Feminale in Köln

Die eine singt

Kontrastprogramm: Die 10. Feminale in Köln zwischen Frauenfilm und Queer-Cinema.

Vermutlich war es Zufall, es könnte aber auch als programmatischer Kommentar dienen: Die diesjährige Feminale endete mit einem signifikanten Kontrast. Am letzten Abend des Frauenfilmfestivals, das vom 12. bis zum 18. Oktober in Köln stattfand, wurde zunächst der im vergangenen Jahr gedrehte Langfilm »La Vie ne me fait pas peur« (»Das Leben macht mir keine Angst«) von Noémie Lvovsky gezeigt. Im Anschluss daran konnte man Agnès Vardas »L'une chante, l'autre pas« (»Die eine singt, die andere nicht«) aus dem Jahre 1976 wieder sehen. Zwei französische Produktionen mit ähnlich gelagerten Sujets, es geht um junge Frauen, um Freundschaft, das Erwachsenwerden, um die Beziehungen zu Männern und um Sexualität. Und doch könnten die Unterschiede kaum größer sein.

»Die eine singt, die andere nicht« rückt von der ersten Minute an das Frausein und die dazugehörige politische Agenda in den Mittelpunkt. Sollten die Bilder nicht für sich sprechen, macht ein Kommentar aus dem Off die Botschaft überdeutlich. Offensichtlich ist Varda an etwas gelegen, das als weiblicher Stil wahrgenommen werden möchte: Geschichte und Bilder haben etwas Flirrendes; Chronologie oder eine geradlinig ausgearbeitete Story sind Varda fremd. Die Darstellerinnen singen von der »conditio feminina«, wallende Kleider, das Naturschöne und zeitpolitische Diskussionen um Abtreibung oder alternative Lebensmodelle durchwehen den Film. Bei Lvovsky dagegen ist die Geschlechtsidentität nicht das Zentrum, auf das Plot und Stil zustreben. Anders als bei Varda findet hier Weiblichkeit nicht als Katastrophe statt, genauso wenig wie sie - im spiegelverkehrten Akt - als spezifisches Glück in Szene gesetzt würde. Lvovskys Figuren sind jung. Das tut manchmal weh, manchmal fühlt es sich gut an, und das ist auch schon alles. Die Zeiten, in denen man etwas beweisen musste, sind vorbei.

Die Feminale ist ein Frauenfilmfestival, das mit der Tradition, Frausein als beherrschendes Sujet darzustellen, nichts mehr anzufangen weiß. Pam Cook, für die feministische Filmtheorie und -kritik eine wichtige Figur und seit den Siebzigern bei der Sache, formulierte es in Köln so: Sie wolle nicht immer das Geschlecht des Regisseurs bzw. der Regisseurin in den Vordergrund gerückt wissen, wie dies vor dreißig Jahren noch der Fall gewesen sei. Der Feminismus sei zwar noch von Bedeutung, für ihr eigenes Schreiben und Denken aber nicht länger beherrschend. Die Frauenbewegung habe zudem größeren Einfluss auf den Mainstream ausgeübt, als allenthalben angenommen werde. Selbst die Pornoproduktion habe feministische Impulse aufgegriffen, da etwa Vergewaltigungsszenen ab einem bestimmten Augenblick nicht mehr als akzeptabel erachtet wurden.

Die Geschichte dieser Einflussnahme warte noch darauf, geschrieben zu werden. Cook wies mit ihren Thesen auch einen Weg, wie man mit den Errungenschaften und Abirrungen feministischer Filmtheorie und -praxis aus den siebziger Jahren umgehen kann. Es gilt, ein nicht-nostalgisches Verhältnis zu entwickeln, das Wissen und Material zu bewahren, es aber nicht versteinern zu lassen.

