Die schräge Perspektive
Schon lange konnte man den Eindruck gewinnen, dass es bei der zum »Historikerstreit 2.0« aufgeblasenen Debatte über das Verhältnis von kolonialen Verbrechen und Auschwitz nicht um wissenschaftliche Erkenntnis geht, sondern ein politisches Ziel verfolgt wird. Der von Susan Neiman und Michael Wildt herausgegebene Tagungsband »Historiker streiten. Gewalt und Holocaust – die Debatte« zum gleichnamigen Symposium, ausgerichtet vom Einstein-Forum am 4. Oktober 2021, ist ein weiterer Beleg dafür. Man sucht darin vergeblich einen Beitrag zu der zentralen Frage, wie und ob sich die Kolonialverbrechen der Deutschen mit dem Genozid an den europäischen Juden vergleichen lassen.
Bereits nach der Lektüre des assoziativ-holprigen Auftaktaufsatzes von Susan Neiman, »Wie die beiden Historikerstreite zusammenhängen«, erkennt man, welche Absicht verfolgt wird. Die Argumentation verläuft ungefähr so: Die Singularitätsthese, also die Erkenntnis, dass die Shoah ein Verbrechen war, das besondere, einzigartige Merkmale aufweist, die es von anderen Massenverbrechen unterscheidet, sei ein Argument, das allein verschiedene politische Zwecke erfülle. Als moralisches Gebot sei die Singularitätsthese überholt und verhindere das Gedenken an andere Verbrechenskomplexe. Daran festhalten würden »nationalistische Juden«, um das staatspolitische Handeln Israels zu legitimieren.
Man muss Susan Neiman fast dankbar dafür sein, dass sie ihr Anliegen von vornherein so deutlich herausstellt. So kann man sich jegliche wissenschaftliche Argumentation und mühsame Kleinarbeit sparen.
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