»Awesome Andi«: Der Zeichner kann sich über manches Lob so gar nicht freuen

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Jeschmiere

»Und dit is nu’ ›awesome‹, dit Jeschmiere?« raunzt Julia. Wir sind für fünf Tage auf dem Urban Sketching Festival in Świdnica, einer polnischen Provinzstadt mit 60.000 Einwohnern. Rund 200 Zeichner und Zeichnerinnen sind für das Festival angereist, die meisten aus Polen, einige aber auch aus Holland, Portugal, Spanien und Deutschland.

Es ist ein sehr schönes, geradezu intimes Festival, bei dem sich die Teilnehmenden immer wieder in der Stadt begegnen. Am ersten Tag des Festivals führt der erste sogenannte Sketch Walk zur Friedenskirche, genauer gesagt zur Evangelischen Friedenskirche der Heiligen Dreifaltigkeit.

Es ist wie gemeinsame Meditation, nur dass wir später etwas vorzuzeigen haben.

Überall verteilt sitzen Urban Sketcher und versuchen, die Kirche zeichnerisch zu erfassen. Alle betrachten über Stunden das Gleiche. Es ist wie gemeinsame Meditation, nur dass wir später etwas vorzuzeigen haben. Im Schatten sitzen auch Julia und ich auf unseren mitgebrachten Campingstühlen. Es ist ein heißer Augusttag, aber vor allem schwitzen wir über der komplexen Fachwerkstruktur der Kirche.

Die Friedenskirche von Świdnica ist die größte Fachwerkkirche Europas und Unesco-Weltkulturerbe. Am nächsten Tag besichtige ich auf einer kleinen Stadtführung auch das Innere der Kirche. Der Kontrast zur eher strengen Außenfassade macht mich sprachlos. Der opulent ausgestaltete Innenbereich der 1657 eingeweihte Friedenskirche wirkt geradezu katholisch, dies ist aber tatsächlich nur der Protzerei der ebenso deutschen wie protestantischen Familie Hochberg auf Fürstenstein geschuldet, die den Kirchenbau finanziert hatte.

Schnelle Skizze in Schwarzweiß

Die sehr freundliche Frau vom Touristenbüro, die uns durch Świdnica führt, zeigt uns vom Stadtturm aus die Höhlen, die die »deutschen Leute von der NSDAP« für unterirdische Produktionsanlagen in die Felsen gesprengt haben, und das Gefängnis, in dem Adolf Hitler einsaß, erwähnt aber mit keinem Wort, das Świdnica, ehemals Schweidnitz, einmal eine von Deutschen besiedelte Stadt war. Verständlich, wenn man bedenkt, wie viel Mord und Zerstörung Deutsche während des Zweiten Weltkriegs über Polen gebracht haben.

Wir sitzen also vor der Kirche. Um mich locker zu machen, zeichne ich erst mal eine schnelle Skizze in Schwarzweiß. Ich habe zwei Skizzenbücher dabei, ein »gutes« und ein »schlechtes«. In das »schlechte« werfe ich schnelle, sehr rohe Skizzen, die nicht gut werden müssen, misslingen können und oft unfertig bleiben. Nicht selten werden die Zeichnungen dann doch sehr gut, gerade weil sie so locker  und entspannt entstanden sind, während die Bilder auf dem 300-Gramm-Aquarell­papier in meinem »guten« Buch gelegentlich steif wirken.

Verwinkelte Architektur der Friedenskirche

Die verwinkelte Architektur der Friedenskirche zu erfassen, stresst, vor allem die Fenster sind schwierig. Um mir die Sache einfacher zu machen, rahme ich das Bild links mit einem Baum ein, darunter Julia, und rechts platziere ich einige Zeichner und Zeichnerinnen. Schon bleibt nur noch wenig Platz für die Kirche.

Eine Frau taucht hinter mir auf und fotografiert uns. Sie trägt ein Festivalband um den Hals und zeigt auf mein Schwarzweißbild: »Awesome.« Ich bedanke mich. Julias Bild sieht sie sich nicht an. Schon ist sie weg.

So ­direkt nur eine Person zu loben, noch dazu einen Mann, und die daneben­sitzende Frau keines Blickes zu würdigen, ist unhöflich. Es passiert leider oft. Frauen, die nur meine Bilder kommentieren. Warum? Um selbst wahr­genommen zu werden und beim Mann gut anzukommen? Und so blickt Julia nun hinter sich, sieht aus dem Augenwinkel mein Skizzenbuch und raunzt dann auf unnachahmlich herablassende berlinerische Art: »Und dit is nu’ ›awesome‹, dit Jeschmiere?«