»Endless Rüttenscheid«, das neue Album von International Music, besticht durch einen Sound, der an Krautrock, Psychedelic Rock und ­Wave-Pop erinnert

Zeitlos melancholisch

Das Trio International Music kommt aus Essen – und hat dem Stadtteil Rüttenscheid im Titel ihres jetzt erschienenen Albums »Endless Rüttenscheid« ein Denkmal gesetzt. Die zwölf neuen Songs bestechen durch ihren Sound, der an Krautrock, Psychedelic Rock und ­Wave-Pop erinnert, und Texte, die nostalgisch sind, ohne rückwärtsgewandt zu wirken.

Gleich die ersten Akkorde dieses Albums knipsen eine ganze Welt an. Da ist die fast bluesrockige Gitarre, der Schellenkranz, der einsetzt, das Hängenbleiben auf den Riffs und vor allem diese psychedelisch-entrückte Lead-Gitarre, die weite Kreise zieht. Dazu singen International Music die verheißungsvollen Verse: »Ich glaub’, ich werde später in die Disko gehen / Er geht in die Diskothek (…) Perlt der Schweiß / Wird dir heiß / Fängst du an zu dancen, fängst du dich an zu drehen / Fängst du an, 100 bunte Farben zu sehen«.

Von einem Retro-Traum handelt der Eröffnungstrack »Kraut« vom neuen Album »Endless Rüttenscheid«, man fühlt sich tatsächlich in eine Diskothek aus den siebziger Jahren in einem beliebigen Bahnhofsviertel in Westdeutschland zurückversetzt. Ein paar Lieder weiter dann, in einer Neuaufnahme ihres Songs »Mont St. Michel« (der vorher auf dem Album »Die besten Jahre« erschien und jetzt »Mont St. Michel (Reprise)« heißt), wird eine völlig andere Atmosphäre erzeugt. Tieftraurige Gitarren-Arpeggios und elegische Synthesizer untermalen die Geschichte von einer Lebens-, Liebes- und Sinnkrise: »Knie kaputt / Frisur ist scheiße / Die besten Jahre sind vorbei«, lautet der Text lakonisch. In beiden Songs, so unterschiedlich sie auch sind, saugt einen der Sound geradezu in die Stimmung und das Setting hinein, man fühlt sich hineinversetzt in den ­Zustand, der besungen wird.

International Music ist mit »Endless Rüttenscheid« ein Psychedelic-Album auf Deutsch gelungen, in dem Musik und Text einen ganz weiten (Deutungs-)Raum eröffnen und wundersam miteinander harmonieren.

»Endless Rüttenscheid« ist das dritte Studioalbum von International Music, und es ist beglückend, dieser Band dabei zuzuhören, wie sie immer weiter zu sich findet. ­Gegründet hat sich das Trio 2015 in Essen, es besteht aus Peter Rubel (Gitarre, Keyboard und Gesang), Pedro Goncalves Crescenti (Bass und Gesang) und Joel Roters (Schlagzeug). Schon die beiden ersten Alben »Die besten Jahre« von 2018 und »Ententraum« von 2021, die bei Staatsakt erschienen, kamen bei der Musikpresse sehr gut an. Die neue Platte erscheint nun auf dem eigenen Label Timeless Melancholic Music, dessen Name zugleich eine selbstgewählte Genre-Beschreibung ist: »Wir machen timeless melancholic music«, heißt es in dem neuen Song »Liebesformular«.

Rubel und Goncalves Crescenti hatten bereits 2012 die Düsseldorf Düsterboys gegründet; mit diesem Kammerpopduo, das irgendwo zwischen Simon & Garfunkel und Helge Schneider anzusiedeln ist, sind sie in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich gewesen. International Music ist dagegen eher von Psychedelic-, Garage- und Krautrock geprägt. Beide Bands bewegen sich in der hochspannenden Rhein / Ruhr-Indie-Szene; International Music haben etwa schon mit Nils Herzogenrath (Vomit Heat) zusammengearbeitet, eine gemeinsame Single ­erschien beim kleinen und feinen Label Ana Ott.

»It das Besingen utopischer Zustände unpolitisch?«

International Music ist mit »Endless Rüttenscheid« ein Psychedelic-Album auf Deutsch gelungen, in dem Musik und Text einen ganz weiten (Deutungs-)Raum eröffnen und wundersam miteinander harmonieren. In die Vergangenheit schauen, sich der Nostalgie hingeben, das darf man bei ihnen nicht als Ausdruck von Rückwärtsgewandtheit verstehen, ganz im Gegenteil. Man muss ihnen nur gut zuhören. Denn in »Karma Karma«, einem Schlüsselsong des Albums, singen sie: »Und immer wieder fällt das Alte auseinander / Und immer blüht das Neue irgendwo auf«. Interna­tional Music singen über Utopien, werden dabei aber nie konkret ­politisch.

