Der Fotograf im Auge des Models

Ein Beitrag zu den Wissenschaften vom Künstlichen.

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Das Blau ihrer Iris hat die digitale post production gemischt. Und das Schimmern in ihrer Pupille ist - wie beruhigend! - bloß der Reflex eines elektronischen Blitzes. Die Fläche des Blitzschirms jedoch, so wie er sich in ihrem nachbehandelten Auge spiegelt, wird aufgespalten von einem winzigen Schattenriß, von einem zarten, ungeraden Streifen mit einer Ausbuchtung in der Mitte, da, wo man neben der mühsam als menschlich zu entziffernden Gestalt den Fotoapparat und die Hand am Auslöser vermutet.

Dieser vertikale Streifen am Horizont soll, teilt uns die deutschsprachige Vogue (7/1997) in ihren Credits im Heftinneren mit, der Modefotograf Mark Abrahams sein. Daß das dargestellte Gesicht ganz und gar das der Stella Tennant sei, wollen wir nicht mehr glauben. Zuviel wissen wir über die Fabrikation der Fiktionen.

Was aber diese eine bürgerliche Fiktion betrifft - den Erzeuger der Fiktion, den Fotografen, den Autor -, wundert schon, wie aufdringlich er seinen Schemen ins Zentrum des Produktes schiebt. Und wie lange schon er seine selbsternannten Totengräber überlebt: Während die Subjektleugner in ihren namenlosen Gräbern verrotten, signiert der Autor noch immer mit seinem guten Namen.

Wir wollen nämlich keinen Gedanken an die Überlegung verschwenden, dieser wohlplazierte Schatten - der hinter seiner Kamera thronende Mark Abrahams, seine Blitze hinabsendend - sei den Bildbearbeitern rein zufällig auf das Vogue-Cover geraten. Nein, bei aller Überlegung, die gerade bei dieser Fotografie auf die Inszenierung der katzenhaft funkelnden Augäpfel gewendet wurde, ist ein Versehen ausgeschlossen. Mit diesem Schatten hat der Künstler sein Werk unterschrieben. Er hat nicht, wie ein niederländischer Meister, seinen Namen bescheiden in die Ecke gekrakelt, sondern sich selbst in die Mitte gestempelt, in Stellas Gesicht, das ohne das stellare Strahlen des Blitzschirms leer wäre. Doch wer, zum Teufel, ist Mark Abrahams?

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Vielleicht gibt es in diesem Vogue-Cover "gewissermaßen die Repräsentation der klassischen Repräsentation und die Definition des Raums, den sie eröffnet". (Michel Foucault, "Les mots et les choses") Aber darin ist auch eine essentielle Leere gebieterisch angezeigt: die notwendige Rückkehr dessen, was sie begründet - desjenigen, dem sie ähnelt, und desjenigen, in den leeren Augen dessen sie nichts als Ähnlichkeit ist. Dieses Sujet selbst, das gleichzeitig Subjekt ist, ist zurückgekehrt (oder war nie abwesend). Da dieses Subjekt aber nur ein Schemen ist, verstärkt es noch die Kraft des Bildes, sich als reine Repräsentation zu geben.

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Ihr Gesicht ist eine einzige Eisfläche, nur unterbrochen vom zarten Rouge ihres Mundes und von dem kräftigen Ultramarin einer Diflucan-Pille (gegen Vaginalpilz), die blasse Fingerkuppen an die Lippen führen. Die Farbe dieser Pille übertönt alles. Man ist geneigt, von der farblichen Macht auf eine pharmazeutische zu schließen: Man traut der Pille zu, dieser blassen, womöglich durch Krankheit geschwächten Person wieder ein wenig Rot ins Gesicht zu zaubern. Gleichzeitig signalisiert das unnatürliche Blau der Pfizer Flu 150, daß hier artifizielle Substanzen zusammengerührt wurden, nichts Homöopathisches, nichts Schonendes, sondern der Crack aus dem Labor ("complete relief after just two days" wird im Begleittext zu der Anzeige in der britischen marie claire, 7/1997, garantiert).

