Ökonomie mit Appeal

Nun ist sie da, die deutsche Ausgabe der Financial Times: Kapitalisten können sich keine Lügen leisten.

Wirtschaftszeitungen können nur in einem begrenzten Ausmaß cool sein. Einige sind es mehr, andere weniger. Zu den Wirtschaftszeitungen die besonders cool sind, gehören solche wie Econy und Brand Eins. Ihre Redakteure sind an der Wirtschaft eher unter Gesichtspunkten des Lebensstils und der Philosophie interessiert. Sie treffen sich in coolen Cafés mit coolen Leuten, die viel Geld verdienen, und schreiben später alles auf, auch, wie die Stühle in dem coolen Café aussahen und ob der Barmixer seinen Job gut machte. Die Rubriken in den coolen Wirtschaftsmagazinen heißen z.B. »Konsequenz und Leidenschaft« oder »Idee und Aufbruch«. Man kann dort nachlesen, dass Erfolg mit Konsequenz und Leidenschaft und Idee und Aufbruch zu tun hat.

Neben den wenigen coolen gibt es eine Unzahl von Wirtschaftszeitungen, die eher praktisch sind. Da mittlerweile auch Hausfrauen mit ihrem Wirtschaftsgeld an der Börse zocken, handelt es sich hier um einen stark expandierenden Markt. Deshalb kann man an einem durchschnittlichen Bahnhofskiosk jederzeit zwischen fünfzig verschiedenen, teilweise spezialisierten Wirtschaftsmagazinen wählen, Tendenz steigend. Im Burda-Verlag bastelt man seit längerem an einem Journal mit dem Arbeitstitel Zett, die Hamburger Verlagsgruppe Milchstraße will neben Max auch etwas Seriöses ins Sortiment nehmen und arbeitet an der Internet-Illustrierten Net Business, die 14tägig erscheinen soll. In den praktisch orientierten Wirtschaftszeitungen geht es manchmal zwar auch um innovative Ideen, vor allem aber erfährt der Leser, wie er an viel versprechende Aktien kommt und welche Unternehmen demnächst Pleite machen.

Seit dem Montag der vergangenen Woche erscheint täglich eine deutsche Ausgabe der Financial Times (FTD; »D« für Deutschland). Das in London ansässige Original existiert seit 1893, nach dem Zweiten Weltkrieg stieg das Blatt zur führenden Tageszeitung Großbritanniens auf. Einschließlich der US-Ausgabe werden von der englischsprachigen FT täglich weltweit rund 430 000 Exemplare verkauft, davon 22 000 in Deutschland. Ihre Chefs verfolgen traditionell ein ziemlich klares Leitmotiv: Schreiben, »was unseren Lesern nutzt, um Geld zu verdienen«. Die junge Welt identifizierte die FT kürzlich als »eminentes Sprachrohr« des »globalen Finanz- und Großkapitals«, und ein chinesischer Diplomat hat angeblich einmal gesagt, die FT sei »die zuverlässigste internationale Quelle, weil sich Kapitalisten keine Lügen leisten können«.

Die deutsche Ausgabe der FT ist ein Joint Venture zwischen der britischen Pearson Group und dem Hamburger Verlag Gruner+Jahr. Die Startauflage von 50 000 Exemplaren soll in vier Jahren verdoppelt werden. Fachleute haben errechnet, dass die Kleinigkeit von 300 Millionen Mark als Anlaufinvestition in das Projekt gesteckt wurde. In ihren Redaktionen in Hamburg (Zentrale), Berlin (Politik) und Frankfurt/M. (Finanzmärkte) beschäftigt die FTD rund 200 Leute, davon 130 Journalisten. Wirtschaftsredakteure sind derzeit knapp; Chefredakteur Andrew Gowers musste sie reihenweise bei der Konkurrenz abwerben und bescherte so dem ganzen Fachzweig exorbitante Gehaltssteigerungen. Auch anderweitig hat die lange angekündigte FTD weitere Bewegung in die ohnehin boomende Branche gebracht: Die meisten überregionalen Tageszeitungen erweiterten vorbeugend ihre Wirtschaftsberichterstattung, die direkte, ebenfalls täglich erscheinende Konkurrenz vom Handelsblatt (Auflage: 170 000) engagierte 40 neue Redakteure, verpasste sich einen Relaunch und kooperiert neuerdings mit dem Wall Street Journal.

