Trumps Rechtspopulismus ist kein spezifisch US-amerikanisches Phänomen

Ausgerechnet in den USA

Disko Von Lars Quadfasel

Der Rechtspopulismus von Donald Trump ist Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen, die auch Europa prägen. Spezifisch für die USA ist allerdings, dass so viele etwas durch einen Wahlsieg Trumps zu verlieren haben, dass sogar die Sozialdemokratie wieder erwacht.

Donald Trump tritt erneut an, um Präsident der USA zu werden, und auch in der EU regieren vermehrt Rechtspopulisten und erstarken die Rechtsex­tremisten. Was sind die Ursachen dieses rechten Auf­schwungs, und was könnte ihn aufhalten? Auftakt ­einer Disko-Reihe zum US-Wahlkampf.

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Als Donald Trump 2016 – mit mehr Glück als Verstand – die Präsidentschaftswahl knapp gewann, setzte das große Rätselraten ein. Dass ein zweitklassiger Schmierenkomödiant und Westentaschendemagoge das gleiche Amt ausüben würde wie vor ihm George Washington und Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt, trübte doch ein wenig das Bild von den USA als the land of the free and the home of the brave.

Die erste Reaktion auf den Schock war darum Exterritorialisierung: Nicht das Wahlvolk sei schuld an Trump und auch nicht die archaische Institu­tion des Wahlkollegiums, sondern Wladimir Putin. Außerdem wurde gehofft: Spätestens in vier Jahren, so die verbreitete Überzeugung, werde der Spuk sich legen und die Rechte wieder zur Besinnung kommen.

Demokratie in den USA war lange eine Herrenvolkdemokratie

Weit gefehlt. Statt zum Triumphzug für Vernunft und Sittlichkeit geriet die Wahl 2020 samt Nachgang zur ernüchternden Zitterpartie. Dass weder die schier unüberschaubare Masse an Skandalen und Enthüllungen noch die sich häufenden Niederlagen bei Zwischenwahlen, ja nicht einmal die Staatsstreich-Performance vom 6. Januar 2021 dem Personenkult um Trump etwas anhaben konnten, machte alle Hoffnungen zunichte, das Phänomen als bloßen Betriebsunfall abtun zu können. Seither steht die Frage auf der Tagesordnung, wie so etwas ausgerechnet in den USA möglich ist.

Antworten darauf gibt es zur Genüge. Demokratie in den USA war die längste Zeit ihres Bestehens eine Herrenvolkdemokratie; die in den Südstaaten herrschende Rassentrennung wurde gesetzlich erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts beendet.

Dementsprechend reich ist die US-amerikanische Ideengeschichte an reaktionären Legitimationsideologien.

Wie weit muss man zurückgehen, um die »Make America Great Again«-Bewegung zu verstehen?

Die vergangenen Jahre sahen geradezu eine Flut an Veröffentlichungen, die sich mit den historischen Traditionen und Kontinuitäten befassen, aus denen sich ein spezifisch US-amerikanischer Autoritarismus speist: aus dem Elitarismus der Gründerväter und ihrer steten Sorge, zu viel Demokratie könne dem »Pöbel« zur Macht verhelfen; aus der ausgebliebenen politischen und ökonomischen Entmachtung der ehemaligen Sklavenhalter nach dem Bürgerkrieg und der bis heute andauernden nostalgischen Verklärung der Konföderierten; aus der Umdeutung von Freiheit in Entgesellschaftung, wie sie aus der frontiers-Rhetorik und dem populistischen Kult um die »kleinen Leute« spricht; aus dem fanatischen Widerstand gegen Roosevelts »New Deal« von Teilen der Kapitalistenklasse, die lieber mit Nazi-Deutschland gemeinsame Sache machen wollten, als auch nur das kleinste bisschen Sozialstaat zu erdulden; aus der Erbschaft von 400 Jahren Puritanismus und religiösem Erweckungseifer; aus dem sich periodisch Bahn brechenden Hass auf die jeweils neueste Gruppe unerwünschter Einwanderer, von Iren und Deutschen über Juden und Polen bis zu Ostasiaten und Südamerikanern; aus dem zähem Widerstand der Insti­tutionen samt Polizeigewalt gegen jeden neu erkämpften Fortschritt afroamerikanischer Emanzipation.

Keine dieser Vorhaltungen ist falsch. Aber gerade weil in der Gestalt Trumps so ungeheuer viele reaktionäre Stränge zusammenlaufen, erklärt der Rekurs darauf zugleich alles und nichts. Wie weit muss man zurückgehen, um die »Make America Great Again«-Bewegung zu verstehen? Zum Paläokonservatismus der neunziger Jahre? Zu Joe McCarthy und den antikommunistischen Geheimgesellschaften der Fünfziger? Zu den antikatholischen Know Nothings, den Nativisten des mittleren 19. Jahrhunderts? Oder gleich bis 1619, dem Jahr der Landung des ersten Sklavenschiffs in Nordamerika? Und was wäre damit gewonnen?

