn könnte dabei Geld sparen. Als der Bundeskanzler auf dem EU-Gipfel in Wien letzten Jahres seinen EU-Kollegen vorrechnete, daß sein Land elf Milliarden Euro mehr in die EU-Kasse einzahle, als es an Subventionen wieder herausbekomme, stellte er die Weichen für die aktuellen Auseinandersetzungen. Denn darüber wollte innerhalb dieser Agenda zunächst niemand diskutieren.

Am wenigsten Frankreich: Paris finanziert 17 Prozent (Deutschland fast 30 Prozent) des EU-Budgets und bekommt auch 17 Prozent zurück. Beim System der Kofinanzierung müßte Frankreich deutlich draufzahlen. "Wir wollen den deutschen Scheck nicht bezahlen", kündigt deshalb der französische Agrarminister Jean Glavany an. Die europäische Solidarität sei in Gefahr, es finde eine Renationalisierung der Agrarpolitik statt.

Als auch Funke nach Außenminister Fischer den Vorschlag der Kofinanzierung nicht vom Verhandlungstisch nahm, platzte Glavany der Kragen. Man sei sich in Bonn gar nicht im klaren darüber, daß mit diesem "amateurhaften" Verhalten eine Krise und möglicherweise sogar eine Blockade herbeigeführt werde. Auf einer Pressekonferenz verglich Jean Glavany den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Das Geld verdirbt die Ehe, titelte die französische Tageszeitung Libération, und Le Monde sprach von einer Panne des deutsch-französischen Motors.

Die gemeinsame Agrarpolitik ist von Beginn an ein Streitpunkt in der EU. Denn je nach Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe und der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Agrarsektors sind die nationalen Interessen verschieden. Die Agenda 2000 ist die siebte Agrarreform seit 1962. Ging es zunächst darum, den europäischen Bauern durch Importauflagen und Preisstützungen im Export unter die Arme zu greifen, fand sich die Europäische Gemeinschaft in den siebziger Jahren vor Butter- und Getreidebergen wieder. Ein Überangebot, dem man 1984 mit der Quotenregelung beikommen wollte. Die Strategie ging auf - allerdings begannen die direkten Beihilfen und Subventionen den Brüsseler Haushalt stark zu belasten. Ein weiterer Nebeneffekt: Landwirte etwa aus Entwicklungsländern, wo das subventionierte EU-Produkt landet, können nicht konkurrieren. Darüber hinaus kommt nur ein Drittel der Finanzhilfen bei den europäischen Bauern an, der Rest geht für Verwaltung und Lagerung drauf, Großhandel und Lebensmittelindustrie streichen ihen Teil ein.

Fast vergessen ist mittlerweile, daß die Agenda ein mit großem Aufwand vorgestelltes Reformwerk ist, das die EU für die Ost-Erweiterung "fit machen" soll. Der Beitritt stark agrarisch gepägter Länder wie Polen oder Ungarn macht, da sind sich alle einig, eine Reform der Agrarpolitik unumgänglich, wenn die Ausgaben nicht explodieren sollen. Die geschätzten Kosten für die Übertragung der bisherigen Agrarpolitik käme einer Verdoppelung der bisherigen Zahlungen gleich.

Um diesen organisierten Wahnsinn zumindest einzudämmen, schlug Agrarkommissar Franz Fischler vor, die Garantiepreise zu senken und durch Ausgleichszahlungen in Form direkter Einkommenszuschüsse an die Landwirte zu ersetzen. Der Vorschlag hatte für die EU-Kassenwarte den Vorteil, daß die östlichen Beitrittskandidaten ohnehin unter EU-Marktpreis produzieren, Zuschüsse also entfallen würden. Doch dafür würde die Ausgaben der heutigen 15 EU-Mitgliedsstaaten in den ersten Jahren steigen. Nun standen die Verhandlungen aber unter dem Primat, die Agrarausgaben zu senken. In den Verhandlungen wurde jedoch deutlich, daß Fischlers Plan keine Mehrheit finden würde.

Beim derzeitigen Gezerre geht es daher vor allem um eine Frage: Welches Land gibt welche Vorteile auf? Frankreich und Österreich, wo kleinere Betriebe in der Mehrzahl sind, wollen statt Kofinanzierung die Brüsseler Finanzhilfen für die Bauern stufenweise senken. Das vorgeschlagene Modell würde zwar sieben Milliarden Euro bis zum Jahr 2006 einsparen, ob das allerdings reicht, um die Beiträge der BRD zu deren Zufriedenheit zu senken, ist fraglich. In Petersberg schlug Schröder Einsparmaßnahmen in Höhe von rund 90 Milliarden Euro vor.

Schröder nutze die Präsidentschaft der Bundesrepublik, um die Verhandlungen zu seinen Gunsten zu führen. Zum guten Ton gehörte allerdings bis dato, daß die Ratspräsidentschaft zurückhaltend mit den eigenen Positionen umgeht. Bisher sei Schröder mitsamt seiner Truppe eindeutig durchgefallen, kommentierte Le Monde vergangene Woche. Viel Zeit, um das Bild zu korrigieren, bleibt der deutschen Regierung nicht mehr. Der Countdown läuft. Am 24. und 25. März will Schröder in Berlin eine fertige Agenda 2000 präsentieren.