1. Mai als Pop-Event?

Inhalte statt Popkultur

Der Revolutionäre 1. Mai in Berlin muss mehr sein als eine Love-Parade.

Wer sich im letzten Jahr am 1. Mai abends nach Berlin-Kreuzberg verirrte, konnte denken, die Love-Parade wäre verlegt worden. Tausende Jugendliche tanzten um einen riesigen Wagen, auf dem eine Band spielte.

Nur wer sich weit genug vorgekämpft hatte, konnte Details entdecken, die nicht so recht zu Dr. Mottes Horror-Show passten. Neben der Band Atari Teenage Riot winkten einige Jugendliche mit kleinen roten Fahnen, die Web-Adresse einer stadtbekannten Berliner Protest-NGO wurde durchgesagt. An der Spitze bemühte man sich auf einem kleineren Lautsprecherwagen, gegen den Jugoslawien-Krieg zu agieren, kam aber gegen die Lärmkulisse kaum an.

Der Mehrheit der Teilnehmenden an dieser Hops-Parade schienen Transparente und ähnliche Demo-Utensilien völlig fremd zu sein. Die Polizei hatte dadurch leichtes Spiel. An einer günstigen Stelle knüppelten Beamte in die Menge, der große Lautsprecherwagen fiel zur Koordination aus. Dort spielte die Band noch weiter, als das Fahrzeug längst von der Polizei eingekesselt war. Schließlich mussten die Musikvideos in den Kasten. Und was ist für eine Band mit Radical-Chic verkaufsfördernder als ein Gig bei richtigem Polizeieinsatz?

So neu ist das Ganze nicht. Wer erinnert sich nicht an die Gymnasiasten aus der westdeutschen Provinz, die in den Achtzigern auf der Suche nach Action nach Berlin trampten? Doch damals war das Interesse der Mittelklasse-Kids neben romantischer Abenteuerlust auch Zeichen für die Ausstrahlung der linksradikalen Bewegung: Hausbesetzungen, Aktionen gegen Kontrolleure der Verkehrsbetriebe, Solidarität mit den internationalen Befreiungsbewegungen.

Natürlich gab es auch damals eine Gegenkultur. Bands wie Slime und Ton Scheine Scherben drückten das Lebensgefühl einer Bewegung aus, die eben nicht nur einmal im Jahr die Revolution im Mund führte und die restliche Zeit an der eigenen Karriere bastelte. Die Werte dieser Gesellschaft, die Art zu leben und zu arbeiten wurden radikal in Frage gestellt. Nicht wenige der Revolutionstouristen haben sich dadurch politisiert.

Die Bewegung war allerdings nicht blind für die soziale Verelendung großer Teile der vor allem in Kreuzberg lebenden Bevölkerung. Menschen, die ihr ganzes Leben nie etwas anderes kennen gelernt haben als Druck von oben und Maloche, wurden nicht als Spießer abgestempelt. Wie Recht man damit hatte, zeigte sich am 1.Mai 1987. Waren es doch entgegen der Mythologisierung nicht in erster Linie Autonome, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Viele Bewohner des Stadtteils, deutsche und nichtdeutsche, gaben der Wut über die Verhältnisse Ausdruck.

Wenn eine Revolutionäre 1.Mai-Demo deren Probleme nicht aufgreift, hat sie schon verloren. Das heißt nicht, den Menschen populistisch nach dem Mund zu reden und rassistisches oder patriarchales Verhalten, wie es in den Unterklassen ebenso wie in anderen Teilen der Gesellschaft vorhanden ist, auszublenden. Dennoch sollten Linke zur Kenntnis nehmen, dass es auch in dieser Gesellschaft Ausbeutung und soziale Verelendung gibt und linke Politik die Interessen derjenigen vertreten muss, die hier die schlechtesten Möglichkeiten haben.

Doch was vermittelt diesen Menschen ein Pop-Event erlebnishungriger Gymnasiasten und Jungakademiker, das sich in den letzten Jahren mit dem Label des revolutionären 1.Mai schmückte? Geht es den »Partysanen« nur um die eigene Selbstdarstellung? Flyer mit der Parole »Wir sind gut drauf« zumindest deuten darauf hin. Für die Rentnerin, die zum Monatsende nur Brot und Margarine zu essen hat, weil das Geld nicht reicht, für den Arbeitslosen, dem gerade seine halbe Wohnungseinrichtung gepfändet wurde, für den Nichtdeutschen, der alltäglich mit deutschem Rassismus konfrontiert wird, ist diese Parole der blanke Hohn.

Auch auf die Interessen der Jugend wird sich die Spaß-Fraktion nicht mehr so einfach berufen können. Waren es doch gerade Antifa-Jugendgruppen, die mit ihrem Papier »1. Mai don't go pop« jetzt den Anstoß für eine Repolitisierung gegeben haben. In der Folge haben sich mehr als 15 anarchistische, internationalistische, kommunistische Gruppen zur Vorbereitung eines Unabhängigen Blocks auf der Mai-Demonstration zusammengefunden.

Trotz aller Heterogenität besteht in dem Bündnis der Konsens, dass das Imitieren des immer neuesten Trends auf der Hipness-Liste politische Inhalte nicht ersetzen kann. Mit der geplanten Route von Kreuzberg nach Berlin-Mitte, ins Zentrum der Macht, soll diese neue Repolitisierung ausgedrückt werden. Wenn dieses Ziel auch nur ansatzweise umgesetzt wird, hätte die Party-Guerilla doch eine wichtige Rolle erfüllt: Aus der Negation ihrer Praxis wäre eine Politisierung des 1.Mai wieder möglich geworden.