Verschmelzung von Fernsehstar und Führerkult

Vielleicht wäre es darum sinnvoller, die Frage einmal umzudrehen: nicht warum »ausgerechnet in Amerika« der Autoritarismus eine Massenbasis gewinnen konnte – sondern warum ausgerechnet die USA vom weltweiten Trend zur Autoritarismus hätten verschont bleiben sollen. Nichts an Trump ist schließlich originell. All das Gegeifer gegen Flüchtlinge und Migranten, gegen »die da oben« als korrupte und abgehobene »Eliten«, die uns unsere Sitten und Gebräuche madig machen wollen, das alles hat man ja schon hunderttausendfach gehört. Selbst das scheinbar Innovativste, die Verschmelzung von Fernsehstar und Führerkult, hat vor ihm schon Silvio Berlusconi vorgeführt, nur mit dem Unterschied, dass Italien weniger bedeutend ist als die nukleare Supermacht USA.

Was in den USA vor sich geht, lässt sich beschreiben wie in anderen Ländern auch: Es ist das Resultat einer Rechten, die sich gründlich totgesiegt hat – und deren Widersprüche ihr nun um die Ohren fliegen. Man hatte versprochen, die Logik des Marktes zu entfesseln, und nun sieht man, wozu Märkte fähig sind.

»Alles Ständische und Stehende«, wie Marx einmal schrieb, »verdampft«, darunter in den vergangenen Jahrzehnten auch genau das, was den US-Konservativen die Grundbausteine menschlichen Zusammenlebens sind: Kirchen und Vereine, Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft, Ehe und Familie. Wenn es, wie Margaret Thatcher triumphierend verkündete, keine Gesellschaft gibt, dann vergeht auch deren repressive Kraft. Die Auflösung des Nachkriegsfordismus entmachtete nicht bloß die Gewerkschaften, sondern auch die geschlechtlichen Tabus, und die Niederlagen der Arbeiterbewegung ­gehen einher mit den Siegen der Frauen- und LGBT-Emanzipation. Ohne Gesellschaft, wie die Reaktion mit Schrecken fest­stellen muss, auch keine Feinde der Gesellschaft. Das lässt die Ressentiments leerdrehen.

Monetarismus, Militarismus, geistig-moralische Erneuerung

Wenn es an dieser Entwicklung etwas spezifisch US-Amerikanisches gibt, dann nur, dass sie, wie alles, was das Kapital betrifft, dort besonders offen zutage liegt. Nirgends trat das Dreigestirn der Reaktion – Monetarismus, Militarismus, geistig-moralische Erneuerung – messianischer auf als in den USA unter Ronald Reagan. Umso tiefer daher der Fall: Nirgends hat sich die Deregulierung gründlicher blamiert als in der Bankenkrise 2007/2008; nirgends hat sich der Neokonservatismus mehr desavouiert als in der Irak-Intervention; nirgends tritt der christliche Fundamentalismus ­lächerlicher auf als dort, wo er einen Windbeutel vergöttert, der für Sex mit Pornostars Schweigegelder zahlt. Nirgends müssen daher diese offenkundigen Realitäten gründlicher verleugnet werden. Daraus bezieht die US-amerikanische Rechte ihre bösartige Energie.

Es bezeichnet zugleich auch ihre Schwäche. Wenn es einen signifikanten Unterschied zwischen Maga-Republikanern und rechtspopulistischen Bewegungen anderswo gibt, dann den, dass Trump seinen Anhängern nie auch nur ansatzweise sozialstaatliche Versprechungen macht. Das Ressentiment bleibt reiner Luxus. Über andere politische Ziele der Republikaner, die heiß ersehnte Privatisierung der Rentenkassen etwa, redet man weniger gerne. Was umgekehrt wiederum heißt, dass genügend Menschen etwas zu verlieren haben – und das durchaus wissen.

Dass die USA eine der ersten großen multiethnischen Demokratien der Welt waren, die nach der Durchsetzung der Bürgerrechtsgesetze in den Sechzigern auch rassistisch diskriminierte schwarze Bürger einschloss, erklärt historisch die Schwäche des US-Sozialstaats: lieber keine staatliche Krankenversicherung als eine, von der auch die verachteten anderen profitieren.

Revita­lisierung einer zuvor moribunden Sozialdemokratie

Aber es erklärt auch deren Beharrungskraft. Die nach dem US-Zensus um die 40 Millionen Afroamerikaner, 60 Millionen Latinos, selbst die zehn bis 15 Millionen undokumentierten Einwanderer stellen keine winzigen Minderheiten dar, an denen man sich ungestraft das Mütchen kühlen kann; erst recht, wenn dann auch noch die weißen Bewohner der West- und Ostküste zum Feindbild dazukommen.

Dass die durchprivatisierte Volksgemeinschaft, die die Maga-Bewegung sich ersehnt, nicht nur in sich einen Widerspruch bildet, sondern dar­über hinaus auch noch weniger als die Hälfte der Nation umfasst, treibt die amerikanische Rechte permanent zur Weißglut. Aber es zwingt auch deren Gegner, mit der Opposition dagegen, so wenig gerne man es täte, doch irgendwann ernst zu machen.

Was die Ära Trump kennzeichnet, ist nicht bloß die stetige Eskalation der Rechten, sondern auch die Revita­lisierung einer zuvor moribunden Sozialdemokratie; mehr also, als man un­ter ähnlichen Bedingungen für Deutschland erhoffen dürfte, wo die vorauseilende Kapitulation bekanntlich als ­erste Bürgerpflicht gilt.