Gegen die Pläne der serbischen Regierung zum Lithiumabbau gibt es breiten Protest

Kampf um den Rohstoff

Anfang August haben in Serbien Tausende gegen den Lithiumabbau protestiert. Regierungsmitarbeiter behaupteten, bei dem Protest handele sich um eine Verschwörung zum Sturz des Präsidenten Aleksandar Vučić.

Zehntausende Demonstrant:innen zogen am 10. August durch die serbische Hauptstadt Belgrad. Darunter waren Linke, Umweltschützer, Bäuerinnen und Nationalistinnen, sie protestierten gegen ein Bergbauprojekt in Westserbien. Im Tal des Flusses Jadar war im Jahr 2004 eine der größten Lithiumlagerstätten der Welt entdeckt worden. Nach Schätzungen von Geolog:innen umfassen die dortigen Vorkommen 118 Millionen Tonnen Erz mit einem Lithiumgehalt von 1,8 Prozent.

Pläne, diese Lagerstätte durch den britisch-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto ausbeuten zu lassen, der für Umweltschäden durch seine Förderprojekte vor allem in Asien berüchtigt ist, führten bereits 2021 zu derart starken Protesten, dass die Regierung unter Präsident Aleksandar Vučić das Vorhaben auf Eis legte. Rio Tinto fuhr dennoch fort, in der Region Grundstücke zu erwerben.

Die Protestbewegung gegen den Lithiumabbau ist in Serbien deshalb so stark, weil sich hier ökologische Themen mit sozialen und politischen verbinden.

Doch seit 2022 hat sich die Welt stark verändert. Der Krieg Russlands in der Ukraine sowie die sich verschärfenden Spannungen zwischen westlichen Staaten und China führten in der EU zu der Entscheidung, Rohstoffquellen zu erschließen, die nicht von Russland oder China kontrolliert werden; die Volks­republik zählt zu den wichtigsten Lithiumförderländern. Der Rohstoff ist entscheidend für die Produktion von starken Batterien, die den umfassenden Umstieg auf elektrisch angetriebene Automobilität ermöglichen sollen. Darüber hinaus wird Lithium auch in der Rüstungsproduktion und perspektivisch vielleicht für den Bau von Fusionsreaktoren benötigt. Aus diesem Grund kam es den Regierungen sowohl in Belgrad wie auch in den Hauptstädten der EU-Staaten sehr zupass, dass das serbische Verfassungsgericht am 11. Juli urteilte, der Entzug der Abbaugenehmigung für Rio Tinto sei verfassungswidrig gewesen. Wenige Tage später, am 16. Juli, erließ die Regierung ein Dekret, wonach das Projekt umgehend wieder aufzunehmen sei.

Am 18. Juli wurde im Rahmen eines Staatsbesuchs des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz und des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Maroš Šefčovič, in Belgrad ein Rahmenabkommen vereinbart, das der EU exklusiven Zugang zu den serbischen Lithiumreserven sichern soll, wobei der Großteil des Rohstoffs in Serbien, seines Zeichens EU-Beitrittskandidat, verarbeitet werden solle, wie Vučić sagte. Dass die deutsche Regierung sich besonders in dieser Angelegenheit engagiert, verwundert nicht. Sollte der deutschen Autoindustrie der Übergang ins Zeitalter nach dem Verbrennungsmotor nicht profitabel gelingen, könnte der Verlust der ökonomischen und politischen Vormachtstellung Deutschlands in Europa drohen.

Angst vor Umweltschäden

Bei der Mehrheit der serbischen Bevölkerung stieß Umfragen zufolge diese Entscheidung auf deutlichen Widerwillen, der sich seither in größeren und kleineren Protestaktionen ausdrückt. Eine kürzlich veröffentlichte Studie im Fachmagazin Nature zeigt, dass schon die bisher vorgenommenen Probebohrungen von Rio Tinto zu Gewässerverschmutzungen und Schäden für die Landwirtschaft führten, was jene bestärkt, die Angst vor mit dem Abbauvorhaben verbundenen Umweltschäden haben.

Es gibt aber auch Gegner:innen des Projekts in nationalistischen Kreisen, die es als Ausdruck westlicher Dominanz in Serbien sehen. Dies führte bemerkenswerterweise dazu, dass in ­einigen Medien die Proteste als von Russland angeleitet denunziert wurden. Vučić behauptete hingegen, die Proteste seien ein Versuch westlicher Kräfte, eine »Farbenrevolution« gegen ihn anzustiften, und erklärte, er sei durch russische Nachrichtendienste vor einem gegen ihn geplanten Putschversuch mit west­licher Unterstützung gewarnt worden.

