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Warum ist Angela Merkel so beliebt? Sie vermittelt uns das Gefühl, einer bedrohten Gemeinschaft anzugehören. von felix klopotek
Angela Merkel ist die Katastrophenkanzlerin. Die Aussage mag verwundern, denn wenn es einen Kanzler gegeben hat, der mit dem Begriff der Katastrophe in Verbindung gebracht wurde, dann doch Gerhard Schröder: Schröder der Flutkanzler, Schröder, der mit Schrecken aus dem süßen Schlaf der New Economy aufwachte und die Agenda 2010 verkündete, Schröder, der die Hartz-Gesetze – in höchster Not selbstverständlich – durchgesetzt und die Republik kurz vor der ultimativen Handlungsblockade mit der Ausrufung von Neuwahlen aufgerüttelt hat.
Schaut man aber genauer hin und sieht von den Naturkatastrophen Tsunami und Elbeflut ab, dann war Schröder der Kanzler vor der Katastrophe, der Warner und Katastrophenverhinderer. Die Hartz-Gesetze, die Aufforderung, den Gürtel enger zu schnallen, wurden mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft legitimiert. Der Spruch »Unsere Freiheit wird am Hindukusch verteidigt« behauptete nichts weniger, als dass man unsere Werte schon dort verteidigen muss, wo sie gar nicht sind – damit zum Beispiel die Gotteskrieger gar nicht erst in unser Gemeinwesen einfallen können.
Diese Stimmungsmache, die vor allem Schröders zweite Legislaturperiode prägte, gibt es nicht mehr. Mit Angela Merkel ist der Tonfall in der Politik pragmatischer und nüchterner geworden. Politik wird wieder ohne »Weltanschauung«, diesem von den 68ern geerbten Sendungsbewusstsein, betrieben. Als geistiger Kern bleiben allein die heiligen Werte des Westens, die Merkel bestimmt und unprätentiös vertritt. So kommt es, dass die Presse ihr gewogen ist, und auch die Bevölkerung spurt: 80 Prozent aller Deutschen bewerteten im Februar ihre Arbeit als positiv, »Merkel bricht Sympathie-Rekord«, verkündet nicht nur die Welt.
Was also hat Merkel mit den Katastrophen, vor denen Schröder gewarnt hat, zu tun? Sie sind aus der Perspektive des politisch-medialen Komplexes eingetreten: Die Vogelgrippe hat Deutschland erreicht, die WM-Stadien sind unsicher, der öffentliche Dienst streikt, der Aufschwung lässt auf sich warten, die Integration der Ausländer ist gescheitert, der christlich-islamische Kulturkampf tobt, in vielen Großstädten werden, so hört man, die Deutschen (eingeboren, weiß, strebsam) zur Minderheit. Und mittendrin Angela Merkel. Ihr Pragmatismus und ihre Besonnenheit gelten als die adäquaten Umgangsformen mit der Katastrophe, dem Unausweichlichen, dem Einbruch des Fremden ins Vertraute, der Zerstörung der Gewissheit, dass das Leben einfach so weitergeht.
Was da vor unseren Augen entsteht, ist eine neue ideologische Formierung, in der die Vorgaben der Ära Schröder aufgenommen und radikalisiert werden. Von einem »Modell Merkel«, welches das »Modell Schröder« abgelöst hat, kann keine Rede sein.
Was heißt das? Wer vor zwei Jahren gegen die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze demonstrierte, galt als gemeinschaftsschädigend, weil er sich Maßnahmen widersetzte, die angeblich dem Wohl ganz Deutschlands dienen sollten. Die Agenda 2010 war somit nicht nur ein Verarmungsprogramm, sondern das Gründungsmanifest eines neu aufgestellten Nationalismus. Gesichert werden sollte wieder einmal die Gemeinschaft. Jetzt, wo die Katastrophen eintreten – ob es sich um reale oder eingebildete handelt, spielt dabei keine Rolle –, muss sich die Gemeinschaft bewähren.
