Private Unternehmen lösen staatliche Raumfahrtbehörden zusehends ab

Hochbetrieb im Vakuum

Während staatliche Agenturen zusammen mit privaten Raumfahrt­unternehmen die kommerzielle Nutzung des Weltalls vorantreiben, bleibt eine öffentliche Debatte über die Auswirkungen aus.

Ob Neugier, Grundlagenforschung, Ausbeutungsphantasien oder kompletter Wahnsinn – die unendlichen Weiten des Weltalls bieten seit jeher die größte Projektionsfläche für menschliche Sehnsüchte und Ängste, die sich denken lässt. Doch Raumfahrt ist nicht gleich Raumfahrt, das Bereisen des Weltalls befindet sich in einer heiklen Umbruchphase, wie einige derzeitige Missionen zeigen.

»Polaris Dawn« (Polarstern Morgendämmerung) lautet der hochtrabende Name einer fünftägigen, von Privatunternehmen geplanten Weltraummission, die am Dienstag ins All startete und als Werbung für die Firma SpaceX des Multimilliardärs Elon Musk dient – obwohl sie nicht zur Gänze von dessen Unternehmen veranstaltet wird. Der US-amerikanische Unternehmer und Pilot Jared Isaacman hat die notwendigen Gerätschaften von SpaceX gechartert, um nach 2021 zum zweiten Mal eine Mission anzuführen, deren Crew – darunter zwei Mitarbeiterinnen von SpaceX – nicht aus Berufs­astronauten besteht.

Raumfahrtunternehmen wie SpaceX geben vor, schneller und effektiver zu arbeiten als staatliche Behörden – würden ohne umfangreiche öffentliche Aufträge aber gar nicht existieren.

Geplant ist neben wissenschaftlichen Experimenten einiges Außergewöhnliches, darunter der erste nicht von staatlichem Personal unternommene Raumspaziergang, der höchste bemannte Flug in der Erdumlaufbahn seit den siebziger Jahren und die Erprobung laserbasierter Kommunikation, die über das von SpaceX betriebene satellitengestützte Internetprogramm Starlink erfolgen wird. Letzteres soll SpaceX zufolge dazu dienen, wertvolle Daten für künftige Weltraumkommunikationssysteme zu liefern, »die für Missionen zum Mond, Mars und darüber hinaus benötigt werden«. Deshalb erfolgen die Tests außerhalb der Magnetosphäre, die Erde und niedrigen Orbit vor Strahlung schützt – ein erhebliches Risiko.

Bereits Ende des Jahres soll eine weitere bei SpaceX gecharterte Mission mit dem Namen »Fram2« ins All starten. Finanziert und angeführt von dem chinesischstämmigen Kryptowährungsunternehmer Chun Wang sollen mit »Fram2« das erste Mal Menschen über den Polarregionen kreisen. Die Crew besteht neben Wang aus drei weiteren Personen, dazu gehört auch die erste deutsche Raumfahranwärterin, die 28jährige Elektroingenieurin Rabea Rogge.

Mit solchen kommerziellen Reisen geben Raumfahrtunternehmen wie SpaceX vor, schneller und effektiver zu arbeiten als staatliche Raumfahrtbehörden. Die Ironie dabei ist, dass SpaceX ohne milliardenschwere Aufträge der US-Regierung überhaupt nicht existieren würde, wie so viele andere sogenannte private Unternehmen auch.

Schlappe für die Nasa und für Boeing

Derweil sind auf der Internationalen Raumstation ISS zwei US-amerikanische Astronauten der Nasa gestrandet, die mit dem ersten bemannten Raumschiff des Herstellers Boeing aufgebrochen waren. Doch der von der Nasa in Auftrag gegebene »Starliner« ist dermaßen fehlerbehaftet und unzuverlässig, dass er am Samstag sicherheitshalber ohne die beiden Astronauten Sunita Williams und Barry Wilmore zur Erde zurückgekehrt ist.

Die unfreiwilligen Langzeitcamper im All können erst 2025 wieder zurückfliegen, und zwar mit einer Raumkapsel des Konkurrenten SpaceX. Das kommt einer Schlappe für die Nasa und für Boeing gleich, für SpaceX ist es ein weiterer Werbeerfolg: ein Ergebnis der Kommerzialisierungs- und Privatisierungspolitik, die die Nasa in den vergangenen Jahrzehnten betrieben hat.

2031 wird die ISS ihren Betrieb einstellen und kontrolliert zum Absturz gebracht werden. Für die Zeit danach sieht sich die Nasa einem Bericht des Mitteldeutschen Rundfunks zufolge nicht mehr als Betreiber einer Raumstation wie der ISS, sondern nur noch als deren Mieter. Private Firmen sollten einen Großteil des Weltraumgeschäfts übernehmen. »Wir freuen uns darauf, unsere Erkenntnisse und Betriebserfahrungen mit dem privaten Sektor zu teilen, um ihm bei der Entwicklung sicherer, zuverlässiger und kosteneffizienter Ziele im Weltraum zu helfen«, zitiert der MDR Philip McAlister, Direktor für kommerzielle Raumfahrt bei der Nasa.

