Blut, Schweiß und Aktienscheine

Bald gibt es Kapitalgesellschaften statt Vereine - die reichen Bundesligaclubs wollen an die Börse

Würden Sie Aktien eines Unternehmens kaufen, dessen leitender Angestellter seine Untergebenen vor laufenden TV-Kameras als "Flaschen" bezeichnet? So geschehen bei Bayern München, dessen Ex-Trainer Giovanni Trapattoni seine hochbezahlten Kicker medienträchtig zusammenfaltete. Doch was in einem anderen Unternehmen unweigerlich zur Palastrevolte geführt hätte, scheint im deutschen Fußball normal zu sein.

Trotz sinkender Leistungskurve auf dem grünen Rasen träumt der FC Bayern München e.V. vom Coup - auf dem Finanzmarkt. Deutschlands Liebling liebäugelt mit dem Gang zur Börse, um an das ganz große Geld heranzukommen. "Ab dem 1. Juli 1999 wird es bei uns die erste Aktiengesellschaft geben", frohlockt Bayern-Manager Uli Hoeneß, der sich gerne in der Rolle des Visionärs der Branche sieht. Außer den Münchnern denken auch Borussia Dortmund, Werder Bremen sowie Schalke 04 an die Ausgabe von Anteilsscheinen.

Wirtschaftlich betrachtet sind die Klubs längst reif für eine Umwandlung in Kapitalgesellschaften. Bayern beispielsweise nähert sich einem jährlichen Umsatz von 150 Millionen Mark, ist mithin ein florierendes mittelständisches Unternehmen. Ein "Quantensprung" (Hoeneß) bei den Einnahmen ist zu erwarten, wenn in der kommenden Saison die TV-Rechte durch jeden Klub eigenständig vermarktet werden dürfen und der Fanartikelverkauf ("Merchandising") durch verbesserte Vertriebsmethoden effektiver gestaltet wird. "Das bisher Erreichte ist nur Micky Maus gegenüber dem, was im Jahr 2000 passieren wird", prognostiziert Hoeneß.

Der Blick nach England läßt den Machern der hiesigen Bundesliga die Augen übergehen. Auf der Insel ging 1991 mit dem Londoner Traditionsverein Tottenham Hotspur der erste Klub an die Börse, andere zogen nach. Unangefochtener Krösus der Premier League ist mittlerweile Manchester United, weltweit Nummer eins der Geldrangliste, der Wert des amtierenden Landesmeisters aus der nordenglischen Industriemetropole beträgt eine Milliarde Mark.

Hoeneß wäre schon zufrieden, wenn seine Bajuwaren mit der Emission von Klubaktien 500 Millionen Mark einnähmen, um teure Projekte wie ein neues Stadion an der Isar oder den Aufbau einer international konkurrenzfähigen Mannschaft zu verwirklichen. Doch dafür müßte zunächst die alte Rechtsform des "eingetragenen Vereins" (e.V.) gekippt werden, die die teutonischen Riesen derzeit noch fesselt. Dieser Status, der in den Augen von Dortmunds Präsident Gerd Niebaum den "Charme eines Dinosauriers" besitzt, soll im kommenden Oktober auf der Versammlung des Deutschen Fußball Bundes (DFB) in Düsseldorf endgültig aus dem Profi-Wortschatz gestrichen werden.

Schöne neue Fußball-Welt, Geld in Hülle und Fülle, Dagobert Duck statt Micky Maus? Es gibt auch Stimmen, die vor übereilter Euphorie warnen. Schon einmal ging ein deutscher Verein mit einem aktienähnlichen Modell baden. Der Hamburger SV blieb 1992 auf seinen "Sport-Aktien" sitzen, die auf der Geschäftsstelle verstaubten.

Laut Gerhard Mayer-Vorfelder, DFB-Vizepräsident und Vorsitzender des VfB Stuttgart, sind längst nicht alle professionellen Klubs im deutschen Oberhaus fit für die Börse. Im Gegenteil: "Nach dem deutschen Aktienrecht wären zehn Bundesligaklubs derzeit konkursreif", weiß der Schwabe.

Immerhin sollen die insgesamt 18 Erstligisten einen Schuldenberg von schätzungsweise 600 Millionen Mark mit sich herumschleppen. Kaum anzunehmen, daß Bankrott-Kandidaten das nötige Startkapital für einen Gang an die Börse aufbringen könnten. Zumal mancherorts betriebswirtschaftlich äußerst unbedarfte Personen die Vereinsgeschicke bestimmen, die als einzigen Ausweis ihren vergilbten Spielerpaß aus der guten alten Zeit vor sich hertragen. Begriffe wie "Outsourcing" oder "Lean Management" gehen diesen Leuten nur nach langer Übung einigermaßen geläufig über die Lippen.

Die sportlich negative Folge des Börsenfußballs, das scheint festzustehen, wäre eine Aufgliederung der höchsten deutschen Spielerklasse in potente Vereine, die sich finanziell alles leisten können, und jenen armen Kirchenmäusen, die kaum etwas zu knabbern hätten. Möglich, daß sich die Reichen - Stichwort: unfreundliche Übernahme - ihre unliebsame Konkurrenz auf ganz legale Art entledigen könnten, indem sich beispielsweise die Bayern ihren verfeindeten Lokalrivalen 1860 München einverleiben würden, was beim Fußvolk, den verfeindeten Fan-Gruppen, sicherlich keine Jubelstürme hervorriefe.

Für die Anhänger des deutschen Lieblingssports, die Blut, Schweiß und Tränen, aber keine strategischen Winkelzüge von profitgeilen Unternehmen erleben möchten, bestimmt keine rosige Perspektiven. Doch auf letztere kommt es an, denn sie sollen hauptsächlich ihre Lieblinge mit dem Kauf der Aktien unterstützen. Rekordmeister München beispielsweise, mit seinen über 80 000 Mitgliedern und unzähligen Fanclubs im Lande, hätte wohl keine Schwierigkeiten, die Aktien unters Volk zu bringen. Auch Dortmund und Schalke, die beide im Ruhrpott als "Ersatzreligionen" fest verankert sind, dürften sich über eine satte Nachfrage nicht beklagen. Aber was macht ein Verein wie Vizemeister Bayer Leverkusen, der seinen synthetischen Charme einer Werkself trotz sportlicher Erfolge nicht los wird? Die Asienkrise jetzt auch bald im Fußball?

Bei dem britischen Vorbild gab es jedenfalls nach Jahren des Aufschwungs schon einen alarmierenden Börsencrash, als der Handel mit Papieren des Londoner Vorortsclubs Millwal komplett ausgesetzt werden mußte, weil deren Wert nach dem sportlichen Niedergang der Mannschaft gegen Null raste. Eine Niederlagenserie oder die bloße Ankündigung eines Stars, seine Karriere beenden zu wollen (wie Eric Cantona bei Manchster Uniteded), können für gehörige Dellen in der Wertentwicklung der Börsenpapiere sorgen.

In Deutschland bleiben jedoch auch professionelle Manager wie Uli Hoeneß vorerst noch auf die von ihm belächelten Amateure angewiesen. Immerhin stellen die Vertreter nichtprofessioneller Vereine auf dem entscheidenden DFB-Bundestag im Oktober die Mehrheit, wenn über die revolutionären Vorschläge des Bundesliga-Überbaus abgestimmt wird.