Katharina König-Preuss, Linkspartei Thüringen, im Gespräch über die Lage nach den jüngsten Landtagswahlen

»Neonazis nehmen den öffentlichen Raum in Anspruch«

Interview Von Felix Sassmannshausen

Bei der Landtagswahl in Thüringen am 1. September verlor die Links­partei 17 von 29 Mandaten, vor allem an das Bündnis Sahra Wagen­knecht; die AfD wurde stärkste Partei. Ein Gespräch mit der Land­tags­abgeordneten Katharina König-Preuss (Linkspartei) über die Folgen des Aufstiegs der extremen Rechten und die Zukunft der Linkspartei. 

Sie sind bei der Landtagswahl in Thüringen erneut gewählt worden. Ist Ihnen nach Feiern zumute?
Nein. Es gibt nichts zu feiern, wenn eine faschistische Partei die größte Fraktion im Landtag wird. Daraus folgen enorme Probleme auf verschie­denen Ebenen. Das eine ist der parlamentarische Raum, wo sie jetzt mehr Einfluss hat, der bisher zurückgedrängt werden konnte. Das Zweite macht mir mehr Sorgen, nämlich was das für bestimmte gesellschaftliche Gruppen und Strukturen bedeutet, die in den vergangenen Jahren teils mühsam auf­gebaut wurden.

»Während des Wahlkampfs hat die extreme Rechte sich in taktischer Zurückhaltung geübt, um die AfD nicht in Verruf zu bringen. Aber man merkt die völkische Mobilisierung an vielen Stellen.«

Wie meinen Sie das?
Da geht es mir um antifaschistische Strukturen, um Projekte in den Landesprogrammen, um die jüdische Landesgemeinde, die sehr klar gemacht hat, was der Sieg der AfD für sie bedeutet. Und ich mache mir Sorgen um die antirassistischen Strukturen, die migrantische Selbstorganisation, die im Fokus sind, wenn es um die Verteilung von Finanzmitteln geht. Man darf nicht unterschätzen, dass die Politik der AfD in den vergangenen Jahren durch andere Parteien teilweise übernommen wurde, etwa wenn die AfD sagt, sie will das »Landesprogramm für Demokratie« streichen. Parteien wie die CDU sprechen von Kürzen, Überarbeiten, inhaltlich neu Ausrichten, vom BSW habe ich teils Ähnliches gehört. Und bei der SPD bin ich mir unsicher, ob die eine Haltelinie ist, auch weil die Partei sich im Migrations- und Asylbereich gerade stark den anderen annähert.

Das klingt wenig hoffnungsvoll.
Bisher habe ich immer eine Idee gehabt, was man machen kann, und einen Weg gefunden, wie man parlamentarisch Projekte unterstützen kann. Das wird gerade immer schwieriger und manchmal sehe ich den Weg nicht. Da geht es mir gar nicht nur um heute oder nächste Woche. Ich denke an Zeiträume von mindestens zehn Jahren.

Erwarten Sie weitere negative gesellschaftliche Veränderungen?
Während des Wahlkampfs hat die extreme Rechte sich in taktischer Zurückhaltung geübt, um die AfD nicht in Verruf zu bringen. Aber man merkt die völkische Mobilisierung an vielen Stellen. Neonazis nehmen den öffentlichen Raum stärker in Anspruch. Das hat in den letzten Monaten vor allem in kleineren Städten Thüringens stark zugenommen, auch im Alltag. In Bad Blankenburg wurde jüngst eine schwarze Frau mit Kind auf dem Arm vom Busfahrer nicht mitgenommen, weil er verlangt hat, dass sie das Kind runternimmt, das würde man in Deutschland so nicht machen. Solche rassistischen Äußerungen und Bedrohungen bis hin zu Anspucken, oder dass Kopftücher heruntergerissen werden, sind Alltag. Und mittlerweile gibt es auch in größeren Städten vermehrt extrem rechte Graffiti oder Aufkleber. Diese atmosphärische Veränderung ist bedrohlich und ich bin mir sicher, dass das zunehmen wird.

Auch weil viele junge Leute die AfD gewählt haben?
Ja, und da geht es noch nicht mal nur um die, die wählen dürfen, sondern um die Altersklasse 15 bis 18, insbesondere junge Männer. In ein paar Jahren werden wir es wieder mit mehr gefestigten Neonazi-Kameradschaften zu tun haben, die jetzt noch als eher lose Jugendgruppen unterwegs sind. Da herrscht eine krasse Verachtung für andere Menschen, verbunden mit einer extremen Aggressivität.

