Berlin Beatet Bestes. Folge 231.

Platten sind keine Schüsseln!

Berlin Beatet Bestes. Folge 231. Mezz Mezzrow Quintet: Out Of The Gallion (1945).

Tolle Deko für Party, Abi-Ball, Silvester oder Fasching. 100 Single-Schallplatten unsortiert und ohne Cover. Sieht super aus, wenn man sie von der Decke abhängt, auch als Tischschmuck zu verwenden. Im Backofen bei 150 Grad über eine feuerfeste Schüssel gelegt, kann man daraus auch witzige Schüsselchen schmelzen für Chips und Co. Preis: EUR 1,00«
Diese Anzeige habe ich mir nicht ausgedacht, so werden tatsächlich regelmäßig Schallplatten auf Ebay angeboten. Radikal ignorant, wie die Menschen der Zukunft in H. G. Wells »Die Zeitmaschine«, die nicht mehr wussten, wozu Bücher da sind, schrumpeln sie hemmungslos seltene Tausend-Euro-Scheiben zu Chipsschüsselchen zusammen. Mir ist das egal, denn ich besuche Ebay sowieso nur, um zu gucken, was es alles so gibt und was für Preisvorstellungen manche Händler so haben. Ebay führt mich nicht im Geringsten in Versuchung. Im Internet bestellen ist Mist. Real im Laden einkaufen ist besser. So einfach ist das.
Allerdings hat auch das reale Rumgucken seine Tücken. Neulich hab ich mal wieder einen Schlenker über den Flohmarkt gemacht, der Samstag vor meiner Haustür stattfindet. Seit ich mich mehr für Jazz als für Ulk-Platten und Privatpressungen interessiere, gehe ich dort nicht mehr regelmäßig hin. Als ich mich schon fast zum Ende des gutbesuchten Marktes durchgeschlängelt hatte, fiel mein Blick plötzlich auf einen Stapel glänzender Schellackplatten. Schnell hatte ich eine Platte des kurzlebigen Schallplatten-Labels »King Jazz« des berühmten Klarinettisten und Drogenhändlers Mezz Mezzrow erkannt. Von 1945 bis 1947 war Mezzrow mit Aufnahmen von Sidney Bechet und Sammy Price mitverantwortlich für das Traditional-Jazz-Revival. Jetzt erkannte ich den Titel: »Out Of the Gallion«, eine Eigenkomposition von Mezzrow. Die beschrieb er so: »The word gallion means the deep Jim-Crow south.« Ein Song gegen Rassentrennung und Lynchjustiz also.
Ich hatte noch nie eine »King Jazz«-Platte aus der Nähe gesehen, und als ich sie gerade in die Hand nehmen wollte, sagte der Typ, der neben mir stand, mit spanischem Akzent: »Those are mine. I just picked them.« Verdammte Scheiße! Müssen denn diese Spanier überall in Berlin sein? Jetzt kaufen sie mir schon meine Schellackplatten auf dem Flohmarkt weg. Genervt drehte ich auf dem Absatz um und verließ den Markt. Ich brauche sowieso keine Schellackplatten! Ich brauche überhaupt keine Platten mehr! Ich sollte stattdessen mal wieder ein paar von denen spielen, die zu Hause im Regal stehen und die ich lange nicht gehört habe! So grummelte ich noch ein wenig vor mich hin, aber später dachte ich dann, dass es eigentlich doch ganz schön ist, dass da noch andere Leute sind, die sich für dieselben seltenen Platten interessieren wie ich. Vielleicht hätte der Spanier sogar mein neuer bester Freund werden können. Lieber sehe ich diese seltenen Jazz-Platten in den Händen eines durch Europa wandernden Spaniers als in Form einer Chipsschüssel auf dem Tisch eines Ebay-Käufers.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.