Besuch bei antisemitismuskritischen Gruppen auf dem Fusion-Festival

Die Ferienintifada wurde abgewendet

Vor Beginn der Fusion haben sich einige Menschen organisiert, um auf dem Festivalgelände antisemitismuskritisch zu intervenieren. Ein Resümee

Am Ende blieb der große Knall aus. Auf dem Musikfestival Fusion überwogen vielleicht die antisemitismuskritischen Botschaften. Dennoch zeigte sich: Eine antisemitismuskritische Haltung ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern ein Kompromiss, der hart erkämpft werden muss.

Dass die Folgen des 7. Oktober auch vor dem größten linken Festival nicht haltmachen würden, war absehbar. Und so schienen sich die Befürchtungen vieler zu bestätigen, als, noch bevor die ersten Gäste das Festivalgelände betraten, die ersten Bilder durch die sozialen Medien gingen. Große rote Dreiecke waren da etwa zu sehen, das Symbol, mit dem die Hamas ihre Feinde als Angriffsziele markiert.

Ein Transparent mit dem Motto der Überlebenden des Supernova-Festivals »We will dance again« war um »in Palestine« ergänzt und mit zwei roten Dreiecken markiert worden.

Und an einer Wand stand: »From the Müritz to the Spree, Palestine will be free«, eine abgewandelte Form der Parole »From the river to the sea«, der zufolge der jüdische Staat nicht mehr existieren soll. Vor Ort zeigte sich dann, dass auch antisemitismuskritische Banner übermalt worden waren. Ein Transparent mit dem Motto der Überlebenden des Supernova-Festivals »We will dance again« war um »in Palestine« ergänzt und mit zwei roten Dreiecken markiert worden.

Im November hatte der Verein Kulturkosmos, der das Festival organisiert, in einem Newsletter noch Bestürzung über den »barbarischen Angriff« vom 7. Oktober bekundet. Im Februar folgte ein weiterer Text, in dem immerhin noch das Existenzrecht Israels als unverhandelbar bezeichnet wurde. Es folgte ein Boykottaufruf der israelfeindlichen Gruppe »Palästina spricht« und darauf ein »Nachschlag« der Festivalbetreiber:innen Anfang Juni, mit dem man sich schließlich von einem antisemitismuskritischen Grundkonsens verabschiedete.

Besucher:innen des Musikfestivals Fusion fordern die Freilassung von Hersh Goldberg-Polin und den anderen Geiseln, die beim Angriff der Hamas am 7. Oktober auf Israel vom Psytrance-Festival Supernova entführt wurden und seitdem gefangen gehalten werden

Free Hersh! Besucher:innen des Musikfestivals Fusion fordern die Freilassung von Hersh Goldberg-Polin und den anderen Geiseln, die beim Angriff der Hamas am 7. Oktober auf Israel vom Psytrance-Festival Supernova entführt wurden und seitdem gefangen gehalten werden

Bild:
instagram.com/fusionistasgegenantisemitismus

Das alles hatte einen Effekt. Crewmitglieder berichteten der Jungle World, sie hätten überlegt, ob sie sich in diesem Jahr überhaupt am Festival beteiligen wollten. Von einem mulmigen Gefühl erzählten die, die sich dafür entschieden.

Eine Podiumsdiskussion zum rechtsextremen Terroranschlag in Halle konnte nicht wie geplant stattfinden. Nach dem »Nachschlag« der Fusion sagten drei Überlebende des Anschlags und eine Unterstützerin ihre Teilnahme ab. Der Nachschlag sei ein »bedauerlicher Rückschritt und ein klares Zeichen dafür«, dass sich der Kulturkosmos »dem antijüdischen Druck gebeugt hat«, schrieben die Überlebenden Nathan und Naomi in einem Statement zu ihrer Absage. 

Statt sich klar und unmissverständlich gegen Anti­semitismus zu positionieren, haben die Verantwortlichen des Festivals Positionen und Begriffe zugelassen, die antisemitische Topoi bedienen und fördern.« Damit habe das Festival nicht nur das Vertrauen vieler verloren, sondern einen weiteren Raum geschaffen, in dem sich Jüdinnen und Juden nicht sicher fühlten. 

