Action Possible

»Matrix Reloaded« ist intellektuelles Action-Kino wie sein Vorgänger: Zitate, dass es kracht, und Kung Fu ohne die Gesetze der Schwerkraft. von andreas hartmann

»Die Maschinen sind im Netz miteinander zu Maschinenkomplexen und diese wieder miteinander zu Industrieparks verbunden, und die menschlichen Siedlungen bilden im Netz jene Orte, von denen aus die Menschen in die Fabriken gesogen werden, um dann von dort periodisch ausgesogen, wieder zurückgespieen zu werden.« Vilém Flusser

Es herrscht die blanke Angst bei der Berliner Pressevorführung von »Matrix Reloaded«, dem beinahe hysterisch erwarteten Sequel zu »The Matrix«. Jeder der geladenen Presseleute könnte schließlich ein feindlicher Agent sein, gegen dessen Machenschaften die Filmindustrie Sicherheitsvorkehrungen treffen muss. Man könnte einer von denen sein, die, bewaffnet mit einer DV-Kamera, Sinn und Zweck ihres Daseins darin sehen, vorab eine wacklig abgefilmte Version des Films als Virus ins World Wide Web, ins Netz, in die Matrix zu setzen. Deswegen wird einem als Pressefuzzi auch nicht nur die Tasche kontrolliert, nachdem man die Jacke abgeben musste – wie sonst so üblich bei hysterisch erwarteten A-Level-Streifen –, sondern man muss tatsächlich einen Metalldetektor passieren, bevor man sich in den Kinosaal begeben darf. Es gilt, sich vor einem Ungeheuer, einem vernetzten Maschinenkomplex, zu schützen, den man nicht mehr im Griff hat.

Längst sind die Maschinen nicht mehr den Menschen untertan, sondern umgekehrt wird die Menschheit von den Maschinen versklavt, so das Grundszenario der Matrix-Trilogie der Wachowski-Brüder. Es geht hier zu wie in Charlie Chaplins »Modern Times« oder in Fritz Langs »Metropolis«, »wo die Arbeiter an den Maschinen hängen und zucken wie an Foltergeräten«, wie Klaus Theweleit in seinen »Männerphantasien« schreibt, der schon bei diesen Filmen bemängelte, sie zeigten die Maschine als Monster, »statt des Kapitalisten, der die Monster gezeugt hat«.

Das Maschinelle wird einmal mehr negativ codiert. Zumal die Menschheit, die sich nach Zion, eine im Mittelpunkt der Erde angesiedelte Trutzburg, zurückgezogen hat, gar von einer gewaltigen Maschinenarmee belagert wird, deren Programmierung lautet, nicht bloß zu herrschen, sondern gleich alles menschliche Leben auszulöschen.

So ist der Stand der Dinge in »Matrix Reloaded«. Die Lage ist ernst, weshalb Thomas »Neo« Anderson (Keanu Reeves) dazu genötigt ist, die Rolle des Auserwählten und des Erlösers, an die er sich in »The Matrix« noch langsam herantastet, vollends anzunehmen. Womit er einen Weg einschlägt, auf dem es kein Zurück gibt. Er muss die Menschheit vor ihrer Vernichtung bewahren. »Und wenn ich das nicht kann?« fragt er das Orakel, »wenn ich versage?« Die Antwort fällt klar und deutlich aus: »Dann wird Zion untergehen.«

Der Plot von »Matrix Reloaded« ist wie in »The Matrix« grundsimpel – Mensch gegen Maschine, Gut gegen Böse. Doch erneut verblüfft die ungemein offene Struktur des Films, der dauernd neue diskursive Hintertürchen öffnet und Zitate und Verweise streut, als befände man sich auf einer postmodernen Schnitzeljagd. Intellektuelles Action-Kino, das ist die Erfolgsformel von Matrix. Die Action ist, das war zu erwarten, erneut atemberaubend. In einem vorgezogenen Showdown etwa trägt Neo eine nicht enden wollende Kung-Fu-Schlacht mit dem sich dauernd multiplizierenden Agenten Smith aus. Die balettartige Choreographie kennt hier keine Grenzen des Möglichen mehr. In der Matrix ist schließlich alles möglich. Das zu demonstrieren, gibt sich der Film alle Mühe. War »The Matrix« bereits eine cineastische Revolution, die MTV- und Werbeclip-Ästhetik aufgriff und gleichzeitig prägte, setzt der zweite Teil der Trilogie noch eins drauf. Angeblich gibt es in einer der Action-Szenen aus »Reloaded« mehr Bewegungsaktionen als im gesamten ersten »Matrix«, der ja gerade von seinem Actionreichtum lebte.

