Rauschende Dissidenz

Eine Ausstellung über den Künstler Nikolaus Utermöhlen nach dem Ende der Tödlichen Doris

Sie nannten sich Deutsch Amerikanische Freundschaft, Normal, Der Plan, Freiwillige Selbstkontrolle oder Die Tödliche Doris. Künstlergruppen zwischen Neuer-Deutscher-Welle-Musik, Malerei und Performance.

Alles, was Anfang der Achtziger für unterhaltsame Verwirrung sorgte, nannte sich subversiv und war willkommen. 1980 gründete Nikolaus Untermöhlen (Baß) mit Wolfgang Müller (Gesang, Geige) und Käthe Kruse (Schlagzeug) die Berliner Performance-Band Die Tödliche Doris und war mitverantwortlich für das schönste Klopfen, Knacken und Knistern jenes Jahrzehnts.

Eine Ausstellung in Berlin zeigt jetzt in einer Werkschau die bildnerischen Arbeiten des 1996 an den Folgen von Aids verstorbenen Künstlers Nikolaus Utermöhlen. Dabei wird die Zeit der Tödlichen Doris weitgehend ausgeblendet. Das Ausstellungskonzept richtet den Blick auf Utermöhlens zwischen 1989 und 1995 entstandene Bilder. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit und verkürzt Utermöhlens künstlerischem Werdegang. Denn nur die Gruppe, wußte schon Marcel Duchamp, ist in der Lage, einen Keil in die Geschichte zu treiben.

Ende der Fünfziger geboren, waren die Doris-Mitglieder zu alt für Punk, zu jung für Techno. Den Punks genügten drei Akkorde, um loszulegen, künstlerisch Ambitionierten reichten drei Worte: Da, da, da. Wer etwas zu sagen hatte, suchte eine Band und legte los. Ob FDP-Parteizugehörigkeit, Haushaltsunfälle, Makramee-Kurse, Avon-Beraterinnen - keine Banalität, die nicht auf Platte gepreßt wurde. Die Doris mischte ihre Samples im Düsseldorfer 16 Spur-Tonstudio Atatak, mit asynchronem Sprechgesang, VU-Akkordfolgen, unterlegt mit Dubs, arbeitete mit manipulierten Plattenspielernadeln und Hall.

Mit Drumbox-Rhythmen, ihrer Idee, zwei Plattenseiten gleichzeitig zu spielen und als imaginäre dritte Platte aufzutreten, befand sie sich irgendwo zwischen Konzept-Kunst, Fluxus, kultivierter Langeweile und Young Marble Giants. Neben der Musikproduktion erschienen Bücher, wurden Videos und Filme produziert und Ausstellungen organisiert. Abgefilmte Teppichmuster-Bücher wurden als Super-8-Filme in Breitwandformat projiziert, während die Band spielte.

Die Parodie immer gleich mitzudenken, war Programm dieses avancierten Kleinkünstlertums. Die Gruppe schien ständig auf der Flucht vor dem eigenen Image und einer marktgerechten Festlegung ihrer Kunst zu sein. Mit ihren Produktionen persiflierten sie eine Avantgarde, die an den Akademien selbstgerecht geworden war: Das interessierte das Museum of Modern Art in New York, das Goethe-Institut in Tokio und die documenta 8.

Die eigentliche Formation wurde ständig durch Gäste verändert, so traten etwa auch die Filmemacher Heinz Emigholz oder Tabea Blumenschein auf. Bei Doris-Konzerten konnte man sich nie sicher sein, ob einen eine A-Cappella-Band, nackte Männer, Filmprojektionen, Puppenschallplatten, eine Rock-Band oder Schlamm wischende Galeristen auf der Bühne erwarteten.

Als sich die Urformation 1987 trennte, war das Projekt Doris noch nicht beendet. Die Mitglieder hatten verabredet, das Label nicht eingehen zu lassen. Während Berliner Künstler den Mythos vom genialen Malerfürsten wiederbelebten, wollte die Tödliche Doris das multiple Ego der Band noch einmal vervielfältigen. Ein Copyright auf den Bandnamen paßte da nicht ins Konzept. Bald tauchte Die Tödliche Doris als Name eines weißen Burgunder-Weines wieder auf, der in der Galerie Zwinger zum Verkauf angeboten wurde, mit einer Buch-Zugabe des Schmitz-Verlags. Käthe Kruse konzipierte ihr Fundstück-Hautmuseum unter diesem Namen, und zwei Solo-Alben entstanden mit Kruse und Müller. Die Doris bildete 1000 Plateaus.