»Fuck Antideutsche«

Rachel Spicker, die als Unterstützerin in der Soligruppe 9. Oktober organisiert ist und ebenfalls auf dem Podium hätte sprechen sollen, teilte der Jungle World mit, die Überlebenden hätten mit ihrer Absage auch verhindern wollen, dass »es zu einer Instrumentalisierung ihrer Teilnahme am Festival oder ihrer Aussagen kommt«. Die derzeitigen, teils ausschließlich polarisierenden Debatten und die zunehmende antisemitische und rassistische Gewalt würden immer wieder Räume des Austauschs und Zusammenkommens verhindern – »so auch für uns auf der Fusion«. Es spricht nicht für ein linkes Festival, dass Veranstaltungen nicht wie geplant mit Jüdinnen und Juden stattfinden können. Auch bei der Podiumsdiskussion der Gruppe »Palestinians and Jews for Peace«, die nach dem 7. Oktober gegründet wurde, fehlten am Ende Red­ner:in­nen.

Nicht besonders beliebt schienen in Lärz außerdem »die Antideutschen« zu sein. Ein Begriff, der sich als Feindbezeichnung etabliert hat und schlicht all diejenigen meint, die Antisemitismus für ein Problem halten und sich der Israelfeindschaft widersetzen. Auf einem Transparent stand »Stoppt das töten in Gaza. Eure Islamfeindlichkeit ist so verletzend ihr Anti-Deutschen«. An anderer Stelle: »Fuck Antideutsche«. Ein palästinensischer Musiker solidarisierte sich bei seinem Auftritt mit dem Boykottaufruf von »Palästina spricht« und prangerte an, dass »Antideutsche und viele andere rassistische Gruppen« auf dem Festival anwesend seien und die Strukturen mit­prägen würden.

»Wir konnten die Fusion ein bisschen zurückerobern.« Jean von der Dance-Punk-Band Guts Pie Earshot

Doch es gab auch Widerspruch. Zum ersten Mal hatten sich crewübergreifend einige hundert Menschen, denen Antisemitismuskritik wichtig ist, schon vor Beginn der Fusion vernetzt. Einige sagten der Jungle World, sie wollten den Antizionisten nicht die Bühne überlassen. In Gesprächen hieß es immer wieder, man habe Präsenz zeigen wollen und zumindest die Möglichkeit im Auge gehabt, mit einer kritischen Intervention eher unpolitische Festival­besuche­r:in­nen zu erreichen.

Das antisemitismus- und rassismuskritische »Kollektiv für Emanzipation und Solidarität« (Kes) teilte der Jungle World mit, ihnen sei es wichtig gewesen, »in der Feier- und Festivalszene ein Bewusstsein für das antisemitische und miso­gyne Massaker und größten tödlichen Angriff auf ein Elektrofestival überhaupt herzustellen«. Also veranstalteten sie eine Podiumsdiskussion und betreuten einen Infostand, an dem sie antisemitismus- und rassismuskritische Bildungsmaterialien zur Verfügung stellten.

Auch die Artists Against Antisemitism und die Fusionistas Against ­Antisemitism, die sich als direkte Reaktion auf die Newsletter gegründet hatten, waren mit Ständen vor Ort. Dieser Vernetzung war es zu verdanken, dass antisemitische Graffiti oft schnell übermalt wurden. Zudem gab es weitere antisemitismuskritische Veranstaltungen und Solidaritätsaktionen – vor und auf der Bühne.

