Uno-Mandat fürs IOC

Keiner der Vorwürfe gegen das Internationale Olympische Komitee und seinen Vorsitzenden Samaranch ist neu, und ändern wird sich auch nichts

"Ich bin fest davon überzeugt, daß jemand Samaranch aus dem Amt jagen möchte, ihn zwingen will zurückzutreten", erklärte das unter Korruptionsverdacht stehende russische IOC-Mitglied Witali Smirnow am letzten Samstag, einen Tag vor der Vorstellung des Berichts der Untersuchungskommission, zu den jüngsten Bestechungsvorwürfen.

Smirnows Äußerung hatte Erfolg, er wurde, im Gegensatz zu vier afrikanischen und zwei lateinamerikanischen Kollegen, nicht suspendiert, sein Fall soll erst noch überprüft werden. Dabei hatte er in seiner Verschwörungstheorie doch gleichzeitig, wenn auch sicher unbeabsichtigt, einen der Hauptschuldigen an den Skandalen rund um das Internationale Olympische Komitee benannt.

Juan Antonio Samaranch denkt aber nicht daran zurückzutreten. In sechs Wochen werde er bei einer turnusmäßigen IOC-Vollversammlung die Vertrauensfrage stellen, erklärte er zwar, fügte jedoch schon hinzu, daß er "während der letzten Wochen viele Briefe und Anrufe von IOC-Mitgliedern" erhalten habe, in denen ihm dieses Vertrauen ausgesprochen worden sei. Das ist nicht verwunderlich, immerhin verdanken sie Samaranch ihren Job, denn zum Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees wird man nicht gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt. Und Samaranch wird für alle Fälle vorgesorgt haben, schließlich gilt er als Meister der Trickserei.

Bei einer IOC-Sitzung 1995 in Budapest schaffte es der damals 75jährige z.B., gegen den Widerstand einiger Funktionäre, die geltende Altersregel für Funktionäre auf 80 Jahre heraufzusetzen, so daß er im Amt bleiben konnte - Samaranch ließ darüber unplanmäßig am letzten Tag der Tagung abstimmen, als viele Stimmberechtigte schon abgereist waren.

In Deutschland werden solche Geschichten im Zuge des IOC-Skandals nun wieder hervorgekramt. Anderswo beschäftigte man sich dagegen schon sehr lange kritisch mit Samaranch und dem IOC: "Wen stellt dieses Bild dar?" fragte schon 1994 die norwegische Tageszeitung Dagbladet, übliche Gewinnspiele persiflierend, neben einem Foto des IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch, und bot als Lösungen an: "A. einen guten Kumpel von Franco, B. einen viel zu alten Mann, C. jemanden, der ganz dringend Friedensnobelpreisträger werden möchte, jedoch ohne den geringsten Grund".

Die Leser fanden wohl alle Antworten zutreffend, niemand protestierte, das Internationale Olympische Komitee und sein Präsident standen in Skandinavien seit jeher in einem äußerst schlechten Ruf. Das war fatal für den ehemaligen Franco-Parteigänger, denn der Friedensnobelpreis wird von einem norwegischen Gremium vergeben. Und deswegen muß Samaranch mit den Journalisten des kleinen Landes ausgesucht taktvoll umgehen, anstatt ihnen umgehend die Tür zu weisen, eine besonders gute Figur machte der Mann dabei allerdings bisher noch nie.

1994 durfte dann, absolut unerwartet, die norwegische Kleinstadt Lillehammer, ohne vorangegangene Bestechung, die Olympischen Winterspiele austragen. Zur vielleicht erwarteten Dankbarkeit führte diese IOC-Entscheidung im Gastgeberland jedoch nicht. Im Gegenteil: Kurz vor dem Start der Lillehammer-Spiele erklärte der dreifache Olympiasieger im Skilanglauf, Vegard Ulvang, in einem Interview, das IOC sei eine zutiefst undemokratische Vereinigung, die dringend reformiert werden müsse - unter anderem mit dem Ziel, Entscheidungen transparenter zu machen - und griff Samaranch wegen seiner faschistischen Vergangenheit an.

Samaranchs Antwort kam ebenso prompt wie eindeutig und ist ein gutes Beispiel dafür, wie der IOC-Präsident taktiert: Er sprach sich in einer offiziellen Pressekonferenz, scheinbar beiläufig und ohne besonderen Grund, dafür aus, künftig auch Asthma-Medikamente auf die Dopingliste zu setzen - eine Erklärung, die außerhalb Norwegens nicht verstanden wurde. In Ulvangs Heimatland interpretierte man sie als Machtdemonstration, denn zufällig leidet ausgerechnet dieser Sportler unter sogenanntem Belastungsasthma. Solche Luftnot-Anfälle werden durch Anstrengungen in kalter Luft hervorgerufen, können jedoch mit entsprechenden, bisher nicht auf der Dopingliste stehenden Medikamenten unterdrückt werden - der Vorstoß des IOC-Präsidenten war nichts anderes als die Androhung eines Berufsverbotes.

Daraufhin wurden die norwegischen Angriffe auf Samaranch noch heftiger, weitere Enthüllungen, beispielsweise über seine Amtszeit als Franco-Minister, folgten. Als der IOC-Präsident schließlich erklärte, er sei zutiefst beleidigt worden und könne sich daher gut vorstellen, der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Lillehammer fernzubleiben, waren die Norweger sehr zufrieden - eine satte Dreiviertel-Mehrheit hielt Samaranchs Vorhaben für eine gute Idee.

Der IOC-Vorsitzende kam trotzdem zur Auftaktveranstaltung, der Eklat blieb allerdings aus. Zuvor hatten sich Ulvang und Samaranch getroffen. "Er hat mich eine Stunde lang warten lassen und dann gerade fünf Minuten mit mir geredet", sagte Ulvang später über das Treffen, "das Umfeld war unglaublich pompös, es war, als würde ich von einem König empfangen."

Internationale Aufmerksamkeit weckten diese autoritären Auftritte des Funktionärs Samaranch selten. Ebensowenig wie die immer wieder vermuteten und im Fall der Berliner Olympiabewerbung sogar erwiesenen Bestechungen. Bekanntgewordene Skandale wurden in der Vergangenheit eher als nationale Probleme gesehen. Erst nachdem ein IOC-Funktionär Ende letzten Jahres die Korruptionsfälle von Salt Lake City anprangerte, interessierten plötzlich auch alten Geschichten.

In einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 20. Januar erklärte Vegard Ulvang über Samaranch: "Ein faschistischer Minister gewesen zu sein, ist bei uns in Norwegen nichts, worauf man stolz sein könnte. Samaranch aber ist sehr stolz darauf, das hat er ja mehrfach verkündet." Der Skilangläufer fuhr fort: "Der Weltsport braucht eine andere Kultur, in der Bestechung nicht mehr zur Tagesordnung gehört."

Und weiter: "Ich beobachte das alles ja nur noch von der Seitenlinie aus, um mal eine Sportvokabel zu gebrauchen. 1994 hatte ich diese Auseinandersetzung mit Samaranch. Seitdem hat sich nichts geändert, es ist eher noch schlimmer geworden. Keine Frage, daß man da resigniert!" sagte Ulvang und forderte, die Olympischen Spiele von den Vereinten Nationen kontrollieren zu lassen.

Aber vom IOC lernen, heißt auch aussitzen lernen. Aussichtsreichster Schüler ist derzeit der Internationale Fußballverband Fifa, bei dessen Weltmeisterschaften es, ähnlich wie bei Olympiaden, immer um viel Geld geht. Letzten Samstag wurde bekannt, daß der 1998 abgetretene Vorsitzende der Fifa, Jo‹o Havelange, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, seinen Status ebenfalls ausgenutzt haben soll. Nach einem Bericht der niederländischen Tageszeitung De Telegraaf waren anläßlich der erfolglosen Bewerbung der niederländischen Hauptstadt teure Abendessen-Einladungen, Geschenke und Besuche in "privaten Clubs" bezahlt worden - Havelange hatte damals gemeinsam mit anderen IOC-Mitgliedern Amsterdam besucht und war dort vor allem in Erinnerung geblieben, weil er, so ein früherer Mitarbeiter des Bewerber-Komitees, "sehr spezielle Wünsche hatte".