Denn eine Roßkur ist genau das, wonach die ironisch lächelnde Eisprinzessin zu verlangen scheint. Ihre Augen - zweifellos die einer klugen, bewußten Frau - sagen: "Ich weiß Bescheid über das Teufelszeug, aber soll ich mich noch wochenlang mit dem Scheißpilz quälen?" Und dieses, ein wenig kokette Einverständnis mit der Pharmazie wird auch von der Farbdramaturgie unterstützt: Das imposante Blau der Pille korrespondiert mit dem Wasserblau der Iris, der, neben dem Rot der Lippen, einzigen kolorierten Fläche der Fotografie überhaupt.

Inmitten dieser zart pigmentierten Augen das stabile Gerüst des Fotoequipments: Stativ, Blitzschirm. Man erkennt im rechten Auge des Models sogar das Objektiv der Großformatkamera. Letzte Gewißheit, daß hier nicht zufällig eine smarte Hausfrau beim Schlucken ihrer Kapsel Diflucan überrascht wurde. Das Foto möchte einen Schnappschuß nicht einmal vortäuschen, es hat sich in seiner überlegenen Künstlichkeit der Chemie von Pfizer Flu 150 völlig akkomodiert.

Und nun etwas Seltsames: Es ist kein Fotograf (keine Fotografin) zu sehen. Überdeutlich die Kamera, die Streben des Schirms, weitere Kabel und Stützen, aber nicht derjenige, der auslöst. Es ist, als ob sich das Subjekt zurückgezogen hätte, um dem Gestell Platz zu machen. Als ob der Fotograf seinem Apparat das Fotografieren überlassen hätte, so wie die Frau der Pille die Regulation ihres Körpers überläßt. Doch die Subjekt-Funktion besteht fort, auch wenn ihre Variablen nicht gesättigt sind: Der Rückzug des Fotografen kann nur Retusche sein, sorgsam fingiert, um der großen Sehnsucht Ausdruck zu geben, die Pillen könnten uns das Leben abnehmen. Wir wissen ja, daß sie nicht einmal den Vaginalpilz dauerhaft beseitigen können.

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Wenn auch die Fotografie des Auges - wie das Auge selbst - ein Spiegel sein könnte, dann würden die, die sie betrachten, fotografiert.

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Aufweichend, sich vollsaugend wie ein Bogen japanischen Papiers, der sich langsam in gefärbtem Wasser zersetzt. Der Fettfilter löst das herausfordernd geschminkte Gesicht in Pastelltöne auf. Scharf gestellt ist nur auf die Krempe des braunen Hutes, der bis zur Braue ihres rechten Auges herabgezogen ist. Zwischen den getuschten Lidern der umflorte Blick, fixierend und gleichzeitig melancholisch hingegeben. Darin, im verwaschenen Blau der Iris, konturiert, ein Mann, der mit gespreizten Beinen posiert: der Fotograf.

Dieses Auge ist nicht nur Spiegel, es reflektiert nicht nur, es blickt, es ist Kristallisationspunkt einer erotischen Situation. Der konzentriert in den Sucher seiner Kamera Starrende ist nicht nur Beobachter, sondern auch - das deutet die Spreizung seiner Beine an - erotischer Provokateur. Das Model hat in diesem Spiel die geheimnisvolle Schöne zu spielen, die die Herausforderung in einer als flüchtig angedeuteten Begegnung mit einem versprechenden Blick erwidert.

Der Fotograf ist Model geworden, Figur in einem erotischen Mini-Drama, präpariert für die Tagträume einer Elle-Leserin oder eines Elle-Lesers (s. deutsche Ausgabe, 7/1997).

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In seinem Film "Normalsatz" (1978/81) kommt Heinz Emigholz auf die merkwürdige Entdeckung zu sprechen, daß auf der Hornhaut eines geschlachteten Kaninchens sich ein Bild verewigt hat: das Fensterkreuz, auf das das Tier blickte, als es sein Leben ließ. Die Fotografie kennt, anders als der Film, diese Verewigung des einen, letzten Moments. Der Fotograf hat den Blick, der töten kann, er friert den einen, für immer vergangenen Moment ein. Auf manchen Aufnahmen verrät sich der Fotograf in der Spiegelung der Pupille, der Blick des Täters kreuzt sich mit dem des Opfers.