Der Bezug zu den sogenannten Farbenrevolutionen birgt dabei ein Körnchen Wahrheit. Mit diesem Begriff wird eine Reihe von politischen Bewegungen in den frühen nuller Jahren bezeichnet, die mit dem Sturz des Präsidenten Restjugoslawiens, Slobodan Milošević, im Oktober 2000 in Belgrad begann. Diese richteten sich gegen autoritäre und korrupte, überwiegend auf oligarchischer ökonomischer Macht beruhender Regime in den ehemals realsozialistischen Staaten.

Einnahmen in die Taschen der Regierenden

Tatsächlich ist die Protestbewegung gegen den Lithiumabbau in Serbien deshalb so stark, weil sich hier ökologische Themen mit sozialen und poli­tischen verbinden. Die Protestierenden glauben den Regierenden das Ver­sprechen nicht, dass der Bergbau die für weite Teile der Bevölkerung desaströse wirtschaftliche Lage verbessern werde, sondern gehen davon aus, dass die daraus resultierenden Einnahmen in die Taschen der Regierenden und ihrer Klientelnetzwerke fließen werden. Zudem kritisieren sie den ­Autoritarismus der Regierung Vučićs.

Wie zur Bestätigung dieser Kritik fanden nach der Demonstration vom 10. August Hausdurchsuchungen bei 40 Aktivist:innen der Bewegung gegen den Lithiumabbau statt. Zur Einschüchterung von Umwelt­schüt­zer:in­nen und Regierungskritiker:innen kommen aber auch extralegale Mittel zur Anwendung.

Der Sozialwissenschaftler und Marxist Aleksandar Matković, einer der theoretischen Stichwortgeber der Bewegung, wurde von Unbekannten beschattet und erhielt Gewaltdrohungen gegen sich und seine Familie, die er so ernst nahm, dass er Möglichkeiten erwog, seine Familie außerhalb Serbiens in Sicherheit zu bringen. Matković hat einen langen offenen Brief an die serbische Gesellschaft veröffentlicht, in dem er sich detailliert auf empirischer und theoretischer Grund­lage mit dem geplanten Lithiumabbau und dessen ökologischen und sozialen Folgen auseinandersetzte. Unter anderem zeigte er, dass ausländische Investitionen in den serbischen Bergbau von 26 Millionen Euro 2014 auf fast 705 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen seien, ohne dass dies zu gesteigertem Wohlstand der serbischen Bevölkerung geführt hätte.

»Bergbaukolonie in der europäischen Peripherie«

Die Politik der serbischen Regierung, derartige Investitionen durch Subventionen, die ­Bereitstellung von Land und die stillschweigende Duldung von Verstößen gegen die Umweltgesetzgebung anzulocken, führe lediglich dazu, dass sich die Menge gefährlicher Abfälle steigere. Daneben machte Matković auf den Zusammenhang zwischen autoritärer Herrschaft und dieser Form der Rohstoffausbeutung aufmerksam. Er kam zu dem Schluss, dass Serbien dabei sei, eine »Bergbaukolonie in der europäischen Peripherie« zu werden.

Doch im Gegensatz zu der Bewegung, die vor 24 Jahren Milošević stürzte, kann die Opposition gegen Vučić und den Lithiumabbau heute nicht mit westlicher Unterstützung rechnen. Der britische Botschafter in Serbien, Edward Ferguson, teilte in Reaktion auf die Auseinandersetzungen mit, es sei »absolut möglich, Lithium auf umweltfreundliche Art zu fördern«. Und die deutsche Botschafterin Anke Konrad, betonte dass Lithium »notwendig und wichtig für Deutschland« sei und »verfügbar sein muss«.

Trotz aller antiwestlichen Rhetorik wird die serbische Regierung alles daransetzen, das Bergbauprojekt durchzusetzen, sichert es ihr doch Akzeptanz im Westen und damit politischen Spielraum auf dem Balkan, unter anderem in der Auseinandersetzung mit der Republik Kosovo.

Trotz aller antiwestlichen Rhetorik wird die Regierung unter Vučić deshalb alles daransetzen, das Bergbauprojekt im Jadar-Tal durchzusetzen, sichert es ihr doch Akzeptanz im Westen und damit politischen Spielraum auf dem Balkan, unter anderem in der Auseinandersetzung mit der Republik Kosovo; die gilt der Regierung Serbiens immer noch als abtrünnige Provinz des Landes.

Dies bedeutet aber nicht, dass die Regierung in Belgrad gewillt ist, die engen Bindungen zu Russland zu lösen – das machte ein demonstrativer Besuch des stellvertretenden serbischen Ministerpräsidenten, Aleksandar Vulin, Mitte August in Moskau deutlich. Die Hoffnungen, dass eine auf elektrischem Antrieb beruhende Automobilproduk­tion zu geringeren ökologischen und politischen Verheerungen führen ­werde als die erdölbasierte, drohen sich auf dem Balkan in naher Zukunft zu blamieren.