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Sieht der Demonstrant nicht ein bisschen gewaltbereit aus? In Bayern könnte es künftig genügen, dass die Polizei so etwas meint, um eine Kundgebung zu verbieten. Denn so steht es im Entwurf des neuen Versammlungsgesetzes.
In einem linken Jugendzentrum in München haben sich an diesem Abend Mitglieder verschiedenster linker und linksradikaler Gruppen versammelt. Dabei sind Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulantifa und trotzkistischer Diskussionskreise, von Flüchtlingsinitiativen oder auch der FDJ. Alle bemühen sich redlich, ihre üblichen Differenzen ruhen zu lassen.
Die Sorge hat sie zusammengeführt, dass in Zukunft die Möglichkeiten, halbwegs unbehelligt öffentliche Kundgebungen und Demonstrationen zu veranstalten, noch stärker als bisher eingeschränkt werden könnten. Von polizeilichen Befugnissen bis hin zum Verbot von Saalveranstaltungen wegen einer »nicht geeigneten« Versammlungsleitung ist die Rede.
An diesem Tag werden Informationen ausgetauscht, Pläne besprochen, potenzielle Bündnisse diskutiert. Soll man sich der Gefahr aussetzen, von größeren Organisationen wie den Gewerkschaften vereinnahmt zu werden? Soll eine unabhängige Linke überhaupt für den Erhalt der gegenwärtigen Gesetzeslage kämpfen? Müsste sie nicht weit darüber hinaus gehen?
Schon das gültige deutsche Versammlungsrecht trifft, anders als sein Name vermuten lässt, vor allem recht großzügige Regelungen zur Beschränkung der Versammlungsfreiheit. Die Beschränkungen sind so groß, dass ihre Verhältnismäßigkeit unter Verfassungsrechtlern durchaus strittig ist.
Bislang regelte ein Bundesgesetz die Befugnisse der Polizei. Seit der Föderalismusreform liegt die Verantwortung dafür bei den Ländern, was die Regierung des Freistaats Bayern zu Beginn dieses Jahres nutzte, um einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen. Die erste Lesung im Landtag ist bereits erfolgt, nach dem Verweis in die Ausschüsse ist mit der zweiten Lesung und der Verabschiedung des Gesetzes noch vor der Sommerpause, wahrscheinlich Anfang Juli, zu rechnen.
Die Landtagsfraktion der SPD will versuchen, mit Änderungsanträgen ungefähr den bisherigen Stand beizubehalten. Insbesondere die beiden Münchener Abgeordneten Florian Ritter und Adelheid Rupp zeichnen für diese Initiative verantwortlich. Sie kritisieren vor allem das geplante »Militanzverbot«, genauer: das Verbot der Teilnahme an einer Versammlung in einer Art und Weise, die »den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt«. Eine Regelung, die der Polizei ganz neue Handlungsspielräume eröffnet. Die Grünen haben derweil einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der zwar die Freiheit, sich zu versammeln und zu demonstrieren vergrößern würde, aber kaum eine Chance hat, verwirklicht zu werden.
Im Münchener Jugendzentrum will man sich angesichts der absoluten Mehrheit der CSU nicht auf parlamentarische Aushandlungsprozesse verlassen. Einen Anlass für Aktionen bietet Verdi. Für den 26. April plant die Gewerkschaft zusammen mit allen interessierten Gruppen einen Aktionstag, um auf den Gesetzentwurf aufmerksam zu machen. Schließlich zielt der Entwurf keineswegs allein darauf ab, rechtsextreme Aufmärsche unterbinden zu können, wie es das bayerische Innenministerium gelegentlich ausführt, sondern wäre mit seinen vielfältig auslegbaren Formulierungen selbst noch auf innerbetriebliche Streikversammlungen anwendbar. Hedwig Krimmer von Verdi München sagt dazu: »Hauptziel ist eindeutig die Verhinderung dieses Gesetzes.« Sie fügt an, dass es sich dabei schon um eine Art »Zweckbeschränkung« handele, schließlich wisse man sehr wohl, dass auch das bisherige Gesetz »Demokratie nur am Rande geschnuppert« habe.
Worauf Kritikerinnen und Kritiker warten, ist eine klare Stellungnahme des DGB. Der Verband hält sich jedoch mit Äußerungen zurück. Beim Ministerpräsidenten Günther Beckstein (CSU) gingen lediglich Klagen darüber ein, dass der DGB bisher nicht am Anhörungsverfahren beteiligt wurde.
Weitaus deutlicher wurden da die bayerischen Strafverteidiger. In einer auf dem Strafverteidigertag Anfang März verabschiedeten Resolution ist die Rede von einem »monströsen und polizeistaatlichen Anschlag«. Begründet wird diese Kritik zum Beispiel mit der angestrebten dauerhaften Speicherung von »Überblicksaufnahmen«. Das sind Filmaufnahmen von Versammlungen und Demonstrationen, Filmmaterial, das dazu geeignet ist, die Polizeitaktik zu analysieren, vermutlich zu Schulungszwecken. Außerdem kritisieren die Juristen die Verlängerung der Anmeldefristen für Demonstrationen und die Pflicht, ausführliche persönliche Angaben über die Versammlungsleitung und sogar die Ordner liefern zu müssen. Damit verbunden ist die Befugnis der Polizei, »ungeeignete« Personen von diesen Funktionen auszuschließen. Auch in der Kritik der Juristen geht es um das »Militanzverbot« und um den recht schwammigen Paragrafen, der verhindern soll, dass die »Rechte Dritter unzumutbar beeinträchtigt« werden. Verdi fragte in einer ersten Stellungnahme, ob damit etwa Autofahrer gemeint sein könnten, die sich wegen einer Demonstration belästigt fühlen.
Das Misstrauen gegenüber dem Staat ist im Jugendzentrum schon aufgrund der gegenwärtigen Gesetzeslage so groß, dass in den Räumen, in denen »die Wanzen ja schon von der Decke hängen«, nicht über konkrete Vorhaben gesprochen wird. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens gehen in Kleingruppen spazieren, um etwas zu planen, die Mobiltelefone waren ohnehin von Anfang an aus.
Man darf gespannt sein, ob man am 26. April von ihnen hören wird oder ob sie lediglich als »Jugendsektion« von Verdi oder dem DGB wahrgenommen werden. Nicht auszuschließen ist auch, dass sie von den Gewerkschaften mit ihrem Protest allein gelassen werden, wenn nur ein Paragraf ins neue Gesetz aufgenommen wird, der die Streikversammlungen von den Beschränkungen ausnimmt.
Für den Rest der Republik ist nicht unwesentlich, wie die Bundesländer die Neuregelung aus dem Münchener Justizministerium aufnehmen. Der bayerische Rechtsanwalt Carsten Gericke vom Republikanischen Anwaltsverein hält die Möglichkeit für gegeben, dass der bayerische Entwurf ihnen als Vorbild dienen könnte: »Schließlich lassen die Erfahrungen mit den Ländergesetzen zum Strafvollzug befürchten, dass im Versammlungsrecht ein ähnlicher ›Wettlauf der Schäbigkeiten‹ eintreten wird.« Und der, so darf angefügt werden, wird in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen.