Heidi Lippmann-Kasten

»Schröder ist hilflos«

Neue Aufgaben für die Bundeswehr: Geht es nach Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), dann kämpft die starke Truppe bald erstmals auf dem Boden. Ob mit oder ob ohne UN-Mandat - wenn es gegen Jugoslawiens Präsidenten Slobodan Milosevic geht, will Schröder nicht hintanstehen. Schließlich geht es um Deutschlands neue Verantwortung in der Welt. "Wir handeln in und mit der internationalen Staatengemeinschaft, und angesichts dessen kann man nichts ausschließen", drohte er am Wochenende und war sich zugleich "sicher, daß die beschriebene Option in der Koalition und in unserer Gesellschaft verstanden und akzeptiert wird". Heidi Lippmann-Kasten saß von 1994 bis 1998 für Bündnis 90/Die Grünen im niedersächsischen Landtag. Nach ihrem Parteiwechsel im vergangenen Jahr ist sie nun Abrüstungspolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion

Bundeskanzler Schröder hat sich am Wochenende an die Spitze der Interventionisten gestellt: Selbst den Einsatz deutscher Bodentruppen im Kosovo schließt er nicht mehr aus. Ist das das neue Modell für die Krisenprovinz: die Bundeswehr als Schutztruppe der UCK?

Wohl nicht nur als Schutztruppe der UCK, sondern vor allem als Aggressor gegen die serbische Bevölkerung vor Ort. Es ist ein absoluter Akt der Hilflosigkeit, wenn man - insbesondere mit deutschen Bodentruppen - in derartiger Weise Kriegspropaganda betreibt.

Schröders Vorschlag ist nicht einmal durch das bisherige Mandat für die Nato-Truppe in Mazedonien gedeckt. Die darf nur zur Rettung der OSZE-Helfer eingreifen. Verstößt Schröder gegen das Völkerrecht?

Schon die Stationierung der Truppen in Mazedonien war rechtlich nicht einwandfrei abgesichert, und auch jetzt handelt es sich wieder um eine Selbstmandatierung. Der Vorschlag steht aber auch für die Politik, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben: der Dominanz des Militärischen in der deutschen Außenpolitik sowie der Kontinuität, mit der die Politik von Kinkel und Kohl fortgesetzt wird.

Selbst die USA bezweifeln, daß Bodentruppen eine Lösung des Konflikts bewirken könnten. Wie erklärt es sich, daß Schröder jetzt so vorprescht?

Was der Angriff der Amerikaner und der Briten im Irak gezeigt hat, nämlich, ohne Konzept anzugreifen, um Stärke zu beweisen, beweist Schröder jetzt auch: Es gibt kein Konzept für eine Befriedung der Situation in der Republik Jugoslawien, die über den morgigen Tag hinausgeht. Von daher sind jegliche militärischen Mittel absolut in Frage zu stellen, insbesondere, wenn sie von deutscher Seite vorgeschlagen werden.

Stimmen Sie denn mit der Regierung darin überein, daß Milosevic der Hauptschuldige für den Krieg im Kosovo ist?

Wenn man das ganze historisch betrachtet, und ich tue das seit sehr vielen Jahren, dann sieht man zunächst einmal die Fahrlässigkeit der internationalen Staatengemeinschaft. Als die Provinz Kosovo im Jahre 1990 die Autonomie aberkannt bekam, hätten Reaktionen erfolgen müssen - auch international. Das ist nicht geschehen. Danach gab es jahrelang einen friedlichen Widerstand unter Führung von Rugova, der aber nicht getragen hat. In Dayton dann wurde eindeutig versäumt, über den Kosovo zu verhandeln. Dies war meines Erachtens ein Signal an Milosevic, daß er hier mit anderen Mitteln vorgehen kann. Und das hat auch zu einer Militarisierung innerhalb der UCK geführt. Wer jetzt im Kosovo der Aggressor ist und wer darauf reagiert, möchte ich dahingestellt sein lassen. Im Moment gibt es bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen zwei Parteien. Deshalb müssen auch die Hintergründe des Massakers von Racak lückenlos aufgeklärt werden, dazu müssen auch Uno- und OSZE-Kräfte vor Ort sein. Ich will den Untersuchungsergebnissen nicht vorgreifen.

Sie monieren, daß das Kosovo aus Dayton herausgehalten wurde. Wäre es denn richtig gewesen, die serbische Provinz in den Friedensvertrag für Bosnien mit aufzunehmen?

Es wäre zumindest wichtig gewesen, eine Vereinbarung in Richtung Autonomie zu treffen. Es ist klar, daß der jetzige Zustand nicht haltbar ist.

Aber das hieße dann auch, wie derzeit in Bosnien: Einsatz von Militärs.

Es gab sehr viele Versäumnisse in der gesamten Auseinandersetzung. Da spielt einerseits das Nichtverhalten auf internationaler Ebene eine Rolle, andererseits sind aber auch nationalstaatliche Interessen, wie sie insbesondere von der Bundesrepublik Deutschland betrieben wurden, wichtig. Hätte man frühzeitig verhandelt, sowohl mit Rugova wie mit Milosevic, dann wäre ein militärisches Eingreifen oder überhaupt eine militärische Option überhaupt nicht erforderlich geworden. Dies sind eindeutige Versäumnisse, an denen Deutschland eine große Mitschuld trägt.

Aber es geht doch, in Bosnien wie im Kosovo, um das Auseinanderhalten der Konfliktparteien - ist das am Ende doch nur militärisch möglich?

Als antimilitaristische Partei sagen wir natürlich: Es muß ohne den Einsatz von Militärs möglich sein. Ich habe jetzt keine konkreten Lösungsvorschläge. Aber Prävention und Sanktionen unterhalb von militärischen Optionen sind da immer noch das beste Mittel. Militärisch kann man die Situation im Kosovo jedenfalls nicht befrieden.

