Wintersportdepression in Österreich

Bluten bringt nichts

Nach den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City ist das Selbstbewusstsein der Skination Österreich ziemlich perforiert. Nicht einmal Doping per Dialyse scheint etwas genützt zu haben.

Alle kennen das Problem. Da verreist man, fühlt sich in seinem neuen Quartier pudelwohl und wenn es dann an die Heimreise geht, vergisst man schon mal das eine oder andere persönliche Requisit in der Ferienwohnung. Der gewöhnliche Tourist nimmt zwar gerne das Frotteehandtuch oder den Bademantel aus dem Hotelzimmer als kleines Souvenir mit nach Hause, vergisst aber beispielsweise seine Socken oder gebrauchte Unterwäsche in der Unterkunft.

Auch hierbei sind Österreichs Spitzensportler eine Klasse für sich. Das Langlaufteam ließ zwar aus dem Privatquartier nichts mitgehen, dafür aber schien es seine Zimmer hinterlassen zu haben wie ein Junkie manchmal den nächstbesten Park. Injektionsnadeln fand die Vermieterin, die sich an einer sogar stach. Aus Angst, mit einem österreichischen Virus infiziert worden zu sein, brachte sie in der letzten Woche die Nadel zum Olympischen Komitee in Salt Lake City. Das gab Entwarnung: kein Virus, aber möglicherweise Doping.

Als das Quartier untersucht wurde, erwies sich die bescheidene Unterkunft als ein prächtiges medizinisches Labor. Auch Geräte zur Bluttransfusion wurden gefunden. Da drängt sich der Verdacht auf, Jörg Haider habe wieder salomonische Diplomatie betrieben und nicht nur Saddam Hussein irgendwelches Blutaustausch-Gerümpel hinterlegt, sondern auch den Amerikanern.

Doch weit gefehlt. Die Langläufer des österreichischen Teams hatten die Möglichkeit, sich einer ganz besonderen Therapie zu unterziehen, um frisch über die Pisten zu kommen. Blut wurde abgesaugt, einer UV-Bestrahlung unterzogen und wieder injiziert. »So etwas hat keine Wirkung, das würde kein Arzt machen«, zürnte denn auch der Teamarzt Peter Baumgartl, aber offenbar hat ja auch kein Arzt die seltsame Therapie verabreicht, sondern irgendjemand aus dem Betreuerteam.

Der Teamchef Walter Mayer schien auch ziemlich überrascht zu sein, dass die Zimmervermieterin überhaupt so ein Aufsehen wegen der paar Nadeln und der Verwandlung der Sportlerzimmer in Dialysestationen machte. »Wir haben uns nix dabei gedacht«, so Mayer, dessen Karriere nun vielleicht vorbei ist. Ob es sich tatsächlich um Doping handelt, weiß das Olympische Komitee noch nicht, die österreichische Schadenfreude über den Sünder Johann Mühlegg aber ist rasch verflogen.

Schließlich hatten sich die mit Silber- und Bronzemedaillen bestückten österreichischen Langläufer Chancen ausgerechnet, dass ihnen durch die Aberkennung aller Goldmedaillen Mühleggs eventuell doch noch eine solche zufallen könnte. Nun aber müssen sich die Sportler gar den Vorwurf gefallen lassen, mit Mühlegg oder den russischen Langläuferinnen Larissa Lasutina und Olga Danilowa eine Achse des Bösen in der Loipe gebildet zu haben. Für die Österreicher wäre das eine eindeutige Strafverschärfung, denn diese Olympischen Spiele hatten eine seelenverstümmelnde Wirkung. Nur 16 Medaillen und im internationalen Medaillenspiegel auf Platz 13, hinter den Deutschen und sogar hinter solchen Alpinmächten wie den Niederlanden.

Besonders groß ist der Schmerz in Österreich über die Anzahl der Goldmedaillen, die sich an zwei Ohren abzählen lassen und nicht so wie sonst bei Olympischen Winterspielen an zehn Fingern. Es wäre aber kein richtiger Österreicher, wer nicht auch im Unglück des matten Medaillenspiegels einen Rekord vermuten würde. So dopte der Präsident des Österreichischen Olympischen Komitees, Leo Wallner, die Nation, als er in den elf »blechernen Medaillen«, also vierten Plätzen bei diesen Spielen einen »neuen Rekord und zugleich Beweis für die große Leistungsdichte des österreichischen Teams« erkannte.

Es hatte ja schon mit bösen Vorahnungen begonnen. Im vergangenen Sommer wurde der Salzburger Hermann Maier von einem deutschen Rentner per Auto von der Landstraße geschoben, als er gerade mit seinem Motorrad durch die Gegend düste. Es war dieser 24. August 2001, der zeigte, dass mit der Mobilität des Hermann Maier auch die Hoffnungen auf einen olympischen Goldrausch dahinsiechten.

Andere Alpinsportler solidarisierten sich mit dem humpelnden »Herminator« und bauten in den folgenden Monaten ebenfalls grandiose Unfälle. Selbst die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Salt Lake City wurde von bösen Vorahnungen des Kommentators des österreichischen Rundfunks überschattet. Als Eisläufer Flaggen mit den Namen der bisherigen olympischen Austragungsorte von Chamonix bis Nagano ins Stadion trugen und Sarajevo ins Bild kam, seufzte der Moderator entsetzt: »Daran erinnern wir uns nicht so gerne.« Gemeint war nicht der Bosnien-Krieg mit 250 000 Toten, gemeint waren die Olympischen Spiele 1984 in Sarajevo mit nur einer einzigen Bronzemedaille für Österreich.

Als gegen Ende der diesjährigen Spiele der erwartete Medaillenrekord ausblieb, wurde denn auch der Ton der Kommentatoren des österreichischen Rundfunks schärfer. So waren etwa die Pistenverhältnisse beim Herren-Slalom schuld daran, dass von vier österreichischen Torstangen-Wedlern gleich im ersten Durchgang zwei ausfielen. Eindeutig unfair, diagnostizierten österreichische Journalisten in Salt Lake City und schwiegen darüber, dass auch die internationale Konkurrenz unter den widrigen Verhältnissen zu leiden hatte.

Aber auch wenn diese Spiele trotz hartnäckiger gegenteiliger Behauptungen der alpenrepublikanischen Sportfunktionäre vielleicht nicht so erfolgreich waren wie andere, so verstanden es die Regisseure des Schneezaubers doch, das Publikum bei Laune zu halten, und hatten teilweise außerordentliche Inszenierungen parat. Besonders gelungen war der Empfang der österreichischen Truppe am Salzburger Flughafen am Dienstag der vergangenen Woche. Die Sondermaschine der Austrian Airlines stand am Rollfeld, der rote Teppich war ausgelegt und die österreichischen Sportler defilierten an der jubelnden Menge vorbei. Nur wenige der Zuschauer bekamen mit, dass beim Empfang hässlich geschummelt wurde.

Weil einige Olympioniken schon seit Tagen wieder in Österreich waren und den Sonderflug aus Salt Lake City deshalb auch nicht in Anspruch nahmen, wurden sie durch eine dem Publikum abgewandte Flugzeugtür in die Maschine gebracht, und sie stiegen dann mit den tatsächlichen Heimkehrern wieder aus. Das macht was her. Ob auch in der Maschine Injektionsnadeln gefunden wurden, war bis zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt.