Pekings Bewerbung für Olympia

Nach den Ringen greifen

Die sportlichen Erfolge in Sydney haben bei den Chinesen zu großer Euphorie geführt. Nun bewirbt sich Peking für die Olympischen Spiele 2008.

Als am 17. Januar eine Pekinger Kommission die Bewerbungsunterlagen für die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2008 beim IOC in Lausanne einreichte, wurde diese zweite Olympiabewerbung nicht nur aktiv von Staatspräsident Jiang Zemin und Premierminister Zhu Rongji unterstützt, sie findet auch die Zustimmung der chinesischen Bevölkerung. Selbst aus Dissidentenkreisen kommen moderate Töne. Zwar nutzten 119 Oppositionelle die Dossierübergabe in Lausanne dazu, die chinesische Regierung aufzufordern, die Spiele als Chance zur Liberalisierung des Landes zu nutzen; gegen eine Vergabe der Olympiade an Peking sprachen sie sich jedoch nicht aus.

Wenn das IOC am 13. Juli dieses Jahres in Moskau über die Vergabe der Olympischen Spiele 2008 entscheidet, wird bei vielen Chinesen die Erinnerung an die Abstimmung vor acht Jahren wieder hochkommen. Bis zur letzten Runde hatte Peking so deutlich vor Sydney geführt, dass viele schon zu feiern begannen. Sydney gewann jedoch mit zwei Stimmen Vorsprung. Der Schock saß tief, Peking verzichtete auf eine Bewerbung für 2004, eine Zeit lang war sogar Hongkong als Alternativkandidat für 2008 im Gespräch.

Angesichts der zunehmenden internationalen Integration und der jüngsten sportlichen Erfolge wurde in der VR China dann eine erneute Bewerbung Pekings gefordert. Die Regierung war sich zudem der starken Unterstützung der Bevölkerung sicher und hofft nun, mit einer erfolgreichen Bewerbung die eigene Reputation zu verbessern.

Wer während der Olympischen Spiele von Sydney in China war, konnte die olympische Begeisterung der Chinesen überall beobachten. Es gab kaum ein Restaurant oder ein Geschäft, in dem die Übertragungen nicht gezeigt wurden. Selbst der staatliche Sender CCTV-1, sonst für die offiziellen Verlautbarungen der KPCh zuständig, übertrug live, obwohl doch die meisten Entscheidungen bereits im Sportkanal zu sehen waren. Im Halbstundentakt ertönte die chinesische Nationalhymne. In den meisten Gesprächen ging es um die am Vortag gewonnenen Medaillen und die weiteren Chancen. Auch wenn am Ende nur der dritte Platz in der Nationenwertung heraussprang, war die nationale Euphorie enorm.

Die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 wäre für die chinesische Regierung in vielerlei Hinsicht ein Glücksfall. Erstens würde sie die Finanzierung der ohnehin dringend notwendigen Maßnahmen zur Förderung der Infrastruktur erleichtern, wie den Bau dreier neuer U-Bahnlinien, einer S-Bahn sowie weiterer Stadtautobahnen. Der angeschlagenen Bauindustrie und dem unter Druck geratenen Immobilienmarkt könnten so neue Impulse gegeben werden.

Vor allem jedoch wäre eine erfolgreiche Bewerbung Pekings von großer innenpolitischer Bedeutung. Seit Jahren versucht die chinesische Regierung mit dem Appell an das chinesische Nationalbewusstsein, die Unzufriedenheit über den Reform- und Öffnungskurs in der Bevölkerung zu kanalisieren und in nationale Euphorie umzuwandeln. Die Olympischen Spiele könnten ein neues Wir-Gefühl inspirieren, das die vielfältigen innenpolitischen und ökonomischen Probleme Chinas zeitweilig verdrängte.

»Wir sind wieder wer!«, lautet die Botschaft der erneuten Olympiabewerbung Pekings. Die Chinesen möchten der Welt demonstrieren, dass die VR China ein modernes Land geworden ist, das eine Führungsrolle in der Welt zu übernehmen gedenkt. Das zukünftige Olympiastadion soll auf der nördlichen Verlängerung der Pekinger Zentralachse errichtet werden, die seit jeher die Macht des chinesischen Reiches und seiner Herrscher symbolisierte. Das olympische Feuer befände sich damit auf einer Linie mit dem Kaiserpalast und dem Mao-Mausoleum.

Auf den ersten Plakaten, die in den Straßen Pekings für die Olympiabewerbung Reklame machten, sah man eine Kinderzeichnung der Athener Akropolis, die das Olympische Feuer an das Tor des Himmlischen Friedens weitergab. Die Botschaft war deutlich: Nachdem die Spiele 2004 in ihr Ursprungsland zurückgekehrt sind, brechen sie zu neuen Ufern auf. Und erreichen damit endlich die andere große Welt-Kulturnation.

Bis Peking jedoch wirklich bereit ist, Olympische Sommerspiele auszurichten, muss noch viel investiert werden. Noch fehlt zum Beispiel ein funktionierendes Nahverkehrssystem. Zur Rush-hour bricht regelmäßig das Chaos aus. Auf die Verständigung mit internationalen Besuchern ist man auch nicht besonders gut vorbereitet; trotz großer Anstrengungen in den letzten zehn Jahren sprechen noch immer nur wenige Chinesen ausreichend Englisch, um den reibungslosen Ablauf einer solchen Großveranstaltung zu ermöglichen.

Dennoch ist das IOC optimistisch, dass Peking diese Probleme lösen kann. Der politische Wille, der chinesischen Hauptstadt nach der missglückten Bewerbung für die Sommerspiele 2000 eine zweite Chance zu geben, ist mehr als deutlich. Das IOC sieht immerhin bei Olympischen Spielen im Reich der Mitte große Vermarktungschancen. Deshalb geht Peking wieder als Favorit in die Abstimmung. Denn zweimal hintereinander wird die Olympiade wohl nicht mehr auf demselben Kontinent stattfinden, ein großer Nachteil für den schärfsten Konkurrenten Paris.

Da zudem selbst aus Dissidentenkreisen Zustimmung kommt, wird die Menschenrechtsfrage bei der Auswahl der Olympiastadt 2008 wohl kaum eine Rolle spielen. In der offiziellen Bewerbung hat die chinesische Regierung bereits zugesichert, dass sämtliche Olympiadelegierten auch ein Einreisevisum nach China bekommen werden. Damit sollen die Befürchtungen des IOC ausgeräumt werden, dass sich die Ereignisse von 1995 wiederholen, als unliebsamen Teilnehmern der in Peking stattfindenden UN-Weltfrauenkonferenz die Einreise verweigert wurde.

Was den Erfolg Pekings bei der Abstimmung des IOC am 13. Juli noch verhindern könnte, sind die schlechten Umweltbedingungen. Peking gehört zu den am stärksten verschmutzten Städten der Welt. Schon jetzt reichen die Wasserressourcen Nordchinas kaum aus, um den im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung steigenden Bedarf zu decken.

Entsprechend groß sind die Anstrengungen des chinesischen Bewerbungskomitees, dem IOC das Bild einer ökologisch verträglichen Olympiade zu vermitteln. Neben dem offiziellen Slogan »New Peking, Great Olympics« (im Chinesischen heißt er interessanterweise »Neues Peking, Neues Olympia«) stellt das Komitee die »grüne Olympiade« in den Mittelpunkt. Bereits jetzt werden die Bemühungen der Pekinger Stadtregierung sichtbar, die Hauptstadt zu begrünen. Keine leichte Aufgabe, mussten doch in den letzten zehn Jahren unzählige Grünflächen und Bäume sechsspurigen Stadtautobahnen und Ausfallstraßen weichen. Gleichzeitig versucht die Regierung, die Heizungsumstellung von stark schwefelhaltiger Kohle auf Erdgas zu beschleunigen.

Wenn die IOC-Delegation die chinesische Hauptstadt im Februar besucht, werden wohl wie schon beim letzten Besuch einer Evaluierungskommission im Jahr 1993 viele Einwohner frieren müssen: Kohleheizungen mussten kurzerhand abgeschaltet werden, um den gewohnten winterlichen Smog über der Hauptstadt zu mildern.