Das gelang in Köln allerdings nicht immer; Cornelia Rückert, von Haus aus Kulturwissenschaftlerin, mittlerweile in leitender Funktion für Beate Uhse tätig, meinte, die Widrigkeiten der Pornografie-Debatte zu bewältigen, indem sie Realität und Phantasie mit scharfem Schnitt trennte. Pornografie stelle nicht Sexualität dar, sondern sexuelle Phantasien. Das ist sicher richtig, nur löst es nicht das Problem. Denn wie man sich beispielsweise gegenüber einer plumpen, stereotypen oder gar rassistischen Phantasie verhält, ist damit nicht geklärt, genauso wenig wie die Frage, wie Vorstellungen rückwirken auf Realität und ob Phantasie nicht ohnehin zum Wesen von Sexualität gehört, was bedeutet, dass der Schnitt zwischen der Darstellung von Sexualität und der Darstellung sexueller Phantasien gar nicht sauber ausfallen kann. Wie bieder Rückerts Ausführungen waren, wurde spätestens deutlich, als Virginie Despentes und Coralie Trinh This umstrittener Film »Baise-moi« gezeigt wurde: Wenn die Phantasie maßlos ist, gewalttätig und zu jedem Exzess bereit, hilft der Hinweis, es handele sich nur um eine Vorstellung, nicht weiter.

Die Vortragsreihe »Rewind & Fast Forward«, zu der neben Cook auch die US-amerikanische Germanistikprofessorin Alice A. Kuzniar und die britische Wissenschaftlerin Lynn Turner eingeladen waren, widmete sich dem Spannungsverhältnis von Traditionsbewusstsein und einem nicht-nostalgischem Blick - immerhin hat die Feminale selbst in diesem Jahr ein Jubiläum und damit auch eine Geschichte zu feiern: Es war das zehnte Festival. Dass die Gefahr von Stillstand nicht nur droht, wenn vom Feminismus der Siebziger die Rede ist, zeigte sich im Vortrag von Kuzniar. Sie idealisierte das Konzept cineastischer Queerness, sodass das Konzept von Transgression seine Beweglichkeit verlor. Auch mit neuen Theorien lassen sich alte Fehler begehen. Es reicht eben nicht, den schon etablierten Formen cineastischen Empowerments neue hinzuzufügen, also immer neuen Gruppen von Fehlrepräsentierten Raum zur Darstellung zu verschaffen. Stattdessen ist es nötig, die Dichotomien von Macht und Ohnmacht, Mainstream und Minderheit neu zu denken.

Neben den mal glücklichen, mal oberflächlichen theoretischen Auseinandersetzung gab es natürlich noch die Filme. Und die waren eindrucksvoll, vor allem in ästhetisch-visueller Hinsicht. Sei es der erste Spielfilm von Asia Argento, »Scarlet Diva«, der sich autobiografisch gibt und das Filmbusiness selbst zum Sujet hat. Argento ist in Italien eine gefeierte Schauspielerin, als Tochter des Horrorfilmregisseurs Dario Argento kennt sie zudem den Betrieb. Sei es der mit dem Debütfilmpreis ausgezeichnete »Ratcatcher« von Lynne Ramsay, der im Jahr 1970 in einem Arbeiterviertel Glasgows angesiedelt ist. Sei es »Beau Travail« von Claire Denis oder »Auslandstournee« von Ayse Polat - immer gelingt es den Regisseurinnen, eine eigenständige Bildsprache zu begründen und sich auch bei problematischen Stoffen vom Sujet nichts diktieren zu lassen.

Wenn die 1970 geborene Deutschtürkin Polat unterschiedliche Variationen von Fremdheit durchspielt, ohne dass es je zum oberflächlich inszenierten Kulturkonflikt kommt, ist dies bemerkenswert. Genauso wie Ramsays »Ratcatcher«, dessen Figuren zwar am Rande der Gesellschaft leben, die aber in keinem Augenblick die Funktionen übernehmen müssen, Thesenpapiere zu verbreiten. »Ratcatcher« ist engagiertes Kino ohne Sozialromantik und zeigt überdies, dass es auf der Leinwand weniger um Aussagen, sondern zuerst einmal um Farben, Einstellungen, Licht und Bildkomposition geht.