Nutzerinnen propagieren in den sozialen Medien einen im Alltag umsetzbaren Mikrofeminismus

Aktivismus für die Handtasche

In den sozialen Medien kursieren Tipps und Tricks, wie man Feminismus durch kleine Gesten und Handlungen in den Alltag einfließen lassen könne.

Ashley Chaney, die auf Tiktok unter dem Benutzernamen @iamashleychaney postet und sich selbst als »TV Producer + Host, healing via adventures« vorstellt, berichtet in einem Ende März veröffentlichten Video von ihrer »liebsten Form des Mikrofeminismus«: Wenn sie einen Geschäftsführer und seine Assistentin in E-Mails anschreibe, gebe sie die E-Mail-Adresse der Assistentin stets zuerst an. Es sei keine große Sache, gebe ihr aber ein gutes Gefühl.

Wenn sie in E-Mails mehrere Personen anschreibe, nenne sie die weiblichen Empfängerinnen in der Anrede immer zuerst. Das Video wurde mittlerweile 2,8 Millionen Mal angesehen, es ging also viral und ein neues buzzword ist geboren. Nach »Quiet Quitting« (Jungle World 36/2022), eine Bezeichnung dafür, statt zu kündigen, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen und sich bei der Arbeit nicht zu engagieren, oder »Girl’s Girl«, was beschreibt, eine Frau zu sein, die nett zu anderen Frauen ist, gibt es also jetzt »Microfeminism«, den Feminismus in klein.

Man kann das generische Femininum benutzen und Tampons im Unternehmen verteilen, aber zufriedengeben sollte man sich damit nicht.

Mittlerweile finden sich unter dem Hashtag »Microfeminism« zahlreiche Beiträge, vor allem auf Instagram und Tiktok. Junge Frauen berichten von kleinen Taten, in denen sie ihre feministische Haltung ohne viel Aufwand in den Alltag einfließen lassen – in den Arbeitstag, die Freizeit, die Beziehung. Die eine schwört darauf, vor den männlichen Kollegen laut über ihre Periode zu sprechen, die Nächste hält Männern die Tür auf oder bietet ihrem Freund an, ihm die schweren Einkaufstüten ab­zunehmen. Man könne das Outfit des Kumpels als »ganz schön gewagt« kommentieren oder einfach mal der einzigen Frau im Meeting zuerst das Wort erteilen, schlägt eine andere Nutzerin vor.

Männern auf dem Gehweg nicht mehr Platz machen, bei der Heirat nicht seinen Namen annehmen, in Wort und Schrift ausschließlich das generische Femininum verwenden – es geht also um kleine Veränderungen, die einfach zu vollziehen sind und niemandem weh tun, sondern maximal mikroskopische Störungen erzeugen. Man könne dem Kollegen deutlich sagen, dass man gerne ausreden würde, man solle vermehrt in weiblich geführten Unternehmen einkaufen, dem Partner Blumen schenken, die Praktikantin Verantwortung übernehmen lassen. Keine große Sache. Die Möglichkeiten des kleinen Feminismus sind unendlich.

Eine liberalere Haltung, gerade in Unternehmen, hat dafür gesorgt, dass marginalisierte Personengruppen teilweise wahrnehmbarer sind als noch vor einigen Dekaden. Frauen, Schwule und Schwarze werden Präsidentinnen oder CEOs, und Familien und Paare, die Produkte bewerben, bestehen nicht mehr nur aus blonden Heteros mit Modelmaßen. Das ist möglicherweise erst einmal positiv. Frauen im Alltag mehr in den Fokus zu rücken und männliches Dominanzverhalten durch winzige Gesten zu enttarnen, ist sicher auch nett. Womöglich wird die Kollegin, die im Meeting nie zu Wort kommt, sich von der Vorgesetzten unterstützt fühlen, wenn diese ihr das Wort erteilt, und die männlichen Kollegen hin und wieder zu irritieren, kann kaum ­schaden.

Inwieweit so ein Aktivismus im sehr Kleinen den großen Zielen des Feminismus gerecht werden kann, erklärt allerdings keines der zahlreichen Postings. Anstatt darüber nachzudenken, wie die Verhältnisse gestört werden können, in denen die Menschen geknechtete Wesen sind, wie Karl Marx es einmal formulierte, gibt es Anleitungen, wie man es sich bequem machen kann in der eigenen Misere. Statt den Arbeitskampf aufzunehmen, soll man »Quiet Quitting« betreiben, statt sich gegen Rassismus zu organisieren, soll man nur noch in »black owned businesses« einkaufen, und statt sich als Frauen zusammenzuschließen, soll man Männer einfach dieselben Sprüche hören lassen, unter denen Frauen täglich leiden. Welche Form von Mikrofeminismus hilft der unterbezahlten Mitarbeiterin, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben muss, wenn sie die ­sexuelle Belästigung des Vorgesetzten meldet?

