Doppeltes Risiko

Durch Investivlöhne und Mitarbeiteraktien geraten die Beschäftigten schon mal in Interessenkonflikte

"Das erste Mal war schon komisch", meint Margit Lano, Gesamtbetriebsratschefin beim Münchner EDV-Anbieter Ditec. Als sie damals mit den IG-Metall-Vertretern zur Haustarifverhandlung angetreten sei, habe sie gar nicht recht gewußt, wo sie nun Platz nehmen sollte: Hinter dem Schild "Arbeitnehmer", bei "Aktionäre und Funktionäre" oder gar als "Arbeitgeber"? Immerhin war sie da gerade Anteilseignerin des Unternehmens geworden: Nachdem der Vorbesitzer Digital die Betriebe hatte schließen wollen, übernahmen sie die rund 1 400 Beschäftigten. Inzwischen ist Lano klar, daß gerade ein solcher Betrieb nicht ohne eine Interessenvertretung für die Beschäftigten auskommen kann. Denn auch das neu eingesetzte Management macht keine Zugeständnisse im Bereich Mitgestaltung und Mitbestimmung. "Diese Träume mag jeder weiterträumen", so Aufsichtsratsvorsitzender Wolfgang Apitzsch. Entscheidend sei nur, daß die Ökonomie stimmt. So mußten knapp 400 der frischgebackenen Aktionäre in den ersten Monaten gehen. Die verbliebenen sind nun doppelt an Ditec gebunden: via Arbeitsplatz und über ihre Einlagen, die sie bei einem Konkurs ebenfalls verlieren würden.

Bereits seit ein paar Jahren gibt es in Deutschland eine ganze Reihe ähnlicher Modelle. Aber erst mit dem Börsenboom der letzten Monate wurde Mitarbeiterbeteiligung auch in der Öffentlichkeit zum Thema. "Eine neue Form der Teilhabegesellschaft", wollte Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) bereits erkennen, die Woche jubelte "Kollege Kapitalist - statt Volkseigentum ein Volk von Eigentümern", und der Spiegel rief gar "eine Revolution" aus.

Begründet wird das plötzliche Interesse mit der wachsenden Kluft zwischen Unternehmensgewinnen und Nettolöhnen. Mit der Formel "Barlohn plus Sparlohn" sollen die Beschäftigten an den Gewinnen beteiligt werden. Für die Firmen bedeutet das mehr Flexibilität, bei einer direkten betrieblichen Beteiligung sogar, daß ein Teil des Geldes gleich im Unternehmen bleibt.

In den USA sind diese sogenannten Investivlöhne längst üblich. Die Fluggesellschaft United Airlines liegt zu mehr als der Hälfte in Belegschaftshand, ebenso die Supermarktkette Publix und der Textilhersteller Gore. Insgesamt halten die Beschäftigten Aktien und Fondsanteile im Wert von 350 Milliarden Dollar an insgesamt 10 000 Firmen. Daß sich in Deutschland bislang erst rund 350 Aktiengesellschaften auf die Ausgabe von günstigen Anteilsscheinen oder Vorzugsaktien eingelassen haben, liegt wohl weniger an der vielzitierten Angst der Deutschen vor dem Wertpapier, sondern historisch eher an der anderen Rolle der Banken auf dem Kapitalmarkt - und aktuell an der mangelnden steuergesetzlichen Förderung: Während andere Formen der Vermögensbildung wie etwa Bausparverträge seit Jahrzehnten vom Staat gesponsert werden, gibt es für betriebliche Beteiligungen bislang lediglich eine Klausel im Einkommenssteuergesetz. Und die soll spätestens im Jahressteueränderungsgesetz 1999 wieder wegfallen, obwohl die Bundesregierung in ihrem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung, dem sogenannten Sparpaket, eine erweiterte Regelung anvisiert hatte. Begründung: zu teuer. Neben dem Arbeitnehmerflügel der Union, CDA, hat sich jetzt die Opposition des Themas angenommen und eigene Modelle vorgelegt. Selbst die Gewerkschaften verhalten sich wohlwollend. Immerhin haben sie in ihrem neuen Dresdner Grundsatzprogramm die Forderung fixiert, die Beschäftigten müßten "stärker am Produktivkapital beteiligt" werden, und erst kürzlich erklärte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Dieter Schulte, die Gewinne müßten "endlich an die weitergegeben werden, die sie erwirtschaften".

Allerdings, so Hartmut Tofaute, Referatsleiter Finanzpolitik beim DGB, müsse man sich die verschiedenen Konzepte genauer ansehen. "Beispielsweise daraufhin, ob der Sparlohn auf Kosten des Barlohns geht oder zusätzlich ist." Bei den seit Jahren stagnierenden Nettolöhnen und -gehältern bleibt vielen kein Spielraum, einen Teil des Einkommens gleich wieder fest anzulegen - "egal, ob man nun in sieben Jahren einen Riesengewinn machen kann, der ja auch nicht sicher ist".

Das einfachste Modell ist die direkte Gewinn-Ausschüttung, wie sie Daimler Benz im Frühjahr eingeführt hat. Wenn der operative Gewinn 1,5 Milliarden Mark im Jahr übersteigt, bekommen die Beschäftigten eine Prämie von 270 Mark, je weitere 100 Millionen Mark Gewinn sind noch einmal 38 Mark drin.