»Reloaded« wurde teuer produziert, angeblich sehen wir sogar die teuerste Autojagd der Filmgeschichte, die satte 14 Minuten dauert und bei der nicht nur jede Menge Kollisionen zu begutachten sind, sondern auch Kung-Fu-Kampfszenen auf einem Truck, die keinen Gesetzmäßigkeiten der Schwerkraft mehr zu gehorchen haben. Der Film ist teuer, und man sieht es ihm an. Es jagt nicht nur ein Special Effect den nächsten, eigentlich hat man es pausenlos mit eher virtuellem, computerisiertem Kino zu tun. Zumindest Hollywood wird längst von der Maschinenwelt beherrscht.

So unglaublich vorne »Matrix Reloaded« technisch ist, so eigentümlich antiquiert wirkt er dagegen auf der philosophischen Ebene, zumindest was den erneut breitgetretenen Cyberdiskurs betrifft. Vor vier Jahren, als »The Matrix« in die Kinos kam, waren die Debatten rund ums Internet, um Cybercultures noch heiß. Alles war technisch vorstellbar, Marshall McLuhan erlebte eine glorreiche Renaissance, selbst die bizaren Theorien von Cybertheoretikern wie Hans Moravec wurden teilweise ernst genommen, und das FAZ-Feuilleton begann damit, gerade solchen Typen Platz auf seinen Seiten freizuschaufeln.

Doch inzwischen wirkt der ganze Cyber-Hype doch ziemlich gestrig, man wischt sich die Augen und fragt sich: War da mal was? Cyber-Hippietum ist so ziemlich das Letzte, was einen heute noch interessiert. Somit kann man sich auch zu der kühnen Vermutung versteigen, dass Matrix II, der gleichzeitig mit dem letzten Teil der Trilogie, »Matrix Revolutions«, abgedreht wurde, weniger aufgrund seiner philosophischen Dimension so heiß erwartet wird, sondern wegen dem ganzen Rest.

An die 400 Verweise – von »Alice im Wunderland« über asiatisches »martial arts«-Kino bis hin zu irgendeiner Theorie von Baudrillard – wollen die Regisseure, die Brüder Wachowski, in ihrem neuen Film versteckt haben. Mir fallen da seltsamerweise Parallelen zur jamaikanischen Rastafari-Bewegung in »Matrix Reloaded« auf, was wahrscheinlich eher der vierhunderteinste Verweis sein dürfte. Macht aber nichts. Denn auch bei den Rastas heißt das gelobte Land Zion, und auffallend viele der Bewohner von Zion in »Matrix Reloaded« haben Rastas. Neo steht wie Haile Selassie, den die Rastas »Jah Rastafari« nennen, für den Erlöser. Morpheus (Laurence Fishburne) weist Neo den Weg, er ist eine Art Marcus Garvey, der den Rastas eine bessere Zukunft versprach. Babylon, eh klar, ist das Reich der Maschinen, das es zu zerstören gilt. Trinity (Carrie-Anne Moss) ist die Geliebte von Neo, Trinity nannte sich aber auch ein Reggae-DJ in den Siebzigern. Nach der Meinung von Lloyd Bradley, die in seinem eben auf Deutsch erschienenen Buch »Bass Culture« nachzulesen ist, wurde der gute Roots-Reggae der Siebziger durch den Dancehall der Achtziger mit seiner Glorifizierung von Gewalt und Sexismus zerstört. Stellvertretend für den bösen Dancehall könnte Yellowman stehen, ein Albino, der zum größten Star des Dancehall überhaupt wurde. Auch in »Matrix Reloaded« stehen ausgerechnet zwei Albinos mit Rastas im Dienst der Maschinenwelt, die in einer Schlüsselszene sogar Trinity verfolgen.

Der Vergleich von »Matrix Reloaded« mit dem jamaikanischen Rasta-Kult macht zumindest die dauernd präsente religiös-spirituelle Ebene des Films deutlich, die man sich doch um einiges weniger esoterisch-verkitscht gewünscht hätte. Leider wurde dem Film trotz all den fliegenden Rastazöpfen kein Reggae unterlegt, sondern halbgarer Tribal-Techno, mit dem man Babylon nur schwer in Schutt und Asche legen dürfte. Doch wir werden sehen, zur Revolution soll es ja erst im dritten Teil kommen.

Matrix Reloaded, R: Wachowski Brothers, USA 2003, 136 Minuten. Start: 22. Mai.