Sogar die Frankfurter Rundschau hat das Ganze etwas irritiert als »Hype« bezeichnet, und wie der funktioniert, stand in Spiegel Reporter: »Vor 30 Jahren manifestierte sich gesellschaftliche Aufbruchstimmung in linksalternativen Blättern und sexualrevolutionären Magazinen, jetzt ist Aufklärung über Start-ups, Neuemissionen und E-Commerce gefragt. Plötzlich haben die früher stinklangweiligen Wirtschaftsblätter so etwas wie Sex-Appeal; Wirtschaftsjournalisten, lange als Sonderlinge verspottet, dürfen auf Partys über Kerzencharts und Erzeugerpreise referieren - und alle hören zu.«

Dass jetzt alle zuhören und Sex-Appeal vorhanden ist, ändert allerdings nichts daran, dass Wirtschaftsjournalisten Sonderlinge und Wirtschaftszeitungen (fast immer) stinklangweilig sind. Die FTD ist das beste Beispiel. So klingen die als innovativ angekündigten Überschriften und Schlagzeilen ziemlich vertraut, nämlich staubtrocken oder bizarr: »Münchener Rück prüft Verkauf von Anteilen«, »Auf Gashändler kommen harte Zeiten zu«, »Bosch-Siemens entdeckt China für Kühlschränke«, »Verkaufskanone mit der Lizenz zum Feuern«. Der vollmundig geäußerte Anspruch, jeden Tag eine Exklusiv-Enthüllung zu präsentieren, wurde gleich am ersten Erscheinungstag zurechtgestutzt: Der Aufmacher über einen geplanten radikalen Umbau bei Siemens erwies sich als Ente.

Dafür ist die Redaktion anderweitig kreativ. Ohne diplomatische Rücksichten stellt man weit reichende Forderungen auf: »Die USA müssen vom hohen Ross und von Europa lernen.« Ob das Pentagon demnächst in einem norddeutschen Pferdestall Quartier nimmt? In einem Bericht über die Zukunft der Firma Braun tritt der Boss als Asket auf: »Nur die Trockenrasierer und elektrischen Zahnbürsten will Konzernchef Michael C. Hawley behalten.« Auch auf der Cebit war mehr los, als die »Tagesschau« preisgab: »Hier kommen die Architekten, Maurer, Tapezierer und Klempner der Internet-Ökonomie zusammen, um sich gegenseitig bis zum Umfallen mit Daten zu beschießen.« Und kommt ein bisschen Spaß auf, so schlägt der Bürokratismus wieder zu; die berüchtigten gut informierten Kreise heißen neuerdings »verhandlungsnahe« Kreise oder »Personen, die mit dem Vorgang vertraut sind« - und als solche begleiten sie den Leser ohne Pause, ohne Gnade.

Politisch steht die FTD erst mal an der Seite von Rot-Grün. Man teilt auch den aufgeklärten und nutzwertorientierten Rassismus der Berliner Regierung und begrüßt den Vorschlag Gerhard Schröders, offene High-Tech-Stellen an hochqualifizierte Ausländer zu verteilen: »Bisher sind die Migrationsgesetze defensiv: Sie verhindern, dass diejenigen kommen, die wir nicht wollen.« Das ist auch gut so, aber ein »neues Gesetz sollte« darüber hinaus »offensiv diejenigen einladen, die wir brauchen«.

Die FTD sieht aus wie das amtliche Mitteilungsblatt einer Kleinstadtverwaltung, randvoll mit Buchstaben und Tabellen. Aus Finanzgründen natürlich, man muss rationell mit dem Platz umgehen. Die wenigen kleinen Fotos sind so wüst beschnitten, als habe der Praktikant einer Kleinstadtverwaltung Layouten geübt. Der Sex-Appeal muss in den Zahlen sein. Zahlen gibt es im Überfluss; Bilanzen, wegrationalisierte Arbeitsplätze, Übernahmepreise, Umsatzsteigerungen. Man könnte sogar sagen: Die FTD ist ein Zahlenzoo mit Buchstaben drumherum. Hörte der Chefredakteur dieses Urteil, er würde zufrieden mit den Achseln zucken. Ich gehöre nämlich nicht zur Zielgruppe.