Warum ist die völkische Hegemonie in Thüringen so ausgeprägt?
Seit Jahrzehnten weiß man, dass es hier ein hohes, zweistelliges Potential von rassistischen und rechten Einstellungen gibt. Dieses Potential konnte vor zehn Jahren aber noch nicht in der Breite parlamentarisch durch die extreme Rechte abgeschöpft werden, was teils daran lag, dass es tabuisiert und nicht salonfähig war, völkische Parteien zu wählen oder sich dazu öffentlich zu bekennen. Das hat sich inzwischen vollkommen gewandelt. Hinzu kommt, dass wir in Thüringen seit den neunziger Jahren tief verankerte rechte Strukturen haben, lange galten aber Linke als das Problem.

»Man muss sich vor Augen führen, was es bedeutet, wenn eine militante Neonazi-Gruppe wie »Knockout 51« über Jahre hinweg machen kann, was sie will: Leute zusammenschlagen, pa­trouillieren, die Wohnungen von Anti­faschist:innen markieren.«

Was heißt das konkret?
Man muss sich vor Augen führen, was es bedeutet, wenn eine militante Neonazi-Gruppe wie »Knockout 51« über Jahre hinweg machen kann, was sie will: Leute zusammenschlagen, pa­trouillieren, die Wohnungen von Anti­faschist:innen markieren. Da gab es kein konsequentes Vorgehen der Behörden, auch nicht unter der rot-rot-grünen Regierung. Als dann irgendwann begonnen wurde, das Problem ernst zu nehmen, kam viel zu wenig. Die Ermittlungen und großen Razzien gegen die rechte Szene wurden von der Generalbundesanwaltschaft geführt. Auf Landesebene wurde oft nichts gemacht, obwohl es Demonstrationen gab und staatliches Handeln deutlich gefordert wurde. Das wird mit dem Sieg der AfD noch schlimmer.

Die Linkspartei hat deutlich an Stimmen verloren, auch durch die Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht. Wie erklären Sie sich dessen Erfolg?
Da steht definitiv die Außenpolitik, vor allem der Umgang mit dem russischen Angriffskrieg, im Zentrum. Das haben wir an Infoständen zu hören bekommen, wo teils auch ein krasser Antisemitismus durchklang. Es könne nicht sein, dass man die Ukraine unterstützt, dass das nicht unser Krieg sei, und: »Selenskyj, der Jude, ist doch selber schuld.« Hinzu kommt, dass die soziale Frage vom BSW nationalistisch beantwortet wird. Damit können Personen mit rassistischen Einstellungen, die sich selber nicht für rassistisch halten, behaupten, sie seien links. Das bezieht sich nicht nur auf den Asylbereich, sondern auch auf eine nationalistische Sozialpolitik im Sinne von »Deutschland und Deutsche zuerst«. Das zieht nicht ­wenige Leute.

Hat die Linkspartei unterschätzt, wie groß dieser Teil ihrer Wählerschaft war?
Ich glaube, dass auch ich es im Ausmaß unterschätzt habe. Wir haben es jedenfalls viel zu lange nicht ernst genug genommen und die eigenen Inhalte, etwa auch Umverteilungsforderungen, teils nicht gut genug vertreten. Aber es stellt sich auch die Frage, was man konkret meint, wenn man von offenen Grenzen spricht. Das eine ist die Utopie, das andere ist die Frage nach der parlamentarischen Umsetzung und was es an entsprechenden Unterstützungsstrukturen braucht, die finanziert und aufgebaut werden müssen. Wenn zahlreiche Geflüchtete nach Deutschland kommen, wie 2015 oder seit 2022, braucht es Investitionen in die Infrastruktur, in Schulen, Wohnungen, Kindergärten, Sprachkurse und so weiter. Ich glaube, da haben wir zu lange zurückhaltend argumentiert, auch weil wir keine klare Linie hatten.

