Eisernes Bemühen

Sportarten im Selbstversuch VI: Triathlon. von frank ketterer

Der Tag, an dem ich damit begann, Triathlet zu werden, war kein wirklich guter Tag, und man konnte das leicht hören – am schweren Ächzen der Waage morgens im Bad nämlich. Noch war es nicht so, dass sie Error anzeigte, wenn ich auf sie stieg, aber, sagen wir es mal so: Es reichte, dicke sogar. Und zeitgleich reifte der Entschluss: So kann es nicht weitergehen. Ich werde Triathlet.

Wobei man vielleicht anmerken muss, dass ich noch nie der Ausdauertyp war, ganz im Gegenteil: In meiner Jugend stieß ich Kugeln und warf Disken durch die Gegend, mit einigem Erfolg sogar, wie ich mir zu erwähnen erlaube. Diese ausgemergelten Konditionsfreaks hingegen waren mir eher suspekt.

Dass es nun doch auch bei mir Triathlon werden würde, war dennoch vorgezeichnet, der Job hatte das so eingefädelt: 1995 war es, dass ich erstmals über Thomas Hellriegel schrieb. Hellriegel war damals für mich einer jener Spinner, die in der Hitze Hawaiis rumrennen, Ironman nennt sich das. Viel mehr wusste ich über meinen badischen Landsmann nicht, also fuhr ich zu ihm nach Hause und ließ mir erzählen, dass er den Wind liebt und die Hitze und dieses Rennen auf Hawaii. Und dass er alles dafür tun würde, dieses Rennen zu gewinnen, nur einmal im Leben. Es war faszinierend, was der junge Kerl da zu erzählen hatte. Und es, so weiß ich heute, es fixte mich an.

Zwei Jahre später bin ich dann jedenfalls selbst nach Hawaii geflogen, als Berichterstatter. Und Hellriegel gewann tatsächlich. Auch danach schrieb ich das ein oder andere Artikelchen über diesen verrückten Dreikampf, später sogar ein Buch. Nur selbst übte ich den Sport bis dato nicht aus.

»Triathlon«, so heißt es, »beginnt im Kopf.« Dort also, wo der Wille sitzt. Dass es bei mir im Kopf stimmen würde, habe ich schon immer gewusst. Ansonsten aber war ich die Personifizierung von »der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach«.

Besonders letzteres galt es zu ändern. Der Geist sagte: Abnehmen. Der Körper machte seltsamerweise mit. Rund zehn Kilo pro Monat wurden es, vier Monate und drei Konfektionsgrößen später hörte ich damit auf. Mittlerweile war das Fleisch gar nicht mehr so schwach; es war noch nicht einmal mehr sonderlich viel Fleisch.

»Triathlon«, so heißt es auch, »ist eine Lebenseinstellung.« Das Leben eines Triathleten besteht in erster Linie aus Training, Training, Training. Wettkämpfe gibt es eigentlich nur, um einen Grund zu haben für all das Training. Mein Training begann damit, dass ich mir bei Karstadt Laufschuhe kaufte und eine Schwimmbrille. Den Rest hatte ich noch von früher, das Radfahren würde ich mit meinem alten Mountainbike bewältigen. Das war der erste Schritt.

Der zweite war ungleich schwerer – und bestand darin, die Laufschuhe anzuziehen und damit auch noch loszulaufen. Vielleicht dauerte es drei, vielleicht dreieinhalb Kilometer, dann war der Kopf rot wie eine überreife Tomate und der Puls sprang mir beinahe oben zum Hals raus, jedenfalls fühlte es sich so an. Dafür begannen unten die Waden hart zu werden wie altes Brot und die Oberschenkel zu brennen.

Es war die Hölle, ein einziges Inferno. Es war der erste Trainingstag – und es war der Tag, an dem ich mein Trainingspensum grundlegend überdachte: Fürs Erste würde mir Laufen genügen, nur Laufen, sonst nichts, außer dem morgendlichen Radfahren in die Redaktion, zehn Kilometer sind das. Die Schwimmbrille jedenfalls packte ich gleich wieder weg, verschoben auf später, irgendwann später.

Das Gute am Laufen ist: Es geht von Tag zu Tag besser. Klar zwickt’s ein paar Wochen lang schon morgens beim Aufstehen. Aber man lernt das zu lieben, diesen leichten Permanentschmerz wenn der Muskel katert. Spätestens nach einem Monat würde er einem sogar fehlen.

Parallel dazu wächst die Strecke – und das Selbstbewusstsein. Die Schritte werden größer, lockerer, leichter. Der Puls wagt sich nicht mehr hoch in den Hals, der Kopf belässt es bei hellrot. Jedes Training wird zu einem kleinen Sieg, einem Sieg über sich selbst, über den inneren Schweinehund. Irgendwann schafft man dann tatsächlich sieben Kilometer am Stück, acht sogar, ohne dass einen danach das Gefühl überwältigt, auf der Stelle sterben zu müssen – und fühlt sich in Folge dessen wirklich als Läufer, obwohl man natürlich noch lange keiner ist.