Verhält es sich mit dem Mikrofeminismus so wie mit einem steten Tropfen, der den Stein aushöhlt? Wohl eher nicht. Er erinnert eher an den Versuch, den stets aufs Neue auftauchenden Schimmelfleck immer auch aufs Neue wegzuwischen, anstatt das zugrundeliegende Feuchtigkeitsproblem anzugehen. Die Frau, die ihren Kollegen im Meeting darauf hinweist, dass sie ihren Satz bitte beenden will, hat für sich etwas geändert. Hat sie auch was für die Kollegin getan, die Angst vor ihrem Ehemann hat? Von den Millionen Frauen die weltweit zwangsverheiratet, zwangsprostituiert, all ihrer Menschenrechte beraubt werden, muss man hier gar nicht anfangen. Es soll kein »What­aboutism« sein – noch so ein Neologismus –, sondern ein Hinweis dar­auf, dass das im Internet besonders verbreitete Ratgeberformat der kleinen Tipps dazu neigt, den eigenen Alltag und Lebenswandel in den Vordergrund zu stellen und darüber die brennenden Probleme anderer Frauen zu vergessen.

Vielleicht, so könnte man einwenden, sollte man sich nicht aufreiben an Phänomenen, die aller Voraussicht nach niemandem ernstlich schaden werden, sondern vielmehr auf Organisierung zielen. Wieso aber sollte eine notwendige Bewegung wie der Feminismus verkleinert werden? Führt der Mikrofeminismus zu irgendetwas ­Größerem, außer dem wohligen Gefühl, jetzt auch mal etwas beigetragen zu haben?

Eine gesellschaftliche Ordnung kann durch kleine Handlungen kaum gestört werden. Es sei denn, die kleinen Handlungen nehmen derart überhand, dass die männlichen Outfits so häufig mit einem Augenzwinkern vom weiblichen Gegenüber gerügt werden, dass auch Männer sich nicht mehr trauen, ohne Wechselkleidung Bahn zu fahren. Oder Frauen sind derartig nette »Girl’s Girls«, dass sie sich am Ende in feministischen Grüppchen organisieren, um den Belästiger, und sei es aus dem Vorstand, auf die Nase zu hauen – ob jemand wie Ashley Chaney sich dort anschließen würde, wäre eine interessante Frage.

Die Idee ist gar nicht so abwegig – besteht die Geschichte des Feminismus doch eben daraus, dass sich Frauen zu Bewegungen zusammenschlossen und organisierten, um auf Missstände hinzuweisen – aber eben auch, um Einfluss auf die Politik zu nehmen. Mit Demonstrationen, Streiks und Petitionen stritten breite Bündnisse verschiedener Frauengruppen für Dinge wie das Frauenwahlrecht, das Recht zu arbeiten, sich scheiden zu lassen oder ein eigenes Bankkonto zu führen.

Kleine Veränderungen sind natürlich nicht immer wirkungslos. Seit einigen Jahren geht beispielsweise die Fleischproduktion in Deutschland immer weiter zurück, was sich unter anderem auch auf den geringeren Fleischkonsum zurückführen lässt. Das Handeln Einzelner führt also dazu, dass weniger Tiere zur Schlachtung gehalten werden. Wenn die Leute keine Schweinewurst wollen, sollen sie eben die ­vegetarische Alternative kaufen – was allerdings auch nur eine Minderheit macht, die für solche Appelle empfänglich ist.

Die Fleischproduktion steht allerdings in direktem Zusammenhang mit Angebot und Nachfrage. Das ist beim Feminismus anders. Moralische Appelle sorgen nicht dafür, dass signifikant weniger Männer in den Puff gehen. Prostitution erzielt in Deutschland Umsätze in Milliardenhöhe. Auch wird Mikrofeminismus kaum beeinflussen können, wie wunderbar Hausfrauen und Mütter sich unbezahlt um die Arbeitskräfte von morgen kümmern. Um da etwas zu ändern, braucht es weitaus mehr. Das sind nur zwei Beispiele, bei denen einzig politisches Eingreifen, gesetzliche Veränderungen oder auch Verbote grundlegende Wandlungen herbeiführen können. Das verlangt einerseits überhaupt ein Bewusstsein über die Probleme und deren Ursachen, in denen sich Frauen weltweit befinden, und andererseits den Willen, sich zusammenzuschließen, sich zu informieren, aufzuklären und Forderungen zu stellen. Warum also nicht mal größer denken, auch Girl’s Girls können ein Bündnis aufbauen.

Ebenso sollte man sich durch mikroskopisch kleine Nettigkeiten nicht in die Irre führen oder einlullen lassen. Vielleicht ist das der Punkt: Man kann das generische Femininum benutzen und Tampons im Unternehmen ver­teilen, die Praktikantin unterstützen. Aber zufriedengeben sollte man sich damit nicht, wenn es einem um mehr geht als einen selbst und ein gutes ­Gefühl.

Denn der Mikrofeminismus, wenn es bei ihm bleibt, ist kein Werkzeug, das Frauen aus einer Struktur, einem System, einer gesellschaftlichen Ordnung befreit. Er ist wie viele andere Internettrends, die auf den ersten Blick politisch, beinahe aktivistisch, wirken, leider nur liberal im schlechtesten ­Sinne.