In einem Mailwechsel mit der Jungle World schreiben sie, sie seien nie eine Band der klaren politischen Parolen gewesen. »Aber ist das Besingen utopischer Zustände unpolitisch?« fragen sie zurück. »Wir verkörpern mit unserer Band eine Haltung: Offenheit, Diversität, Spielfreude und Zärtlichkeit, das sind wichtige Werte.«

International Music: »Wir machen ›timeless melancholic music‹«, heißt es in dem Song »Liebesformular«

International Music: »Wir machen ›timeless melancholic music‹«, heißt es in dem Song »Liebesformular«

Bild:
Lukas Vogt

Diese Werte ziehen sich tatsächlich durch ihre Musik. Auf »Endless Rüttenscheid« sind Liebe, Abschied und Veränderung wiederkehrende Motive, zum Beispiel im neopsychedelischen Song »Fehler« (»Ein ­Gedanke, der gefällt / Ist, dass die Liebe zu dir hält«), im Rock ’n’ Roll-Stück »Kieselwege« (»Warum tust du dir die Wanderung immer wieder an / Der Zufall will es wissen, diese Straße ist verbrannt«) oder im melancholisch plätschernden Titeltrack »Endless Rüttenscheid« (»Dann hast du mir gesagt, ich solle mich befreien / Grenzen werden Übergänge sein«). Was die hohe Qualität der Texte ausmacht, ist, dass sie sehr deutungsoffen sind. Die ganz großen Lebensthemen werden dabei immer wieder gebrochen durch ­alltägliche Verse: »Ein heller Funke lebt sich aus / Ich treffe ihn im Rewe / Er sagt mir Happiness voraus / Ich glaub‘ er liegt daneben«, heißt es in »Ein guter Tag«. Ein feiner, absurder Humor, der zwischen den Zeilen aufblitzt.

Zu ihrer Wahlheimat Essen – Rubel und Goncalves Crescenti kamen 2012 aus Mainz ins Ruhr­gebiet – scheinen sie eine ambivalente Beziehung zu haben.

Während die Lyrics zum Teil sehr assoziativ daherkommen, wirkt die Musik durchkomponiert und bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Produziert hat das Album Olaf Opal, der im deutschen Indie bestens bekannt ist und unter anderem mit The Notwist und Die Sterne zusammengearbeitet hat.

Opal hat auch schon die beiden vorherigen Alben von International Music produziert – diesmal sei die Produktion allerdings etwas anders verlaufen, berichtet die Band: »Wir haben uns zwischen August 2023 und Februar 2024 immer wieder Zeiträume ­geschaffen, in denen wir Aufnahmephasen im Studio hatten. Teilweise haben wir dann Songs nochmal neu aufgenommen und arrangiert, weil wir mit der Aufnahme doch noch nicht so zufrieden waren oder eine andere Richtung ausprobieren wollten.«

Feiner Humor. Die Essener Band International Music

Feiner Humor. Die Essener Band International Music

Bild:
Lukas Vogt

Musikalisch beeindruckt nicht nur die Komposition, sondern auch die stilistische Vielfalt. Da stehen hymnische, wavige Pop-Nummern wie »Liebesformular« und »Guter Ort« neben an Bands wie die Beach Boys erinnernden Songs wie »International Heat« und Songwriter-Stücken wie »Lass es ziehen« oder das schon erwähnte »Mont St. Michel (Reprise)«. Als bewusste Einflüsse für dieses Album nennen Rubel und Goncalves Crescenti die Bands ­Television Personalities und The Clash, was man aber nicht direkt heraushört.

Zu ihrer Wahlheimat Essen – beide kamen 2012 aus Mainz ins Ruhr­gebiet – scheinen sie eine ambivalente Beziehung zu haben, wie der Albumtitel andeutet: Rüttenscheid ist das Essener Ausgeh­viertel. Man könnte die zwölf Songs auch als eine Auseinandersetzung der Band mit ihrer Zeit in Essen verstehen (»Erinnerung an eine Party, Lektion eins / Wenn du nicht kommen willst, sag Bescheid / Erinnerung an eine Party, Lektion zwei / Wir heißen dich willkommen, endless Rüttenscheid«). Sicher ist aber, dass dieses Album weit über Essen-Rüttenscheid hinaus strahlt, mindestens in die gesamte Republik.

International ­Music: Endless Rüttenscheid (Timeless Melan­cholic Music / Bertus / The Orchard)