Das war ungefähr der Zeitpunkt, an dem ich die Schwimmbrille wieder hervorgekramt habe.

Das mit dem Schwimmen hatte ich mir zugegebenermaßen einfacher vorgestellt, in meiner Jugend konnte ich es jedenfalls mal ganz gut. Die Vorstellung war deshalb so: Ich würde einmal zum Test die Wettkampfstrecke von 500 Metern runterkraulen. Und das dann in den verbleibenden zwei Monaten bis zum Wettkampf einmal pro Woche wiederholen. Der Test endete nach knapp 50 Metern, dann spürte ich meine Arme nicht mehr. Ab diesem Moment stand auch das Schwimmen nahezu täglich auf meinem Trainingsplan. Der sah langsam wirklich so aus wie der eines Triathleten, zumindest eines angehenden: morgens schwimmen, abends laufen, dazwischen Rad fahren.

Triathlon ist Management, Zeitmanagement. Langsam aber sicher lernt man, in in diesen Kategorien zu denken und zu planen – nur noch von Trainingseinheit zu Trainingseinheit. Bierchen mit Freunden? Klar, gerne. Aber nicht vor 21 Uhr, ich muss noch laufen. Ach so: Länger als elf ist schlecht, sonst komm ich morgen früh nicht rechtzeitig zum Schwimmen. Und nein, abholen kann ich dich natürlich nicht. Ich komm nämlich mit dem Rad. »Triathlon ist asozial«, hat Lothar Leder, der Weltklasse-Triathlet, einmal gesagt. Mit der Zeit weiß man, wie er das meint. Das Verwunderliche daran: Man fühlt sich auch noch gut dabei.

Am besten habe ich mich immer nach dem Schwimmen gefühlt. Vielleicht weil man da am meisten spürt, wie die Muckis wachsen und das Kreuz breiter wird. Vielleicht aber auch, weil es die tägliche Bestätigung war, das Ding tatsächlich durchzuziehen. Warum sonst würde man morgens um sieben aufstehen und ins Schwimmbad radeln, wo man doch locker bis kurz vor neun unter der Decke pupen könnte. Meine früheste Eintrittskarte ist um 7.31 Uhr abgestempelt, Sommerbad am Insulaner. Sie hängt gerahmt über meinem Schreibtisch, wie eine Urkunde.

Schwimmen am Morgen in Berlin ist aber auch das Eintauchen in eine andere Welt, in die Welt der Frühschwimmer. Die Liegewiesen sind da leer, aber das Becken voll. Randvoll – und das nicht nur mit Wasser, sondern mit Frühschwimmern. Frühschwimmer sind Rentner und Hausfrauen, ein paar Arbeitslose und solche, die der Job erst irgendwann nach neun an den Schreibtisch zwingt. Davor brüsteln und kraulen sie durchs Wasser, mal mehr, mal weniger schnell, aber jeden Tag zur selben Zeit. Mit der Zeit gehört man dazu, zu dieser absonderlichen und doch liebenswerten Gemeinschaft. Sogar Sozialkontakte sind nicht gänzlich ausgeschlossen, so wie zu der netten jungen Frau, die sich frühmorgens fast täglich die Bahn mit mir teilte – und mich irgendwann auch abends nochmal sehen wollte. Auf ein Mineralwasser. Und höchstens bis elf. Das Treffen kam nie zustande. Schade eigentlich.

Irgendwann ist er dann da, der Tag der Tage und der Wahrheit. Bei mir war das im September letzten Jahres der Fall und in Hamburg. Und seltsamerweise fühlte ich mich tatsächlich gut vorbereitet, zumal ich ja über einen professionellen Betreuer verfügte, Lothar Leder himself nämlich. Ein Auge habe ich dennoch nicht zugetan in der Nacht davor, dafür wurde es mir deutlich flau im Magen. So nervös war ich das letzte Mal vor der Abiprüfung.

Es war schrecklich. Ach was: Es war wunderbar.

Um neun sprang ich in die Alster, knapp zwölf Minuten später und somit voll im Soll stieg ich wieder heraus. Für die 20 Kilometer auf dem Rad benötigte ich eine gute Dreiviertelstunde, und somit deutlich weniger als eingeplant. Allerdings verlor ich die Zeit wieder auf den fünf Kilometern zu Fuß. Da bin ich dann doch noch einen kleinen Tod gestorben, allerdings einen wirklich winzig kleinen, an den ich mich schon nicht mehr erinnern konnte, als man mir im Ziel die Medaille um den Hals hängte.

Es war der Tag, an dem ich zum Triathleten geworden bin. Es war ein sehr guter Tag.