Daß aber schon diese Form der Beteiligung danebengehen kann, wenn die Beschäftigten im Gegenzug zuviel Zugeständnisse beim normalen Lohn machen, zeigt das Beispiel Drägerwerke in Leipzig: Gegen eine grundsätzliche Kappung des Weihnachtsgeldes um bis zu 55 Prozent des Bruttolohns versprach das Management den Beschäftigten eine insgesamt zwölfprozentige Beteiligung am Gewinn - nicht in bar, sondern als stimmrechtslose Aktien. Und nur, wenn der Gewinn mindestens 1,5 Prozent des Umsatzes beträgt. Das ist im dritten Jahr der Absprache zwar jetzt endlich gelungen. Was die einzelnen Beschäftigten herausbekommen, hat aber lediglich einen Gegenwert von durchschnittlich acht Prozent des Bruttolohns. Da Krankheitstage negativ angerechnet werden, gehen einige sogar komplett leer aus.

Anders funktionieren freiwillige Beteiligungen über Vorzugsaktien oder Aktiensparpläne. Hier bekommen Beschäftigte entweder zinsfreie oder verbilligte Kredite, um Firmenanteile zu kaufen, oder sie zahlen einen Teil ihres Einkommens in Fonds ein. Daraus können dann verbilligte Aktien gekauft werden. Beim EDV-Anbieter Hewlett-Packard können bis zu zehn Prozent des Bruttolohns in einen Sparplan eingezahlt werden. Nach zwei Jahren legt das Unternehmen dann als Prämie noch einmal die Hälfte der damals erworbenen Aktien drauf. In den vergangenen zwei Jahren, so errechnete der Spiegel kürzlich, konnte so mit einem monatlichen Einsatz von 500 Mark ein Gewinn von mehr als 20 000 Mark erwirtschaftet werden. Vor allem aber profitierte das Unternehmen: Selbst als Hewlett Packard Anfang 1995 seine Umstrukturierungspläne bekannt gab, das Logistikzentrum und Teile der Fertigung auszulagern sowie jede Menge Arbeitsplätze abzubauen, hielt sich der Widerstand der Belegschaft in Grenzen - denn die Aktien machten nach der Ankündigung erst einmal einen Satz nach oben. Um den Aktionären im eigenen Team ständig den aktuellen Stand des Unternehmens vor Augen zu halten und das Shareholder-Gefühl zu unterstützen, verkündet eine Lautsprecheranlage regelmäßig die Börsenkurse.

Auch Volkswagen will sich nun auf ähnliche Weise seiner Beschäftigten versichern. Auf der Hauptversammlung im Juni beschloß der Konzern, der Belegschaft Kaufoptionen zu ermöglichen. Für einen Einsatz von fünf Mark pro Option und höchstens fünfzig Mark für normale Beschäftigte können diese auf steigende Kurse spekulieren. Frühestens nach zwei Jahren dürfen sie die Aktien dann tatsächlich erwerben - zum selben Preis wie bei der Ausgabe der Option.

Auch nach Einschätzung von Tofaute ist dieses System zumindest finanziell sicher, solange es sich um "seriöse Unternehmen" handelt. Schwieriger wird es bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, auf die die Forderungen der CDA zielen: Nach Vorstellung der christdemokratischen Arbeitnehmer soll die steuerlich geförderte Mitarbeiterbeteiligung vor allem dafür sorgen, daß die Betriebe dringend benötigtes Kapital akquirieren können.

Nur: Wer im eigenen Unternehmen investiert, trägt das doppelte Risiko, gleichzeitig Arbeitsplatz und Erspartes zu verlieren. Bürgschaften von landeseigenen Gesellschaften oder Versicherungen, die gegen diese Gefahr absichern, werden zwar in Nordrhein-Westfalen und Thüringen bereits erprobt, bislang aber von Unternehmern und FDP abgelehnt. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt: "Wer Gewinn machen will, muß sich auch auf Verluste einstellen."

Sogar dreifache Risikofreudigkeit - neben Job und Geld auch noch den Mut aufs Spiel zu setzen - attestieren sich Ex-Beschäftigte wie die beim schon erwähnten EDV-Anbieter Ditec, dem Werkzeugmaschinenbauer Union in Chemnitz oder dem Dasa-Werk in Speyer, die nicht nur Teilhaber, sondern gleich auch noch Unternehmer geworden sind. "Das ist ein echter Sonderfall", so Tofaute. Mit Vermögensbildung, die bei der Diskussion um Mitarbeiterbeteiligung meist im Vordergrund steht, habe das nichts mehr zu tun. "Höchstens mit Arbeitsplatzsicherung" - die keinesfalls garantiert ist. Die Pilotunternehmen Glashütte Süßmuth und Foto Porst sind gescheitert, weil irgendwann das Kapital zum Zuschießen fehlte.

Die Idealvorstellung der Gewerkschaften, Beschäftigte am steigenden Unternehmensgewinnen zu beteiligen, ohne daß sie, so Tofaute, "mit ihren Rollen als Beschäftigte und Kapitalisten durcheinanderkommen" oder im Endeffekt draufzahlen, sieht dagegen überbetriebliche Lösungen vor, wie sie vor Jahren schon einmal im Baugewerbe angedacht waren. Beschäftigte zahlen einen Teil ihres Lohns in Fonds ein, an dem Unternehmen und Gewerkschaften je zur Hälfte beteiligt sind, die aber von Topmanagern verwaltet werden. Diese kaufen Anteile verschiedener Firmen, um das Risiko zu minimieren. Lohnen würde sich das Ganze nur mit einer entsprechenden staatlichen Förderung. Die aber ist nach der geplanten Abschaffung schon der betrieblichen Lösung ganz bestimmt vorerst nicht in Sicht.