Auch in der PDS wird inzwischen darüber diskutiert, ob internationale Peace-keeping-Einsätze ins Programm aufgenommen werden sollen. Worin unterscheidet sich die Partei denn noch von den Grünen - die Sie ja auch relativ gut kennen?

Das sind nach wie vor Einzelpositionen innerhalb der PDS. Es gab da mal einen Vorstoß in Richtung Europawahlprogramm, der mit großer Mehrheit abgelehnt wurde. Und dabei werden wir auch bleiben, weil es ein wichtiger Punkt unserer Politik ist, auch weiterhin eine konsequente antimilitaristische Haltung durchzusetzen. Ich kann Ihnen versprechen, daß es da in den nächsten Jahren keine Einbrüche geben wird. Von den Grünen unterscheiden wir uns dadurch, daß zwar innerhalb der grünen Basis noch weithin ein antimilitaristisches Verständnis da ist, aber dies längst nicht mehr auf Funktionärsebene der Fall ist.

Schröder sagt, daß es zwischen ihm und Außenminister Fischer keinerlei Meinungsverschiedenheiten zum Kosovo-Konflikt gibt. Sehen Sie das auch so?

Ich muß leider feststellen, insbesondere auch im Verteidigungsausschuß, daß ich mich konstant einer großen Koalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen gegenüber befinde - unabhängig davon, ob es um Auslandseinsätze geht oder den Rüstungshaushalt. Die Grünen könnten durchaus einen Teil ihres antimilitaristischen Profils, das sie einmal hatten, bewahren, indem sie manche Positionen kritisch hinterfragen. Als der Irak bombardiert wurde, hat es schnell eine Zustimmung gegeben, von seiten Schröders wie auch Joschka Fischers. Der hat das zwar etwas moderater formuliert, aber schließlich auch befürwortet. Das finde ich sehr bedauerlich.

Was vermuten Sie als Ziel hinter Fischers Vorgehen? Ist es identisch mit dem, was Schröder will, also den Einfluß Deutschlands militärisch wie politisch auszuweiten?

Ich glaube, es ist auch Hilflosigkeit dabei. Fischer steckt noch nicht so drin, daß er andere Optionen eröffnen könnte, während Schröder ausschließlich auf Kontinuität setzt, weil auch er keine anderen Rezepte hat. Es reicht nicht aus, wie Fischer es zuletzt mit seinem Vorschlag zur atomaren Ersteinsatzoption getan hat, hin und wieder die eine oder andere Idee in die Debatte zu werfen. Ich würde mir vielmehr eine eigenständigere Außenpolitik von Fischer wünschen und somit auch ein eigenständigeres Profil der Grünen innerhalb der Regierung.

Sie setzen also noch Hoffnung in die Grünen?

Sehr wenig. Leider. In den vergangenen Monaten haben sehr viele prominente Grüne, vor allem aus dem Spektrum der Friedensbewegung, die Partei verlassen, so daß das kritische Potential immer mehr verloren geht.

Sie werfen Schröder Hilflosigkeit und Kontinuität vor. Geht es nicht weit über darüber hinaus, wenn er nun zum ersten Mal Kampfeinsätze von deutschen Soldaten - noch dazu auf dem Balkan - fordert?

Ja. Es ist aber auch ein Beweis dafür, daß Schröder sich sehr sicher fühlt. Denn er hat ja nicht nur seine Regierungsmehrheit für derartige Vorstöße, sondern darüber hinaus die ganze Mehrheit der konservativen Fraktionen im Bundestag. Es ist nun wirklich so, daß die PDS die einzige Fraktion im Bundestag ist, die da andere Positionen vertritt.

Mir wird ständig vorgehalten, daß wir in außen- und sicherheitspolitischen Fragen mit einer Zunge reden müßten. Das ist eigentlich der beste Beweis dafür, daß Opposition und andere Meinungen überhaupt nicht mehr zugelassen werden in diesem Kontext. Von daher fühlt sich Schröder natürlich bestätigt und ist es überaus gefährlich, wenn er derartige Vorstöße unternimmt.

In Niedersachsen habe ich ihn vier Jahre lang von der Oppositionsbank aus als Ministerpräsidenten erleben dürfen und weiß, daß er sehr häufig Vorstöße macht, die nicht durchdacht sind. Ich gehe davon aus, daß es sich bei der Idee jetzt, dort Landtruppen zu installieren, mal wieder um einen dieser nichtdurchdachten Vorschläge handelt.

Sowohl Schröder wie auch Scharping betonen, daß sie dabei vor allem auf den Rückhalt in der deutschen Bevölkerung setzen. Wie schätzen Sie denn die Stimmung in Deutschland ein?

Ich gehe davon aus, daß es zu Protesten kommen wird und werbe auch ganz massiv dafür, hier endlich mal Einhalt zu gebieten, gerade wenn man bedenkt, welche unrühmliche Rolle die deutsche Wehrmacht auf dem Balkan gespielt hat. Aus einem historischen Bewußtsein und natürlich auch aus einem pazifistischen, antimilitaristischen Grundverständis heraus hoffe ich, daß es zu ähnlichen Reaktionen kommen wird wie während des Golfkrieges 1990. Denn es ist erstmalig in der deutschen Geschichte, daß die Bundeswehr einen Quasi-Angriffskrieg, einen Interventionskrieg führen wird. Das ist nicht die Rolle, die im Grundgesetz verankert ist. Deshalb ist es wirklich höchste Zeit, daß man sagt: Das Maß ist voll, und hier werden die Kompetenzen überschritten, die die Bundeswehr hat.