Indien stieg nach der Sowjetunion, den USA und China zur vierten Mondlandenation auf, und das zu einem geradezu lächerlich niedrigen Preis von umgerechnet rund 66 Millionen Euro.

Auch was Flüge zum Mond angeht, kann man interessante Entwicklungen beobachten. Russland wollte voriges Jahr zeigen, dass es ungeachtet des schleppenden irdischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Weltraum weiterhin eine Großmacht ist, scheiterte aber mit »Luna 25« kläglich. Der Absturz der Sonde auf dem Mond bescherte der ersten russischen Mondmission seit knapp 50 Jahren ein komplettes Fiasko.

Auch das japanische Privatunternehmen Ispace hatte mit seiner im vergangenen Jahr abgestürzten Mondsonde »Hakuto-R« keinen Erfolg. Die staatliche japanische Raumfahrtagentur Jaxa konnte ihre Sonde »Slim« immerhin weich auf dem Mond landen, das Fahrzeug kippte aber zur Seite und konnte nur einen kleinen Teil seiner Aufgaben erfüllen.

Mehr Glück hatte die staatliche indische Raumfahrtagentur mit ihrer Sonde »Chandrayaan-3«, die nicht nur im vergangenen Jahr planmäßig auf dem Mond landete, sondern ihre Mission ohne große Probleme bewältigte. Damit stieg Indien nach der Sowjetunion, den USA und China zur vierten Mondlandenation auf, und das zu einem geradezu lächerlich niedrigen Preis von umgerechnet rund 66 Millionen Euro. Nicht nur ist eine weitere indisch-japanische Mission für 2025 geplant – beflügelt vom Erfolg mit »Chandrayaan-3« ist sogar die Rede von einer eigenen indischen Raumstation bis 2035 und von einer bemannten indischen Mondmission bis 2040. Das Land steht im Verdacht, bestehende Raumfahrttechnologien anderer Nationen lediglich zu kopieren und seine Ingenieure im Vergleich zu deren ausländischen Kollegen deutlich schlechter zu bezahlen, wie Zeit Online berichtete.

Bemannte chinesische Mondmission soll bis 2030 stattfinden

Der Ehrgeiz Indiens wird nur von dem Chinas übertroffen. Im Mai hat die Volksrepublik die Landesonde ihrer unbemannten Mission »Chang’e 6« nicht nur erfolgreich auf der erdabgewandten Seite der Mondes aufsetzen lassen. Die Sonde entnahm auch Bodenproben und schickte sie mit einer Aufstiegsstufe erst wieder hoch in die Mondumlaufbahn und dann zurück zur Erde. Das war nicht nur das erste Mal überhaupt, dass von der erdabgewandten Seite des Mondes Proben zur Erde zurückgebracht wurden. Die eingesetzten Technologien sind auch essentiell für die bemannte chinesische Mondmission, die bis 2030 stattfinden soll.

Es gibt also sehr viel Aktionismus in der Erdumlaufbahn und auf dem Mond. Doch wozu das alles? Sollen mit der Befahrbarkeit des erdnahen Alls lediglich die faschismusaffinen Musk-Anhänger und agilen Krypto-Unternehmer beeindruckt werden, die, wenn sie reich genug sind, bald exklusive touristische Reisen unternehmen können? Geht es den Staaten wie zu Zeiten des Kalten Kriegs um nationale Macht- und Prestigespielchen? Oder hat der Run auf Rohstoffe im Weltall schon längst begonnen, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon bemerkt hätte?

Offenkundig fehlt eine öffentliche Debatte darüber, wie die technologischen und wissenschaftlichen Errungenschaften zu bewerten sind, die mit dieser »Eroberung« des Weltalls einhergehen. Dasselbe trifft auf die politischen, wirtschaftlichen, technologischen und sonstigen Auswirkungen dieser Unternehmungen zu. Was hat es zum Beispiel zu bedeuten, dass ein autoritärer und antidemokratischer Staat wie die Volksrepublik China das derzeit ehrgeizigste und augenscheinlich erfolgreichste Weltraumprogramm verfolgt?

Ebenso ungern wird ein wichtiges Raumfahrtdilemma diskutiert, das die zuständigen Behörden und Unternehmen selbst geschaffen haben: Weil es nicht gelungen ist, die Weltraumforschung sinnvoll im internationalen Maßstab zu koordinieren, befindet sich mittlerweile so viel Weltraummüll im Orbit um die Erde, dass er eine ernsthafte und wachsende Gefahr für die Raumfahrt darstellt. Jeder Raketenstart verschlimmert dieses Problem nur – wir nageln den Himmel zu, den wir so gerne erobern würden. Und die Frage nach dem utopischen Potential, das in der Weltraumforschung stecken könnte, also die Erörterung der möglicherweise fixen Idee, dass es »da draußen« ein besseres, freieres Leben für die Menschheit geben könnte, überlässt man gleich ganz der Science-Fiction.