Zum Wesen der Katastrophe gehört, dass das, was da Schlimmes hereinbricht, mitten unter uns passiert, aber nicht konstitutiv zu uns gehört. Würde man die Tatsache, dass Menschen seelisches und körperliches Leid vor allem in der eigenen (christlichen oder muslimischen) Familie zugefügt wird, nicht als Katastrophe bezeichnen, sondern als Normalzustand, wäre der Fokus der Kritik direkt auf die Familie als Sozialisationsinstanz gelenkt. Oder andersherum: Wenn jahrelang propagandistisch verbreitet wird, dass jede organisierte Gegenwehr von Lohnabhängigen nur Besitzstandswahrung sei, Ausdruck von mangelnder Flexibilität und die Zukunft der Gemeinschaft schädigend, dann ist der kapitalistische Normalfall, dass Lohnabhängige sich organisieren und kollektiv die andere Seite schädigen müssen, um ihr Recht zu bekommen, die Katastrophe.
Aus dieser Verkehrung des Verhältnisses von Normal- und Ausnahmezustand wird dann eine ideologische Formation, wenn unterschiedliche Phänomene zu einem Bund gemeinschaftsschädigender Verhaltensweisen verknüpft werden. Ein Blick in die Presse reicht aus, um zu erkennen, was das konkret bedeutet: »Streiks erhöhen Seuchenrisiko«, hieß es vorige Woche auf Spiegel online. Ohne eine Gegenstimme wird die Meinung Klaus Wagners, des Vorsitzenden der Medizinervereinigung Hartmann-Bund, referiert: »Der auf den Straßen herumliegende Müll schaffe ideale Bedingungen für Aasfresser wie Möwen oder Ratten, die sich rasch vermehren und so das Vogelgrippe-Virus weiter verbreiten könnten.«
Vielleicht gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten Seuchenrisiko und dem Streik der Müllabfuhr. Vielleicht gibt es aber auch einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass etwa in Nordrhein-Westfalen unter den Arbeitslosen dreimal mehr Ausländer sind als Eingeborene, und dem »Scheitern der Integration«, das übrigens, noch so ein komischer Zufall, sich in den Arbeitervierteln der Großstädte abspielt. Innerhalb des politisch-medialen Komplexes wird über den einen Zusammenhang gesprochen, über den anderen nicht.
Angela Merkel will nicht mehr verhindern, was nicht mehr zu verhindern ist, sondern schützen, was übrig blieb. Der Pragmatismus, der ihr von Gegnern wie Freunden bescheinigt wird, ist so gesehen ein vernichtendes Urteil über alle Jobbörsen, Personalserviceagenturen und Ich-AGs. Selbstverständlich haben diese Maßnahmen keine »Wende« auf dem Arbeitsmarkt gebracht, so dass der Politik eben nur noch ein bescheidenes Vor-sich-Hinwursteln bleibt.
Etwas wird Merkel ganz sicher nicht offerieren können: einen ideologischen Überschuss, der, wie vage auch immer, mit »1968« zusammenhängt. Mit keiner Neuen Mitte, keiner Berliner Republik, keiner Friedensmacht Deutschland, keiner New Economy und keinem neuen Dosenpfand wird sie »uns« locken können, dafür aber die Selbstgewissheit einer zutiefst bedrohten Gemeinschaft bieten. Wer jedoch von dem Bild einer bedrohten Gemeinschaft ausgeht, kann sich soziale Auseinandersetzungen nur mehr als kulturelle, also als Kulturkämpfe, als geradezu existenzielle Entscheidungsschlachten vorstellen. Tatsächlich führen immer mehr Menschen ihre ganz persönlichen, existenziellen Entscheidungsschlachten auf dem Arbeitsmarkt. Es bedarf noch einiger Katastrophenszenarien, um diese Normalität erträglich zu machen.