»Antisemitismus ist keine ›Israelkritik‹«

Eine besonders eindrucksvolle Solidaritätsbekundung war die für Hersh Goldberg-Polin, der vergangenes Jahr noch selbst Besucher der Fusion gewesen war und den die Hamas am 7. Oktober vom Supernova-Festival im Süden Israels in den Gaza-Streifen verschleppte. Mit Bannern, auf denen »Free Hersh«, »Solidarity with Nova Festival« oder »Killing Jews is not fighting for freedom« stand, erinnerten einige hundert Festival­besucher:in­nen an den 24jährigen und die anderen Geiseln. Der Hamburger DJ Løve trat mit einem T-Shirt mit der Aufschrift »Antisemitismus ist keine ›Israelkritik‹« auf. Und auf dem ganzen Gelände waren Menschen mit T-Shirts zu sehen, auf denen sie ihre Solidarität mit den Opfern vom Supernova-Festival äußerten.

Ein solches Shirt trug auch ein Mitglied der Dance-Punk-Band Guts Pie Earshot, die auf der Fusion spielte. »Ohne Kes, ohne die Artists Against Antisemitism und ohne die Fusionistas Against Antisemitism hätten wir definitiv abgesagt«, so Jean, der Schlagzeuger der Band, zur Jungle World. Es war bereits ihr neunter Auftritt auf der Fusion, den ersten hatten sie 1999. Diesmal seien sie »mit viel Bauchschmerzen und viel Angst« dort hingefahren. Das Netzwerk, das sich vor dem Festival zusammengefunden hatte, habe sie allerdings bestärkt. Letztlich waren sie froh, nicht abgesagt zu haben. »Wir konnten die Fusion ein bisschen zurückerobern.«

»Es waren viel mehr Pali-Tücher als sonst«, berichtete Sonja der Jungle World. Seit 15 Jahren geht sie regelmäßig auf die Fusion. In diesem Jahr trat sie mit ihrer Punkband Schæden auf und hatte außerdem mit ihrer Konzertgruppe an einem Abend das Booking einer Bühne, der Räuberinnenhöhle, übernommen. Der Booker vom Schuhkarton, der Bühne, auf der Schæden spielten, habe bereits vorab eine antisemitismuskritische Stellungnahme an alle Bands geschickt und es sei klar gewesen: Wer sich antisemitisch äußert, fliegt raus. Daher habe ihre Band von einer Absage abgesehen. In den Räumen, in denen sie sich aufgehalten habe und aktiv war, habe ein entsprechender Grundkonsens geherrscht.

Vom Kulturkosmos keine Äußerung der Solidarität

Enttäuscht zeigte sie sich aber dar­über, dass es vom Kulturkosmos keine Äußerung der Solidarität mit den Opfern des Supernova-Festivals gab. Nicht einmal Hersh als ehemaliger Festivalbesucher sei erwähnt worden. Auch den antisemitismuskritischen Infostand habe man selbst organisieren müssen. Insgesamt blieb es ihrem Eindruck nach beim üblichen »Schmierkrieg«, also beim Malen und Übermalen von Graffiti.

Eine Besucherin resümierte im Gespräch mit der Jungle World: »Die ­antisemitismuskritischen Stimmen waren auf jeden Fall lauter und präsenter.« Viele andere Gesprächspartner:innen bestätigten ihren Eindruck. Auch das Kes zeigte sich zufrieden und berichtete von »unzähligen konstruktiven Gesprächen, viel bestärkenden Rückmeldungen und keiner einzigen Störung« ihres Standes oder der Podiumsdiskussion. »Klar, das löst die Verfehlungen der Fusion dieses Jahr nicht in Luft auf, aber es macht uns hoffnungsvoll, dass wir zusammen eine solidarische Perspektive erkämpfen können.«

Der Streit um die Fusion zeigt, dass es keinen Kompromiss mit israelfeindlichen Boykotteuren geben kann. Egal, wie sehr man auf sie eingeht, es wird nie genug sein. Zudem haben die Gruppen und Einzelpersonen auf dem ­Festival bewiesen, dass sich antisemitismuskritisches Engagement lohnt und Vernetzung einen Effekt haben kann. Es bleibt aber der schale Beigeschmack, dass Antisemitismuskritik längst nicht mehr selbstverständlich und auch keineswegs der kleinste gemeinsame Nenner ist. Das jedoch ist keine Überraschung und hatte sich ­abgezeichnet.