Von 1987 bis 1988 leitete Wolfgang Müller die Kellergalerie Eisenbahnstraße, die in der Berliner Manteuffelstraße lag. Das Prinzip der genialen Dilettanten wurde mit Auftritten von Nikolaus Utermöhlen als Akkordeonspieler fortgesetzt. Heinz Emigholz nutzte die Galerie als Folterkeller für seinen Film "Die Wiese der Sachen". Es gab Porno-Bilder von Sabina Maria van der Linden und Aktionen von Tabea Blumenschein. Daß die Kunst jede Banalität auszuhalten habe, war Arbeitsprinzip der zeitgleich arbeitenden Gruppe um Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Werner Büttner, die bald den Marsch durch die Kunsthochschulen begannen.

Die Doris arbeitete weiter an der Inszenierung der eigenen Abschaffung, ihrer Form der Dissidenz, und eröffnete eine weitere Untersektion: die Schule der Tödlichen Doris, bei der Nikolaus Utermöhlens erste Solo-LP "Karlsbad" erschien. Cover, Beilagenheft und Titel ließen auf den Lebensentwurf eines weltentrückten Künstlers schließen: Karlsbad als ein Symbol für das laszive Bohemeleben des letzten Jahrhunderts. In der Beilage zeigt sich Utermöhlen auf alten Stichen im Kurort, einmontiert als Kaffeehaus-Geiger. Sein gleichmäßiges Gesicht, die dunklen Augen, der schmale Mund unter dem Menjou-Bärtchen, und sein volles schwarzes Haar, das er mit viel Pomade nach hinten gestrichen trug, schienen Ausdruck eines Zuspätgeborenen dieses Jahrhunderts zu sein.

Daß er dennoch ganz von dieser Welt war, bewiesen die modernen, fein versponnenen Sample-Techniken seiner Karlsbad-LP. Noch deutlicher wurde dies bei der Musik zu dem Film "Der Zynische Körper" (1990). Hier entstand eine mehrschichtige Collage aus Dudelsack, Joujouka-Flöten, einem bißchen Norman Witfields "Car Wash", mittäglicher Glockenspiel-Musik und der Volksweise "Du altes Arschloch, du lebst ja aach noch" - an Ideen- und Stimmungsreichtum seiner Zeit weit voraus. Utermöhlens Lebensentwurf schien ihm die Kraft und Ausdauer zu geben, nicht in schnellen, voreilig erzielten Effekten zu verharren, sondern sich den Arbeiten so lange zu widmen, bis sie jene persönliche Kraft hatten, die sie bis heute auszeichnet.

In seinen Arbeiten gelangt er über den mechanischen Vorgang des Fotokopierens zum Bild. Seine Lust an der Alchemie der Materialien springt schnell auf den Betrachter über, auch wenn seine Farbverschiebungen am Kopierer sich an der Grenze zum psychedelischen Gemütskitsch bewegen. Bearbeitete Fotokopien z.B., die davon handeln, daß Malerei nicht nur als symbolische Geste oder Zitat nach dem groben Geklotze der Achtziger wieder möglich ist.

Seine Motive kopierte Utermöhlen aus Pornoheften, Kunstkatalogen, Kalenderblättern und Tageszeitungen. Auch wenn seine Motive - selbst die Hundebeiß-Bälle scheinen der Jetztzeit entrissen - klassisch wirken, war seine Arbeitsmethode modern und zielt darauf, diese Massenbilder wieder in ihren Urzustand, den des Wunders, zurückzuversetzen.

Aus den Fotokopien entstanden hauchdünne Folien. Untermöhlen schichtete sie übereinander, klebte sie auf bis zu zwei Meter hohe Tafeln und versiegelte diese mit einer dicken Lackschicht, auf der er Leuchtfarbtupfer wie Blumen schwimmen läßt. Nie wollen die Motive ein Ganzes bilden, aufgeteilt, manchmal in Hunderte raumfüllende Einzelrahmen zerlegt.

Vordergründig folgen die Bilder Warholschen Arbeitsprinzipien (was die Rasterpunktbehandlung betrifft: Sigmar Polke) - Massenprints versus Schönheit -, doch fehlt ihnen jeder Anklang einer kühl kalkulierenden Strategie. Es sind Bilder eines romantischen Schwärmers, bei dem Schönheit als künstlerische Intervention funktioniert. Und das eben ist die Kritik des Künstlers - so, von dieser (Bilder-) Wirklichkeit, nicht regiert werden zu wollen. In Nikolaus Utermöhlens Fall: aufregend schöne Bilder.

Nikolaus Utermöhlen: "Hier zu sein ist soviel weiter Weg als hier zu sein". Haus am Kleistpark, Berlin, Grunewaldstr. 6/7, 19. Februar bis 4. April. Zur Ausstellung ist im Vice Versa Verlag ein Buchkatalog mit Beiträgen von Harald Fricke, Hanne Loreck und Oliver Koerner von Gustorf erschienen.