Kamerad Tier

Erste Tagung zur Geschichte der Veterinärmedizin im Nationalsozialismus

Die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG) setzt sich bei ihren Tagungen normalerweise mit Pferde- und Vogelkrankheiten auseinander und veranstaltet Fachgespräche zu Erkrankungen bei Geflügel. Das Wochenende vom 14. bis 16. November stellte in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme und ein Novum dar. In den Räumlichkeiten der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover fand die 5. Tagung der DVG-Fachgruppe "Geschichte der Veterinärmedizin", hier zum Thema "Veterinärmedizin im Dritten Reich - Hochschule, Militär, Verwaltung, Praxis", statt. Die TiHo Hannover ist eine von fünf veterinärmedizinischen Lehranstalten in Deutschland. Innerhalb von Europa gilt sie als eine der bedeutendsten.

Darauf, daß es in Hinblick auf Geschichte und Praxis der Veterinärmedizin im Nationalsozialismus wenig bis gar keine Forschungsergebnisse gebe, wies der Initiator der Fachtagung, Prof. Dr. Dr. Johann Schäffer (TiHo Hannover) hin. Er sprach in seinem zusammen mit Dr. Martin Fritz Brumme (FU Berlin) verfaßten Referat "'Mit Bauer und Boden, mit Heimat und Volk' - Tiermedizin unterm Hakenkreuz" von dem "bedenklichen Befund", daß die Veterinärmedizin sich ihrer Geschichte bis heute nicht gestellt habe. Dabei sei die Historikerzunft unter den Tiermedizinern sehr wohl über die DDR, die "zweite Diktatur auf deutschem Boden", hergefallen, habe sich jedoch für ihre gemeinsame deutsche Geschichte, die des Nationalsozialismus, bis heute nicht ernsthaft interessiert. Dem Diskussionsprozeß, dem sich der "gesamte Beruf Veterinärmedizin mit allen seinen Verzweigungen" laut Schäffer und Brumme stellen müsse, wollte die Tagung in Hannover Anstöße geben. Konnte sie diesem Anspruch gerecht werden? Es sei vorweggenommen: Nein.

Die Lücke, die zwischen bürgerlicher Geschichtsbewältigung und kritischer Wissenschaft klafft, wurde auch in Hannover nicht ernsthaft thematisiert. Im April 1933 überbrachte Prof. Dr. Valentin Stang, Tierarzt und Präsident des Deutschen Veterinärrates, persönlich ein Schreiben in das Büro Hitlers, in dem er darauf hinwies, "daß der Stand der Tierärzte durch seine enge Verbundenheit zur Landwirtschaft nur wenig marxistisch denkende Mitglieder aufweist, daß die weitüberwiegende Mehrheit von jeher rechts stand und heute eine große Zahl von Tierärzten sich in den Reihen der Nationalsozialisten, zum Teil in führender Stellung, befindet". Der Deutsche Veterinärrat existierte seit 1874 als erster reichsweiter Zusammenschluß der Veterinärmediziner und wurde erst im Zuge der Gleichschaltung durch die Reichstierärzteordnung aufgelöst.

In einem Geleitwort zur Tagung wies der Präsident der Bundestierärztekammer, Prof. Dr. Günter Pschorn, darauf hin, daß von Widerstand gleich welcher Form unter den Tierärzten nichts bekannt sei. Unter den Themen der Referate, von denen vier die ersten Zwischenberichte für Dissertationen waren, fanden sich neben allgemeinen auch sehr detaillierte Ansatzpunkte.

So griff der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann die Fragestellung nach der Funktion des Hundes als Propaganda- und Terrorinstrument im Nationalsozialismus auf. Dabei wies Wippermann darauf hin, daß am Beispiel der Hundezucht und der Hunderassen die angebliche Richtigkeit und Realisierbarkeit der nationalsozialistischen "rasse"-züchterischen Ziele zu verdeutlichen versucht wurde. Der Hund, für den es eigens den "Tag des Hundes" gab, erfüllte in den Konzentrationslagern instrumentale Funktionen bei der Bewachung der Häftlinge und als Terrorinstrument. Die Liebe der SS zum Tier ging dabei so weit, daß sie selbst eigene Abteilungen und Firmen für Hundefutter unterhielt. Wippermann verwies auch auf die Räumung des Berliner Ghettos 1942, bei der die Hunde der Juden nicht gemeinsam mit ihnen transportiert werden durften, sondern diese abgegeben werden mußten, weil die Ausstattung der Wagen nicht den Vorstellungen der Nazis von würdiger Tierhaltung entsprach. Insgesamt lieferte Wippermann sinnvolle Denkanstöße zur Frage, ob Tierschutz im allgemeinen zwangsläufig in Verbindung steht mit Menschenhaß.

Daß bei einer Tagung dieser Art die Qualität der Referate stark differiert, und daß neben kritisch-historischen sich zahlreiche finden, die nichts wollen, als die "Aufarbeitung der Geschichte" zur Sicherung des deutsch-nationalen Geschichtsbildes, versteht sich fast von selbst. Folglich gab es bei der Tagung auch Programmpunkte, die nicht gerade ein kritisches Verhältnis der Tierärzte zur Geschichte ihrer Branche offenbarten. So etwa das offizielle Nachprogramm am Sonntag. Zu einer Gedenkfeier am Ehrenmal "Den Toten des Veterinärdienstes 1939-1945", das sich auf dem Komplex der TiHo befindet, versammelten sich rund 50 Gäste. Den größten Anteil stellten neben Veterinäroffizieren der Bundeswehr Korporierte aus verschiedenen Burschenschaften. Einziger Redner war Dr. Christian Raack, Vorsitzender des Bundes Deutscher Veterinäroffiziere (BDVO). In der Satzung des BDVO fand sich als Vereinszweck bis 1987 "die Weiterführung der Geschichte des ehemaligen Veterinärdienstes bis zur Auflösung am 8. Mai 1945". Und so betonte Raack auch, daß die Versammlung dem Gedenken der "gefallenen Kameraden" dienen solle. Die umstrittene Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung sei "voll von Fälschungen" und die zuletzt bekanntgewordenen rechtsradikalen Vorfälle in der Bundeswehr seien, "wenn überhaupt", Einzelfälle. Sichtlich verärgert zeigte sich Raack davon, daß Unbekannte das Ehrenmal mit der Aufschrift "Soldaten sind Mörder" versehen hatten. Er sei seit 1973 bei der Bundeswehr, und Rechtsradikale seien ihm bis dato nicht untergekommen.

Im Anschluß an die Gedenkfeier fand noch eine Matinee zum Film "Das Truppenpferd und seine Betreuung" (1942) statt. Die Zeitung Deutsches Kaltblut schrieb in einer Besprechung des Streifens 1942, daß man unter dem nachhaltigen Eindruck stehe, "daß der deutsche Veterinäroffizier für seine vielseitigen und großen Aufgaben allerbestens geschult und befähigt ist, denn er ist Helfer für das kranke Pferd und Offizier zugleich".