Sie sehen also trotz der Wahlniederlage in der Abspaltung des Wagenknecht-Flügels eine Chance?
Ja. Ich bin froh über die Abspaltung. Jetzt gibt es mehr Klarheit. Da reicht es nicht zu sagen, man ist progressiv. Gerade wenn man sich anschaut, dass so gut wie alle anderen nach rechts rücken, braucht es eine klar antifaschistische und sozialistische Partei, die den Kapitalismus als Problem benennt und konkrete Ideen und Konzepte anbietet. Das reicht von einer kon­sequenten Sozialpolitik über weitere Unterstützung von außerparlamentarischen Strukturen, Gewerkschaften, antifaschistischen und migrantischen Organisationen bis hin zum Einsatz für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit.

Zur autoritären Entwicklung gehört auch das Erstarken orthodox marxistischer Gruppen. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Es ist ein riesiges Problem, dass es solchen Gruppen mittlerweile gelingt, wichtige linke Orte wie das Conne Island so unter Druck zu setzen, dass sie deren Existenz gefährden. Und das in Zeiten, in denen eine rassistische und antisemitische Partei in einem Bundesland stärkste und in einem anderen mit geringem Abstand zweitstärkste Kraft wird. Alle Bands und DJs, die in den vergangenen Monaten Auftritte im Conne Island oder About Blank in Berlin abgesagt haben, sollten sich überlegen, was sie mit ihren Absagen erreichen: Linke Strukturen sind akut bedroht, nur weil sie sich zum Existenzrecht Israels bekennen und Israel nicht als das absolut Böse darstellen.

»Ich sehe in Teilen der Linken ein überholtes antiimperialistisches Weltbild, einen weitverbreiteten Antiamerikanismus, in dem die USA als Hauptfeind betrachtet werden, bei einigen auch Israel.«

Ich hoffe, es gelingt uns, diese autoritären Gruppen zurückzudrängen, die ja gar nicht erst versuchen, zivile Opfer auf beiden Seiten zu sehen. Sie ignorieren, was die Hamas in Israel angerichtet hat. Die meisten benennen nicht, dass es eine islamistische Terrororganisation ist, die Palästinenser:innen im Gaza-Streifen unter menschenverachtenden Bedingungen beherrscht und unterdrückt. Ich kriege mit, dass auch progressive Juden und Jüdinnen sich auf linken Demonstrationen nicht mehr sicher fühlen.

Hat die Linkspartei es versäumt, eine klare Position zu beziehen?
Ich glaube, nicht nur »Die Linke« als Partei, sondern die Linke als Bewegung insgesamt. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir angefangen haben, Islamismus als Teil des Faschismus zu begreifen und genauso zu bekämpfen. Und das, obwohl Islamismus und Faschismus sich verdammt ähnlich sind, wenn es etwa gegen queeres Leben geht, um die Rolle der Frau oder um Antisemitismus.

Wie erklären Sie sich das?
Ich sehe in Teilen der Linken ein überholtes antiimperialistisches Weltbild, einen weitverbreiteten Antiamerikanismus, in dem die USA als Hauptfeind betrachtet werden, bei einigen auch Israel. Teilweise findet sich der alte Antisemitismus des Antiimperialismus auch in dekolonialen Diskursen wieder. Wir haben es versäumt, unser Wissen und unsere Debatten an nachwachsende Generationen weiterzugeben. Und insbesondere im Zuge der Covid-19-Pandemie haben wir es verpasst, Social Media als neuen politischen Sozialisationsraum zu begreifen.

Was bedeutet das für emanzipatorische Kritik?
Es ist uns nicht gelungen, Kritik als Form des konstruktiven Miteinanders zu verankern; Kritik wird heutzutage oft leider als Angriff empfunden. Das hat auch mit einem teils falsch gelebten oder verstandenen Antirassismus zu tun. Wer von Rassismus betroffen ist, ist deshalb nicht frei von Fehlern oder auch absurden, menschenverachtenden Positionen. Da sind viele zu lange nicht in die Auseinandersetzung gegangen, auch weil es uns an Wissen gefehlt hat. Wir hätten uns viel früher etwa mit kurdischen Genoss:innen, aber auch mit Menschen, die seit 2015 hergekommen sind, vor Islamismus geflohen sind, zusammensetzen müssen. Die Linke insgesamt muss begreifen, dass Islamismus das freie Leben und die offene Gesellschaft bedroht. Es wäre gut gewesen, wenn es zum Beispiel nach dem islamistischen Attentat in Solingen eigene antifaschistische Demonstrationen oder Gedenkveranstaltungen gegeben hätte.