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Die Polizei hat sich während der Proteste in Heiligendamm in Widersprüche verstrickt. Von einer durchgängigen Deeskalationsstrategie kann keine Rede sein. von carsten schnober
Das Bild, das die »Besondere Aufbauorganisation Kavala« vom Polizeieinsatz rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm zeichnete, könnte besser kaum ausfallen: 17 800 Beamte schützten die Gipfelteilnehmer und sorgten dafür, dass friedliche Demonstranten ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen konnten. Mehr als 1 000 Gewalttäter, die solche Anlässe zu Krawallen zu nutzen pflegen, wurden festgesetzt.
Widersprüche in der offiziellen Darstellung ergaben sich jedoch bereits nach den Auseinandersetzungen nach der Großdemonstration in Rostock am 2. Juni. Aus der Sicht der Kavala war der Auslöser der Randale, dass ein einzelnes Polizeifahrzeug am Rand der Demonstration von Vermummten angegriffen wurde. Beim Versuch, die Täter zu verhaften, sei die Polizei aus dem Schwarzen Block heraus mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Über 400 verletzte Polizisten, davon über 30 schwer Verletzte, sollte der Black Block an diesem Tag zu verantworten haben. Später stellte sich heraus, dass nicht 30, sondern zwei Beamte stationär behandelt werden mussten, was in der Regel als Kriterium für »schwer verletzt« gilt. In der Darstellung der Polizei gab es einerseits wegen des beherzten Einsatzes wenig Sachschaden, andererseits aber ausufernde Randale und viele Verletzte, weil die Polizei nicht vorgehen durfte, wie sie wollte.
Der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber jedoch bescheinigte im Deutschlandfunk zumindest der polizeilichen Reaktion nach dem Angriff auf das Polizeiauto eine eskalierende Wirkung. Statt die Beteiligten gezielt zu verhaften, stürmte eine Berliner Polizeieinheit in die Menge und verletzte unbeteiligte Demonstranten mit Knüppel- und Faustschlägen. Immer wieder drangen Polizeitrupps gewaltsam in die Demonstration ein, und der Abend nahm seinen leicht vorhersehbaren Verlauf.
Die Kavala präsentierte die Auseinandersetzungen nach der Auftaktdemonstration als Anlass, ihre angebliche Deeskalationsstrategie fallen zu lassen, obwohl sie sie zugleich als erfolgreich bilanzierte. Ihr politisches Konzept reicherte die Polizei mit Halbwahrheiten und Falschmeldungen an. So unterstellte sie Aktivisten, die als Clowns verkleidet waren, Polizisten mit Wasserpistolen Säure in die Augen gespritzt zu haben – eine reine Erfindung, wie sich herausstellte.
Wohl in dem Wissen, die meisten Medien trotz oder dank ihrer Informationspolitik hinter sich zu haben, ging die Polizei nach der Auftaktdemonstration härter vor. Ein antirassistischer Protestzug sah sich mit einem enormen Polizeiaufgebot nebst Räumpanzern und acht Wasserwerfern konfrontiert. Die Polizei stoppte den Protestzug immer wieder, bis sie ihn schließlich mit der rechtlich haltlosen Begründung einer zu hohen Teilnehmerzahl auflöste. Auch diese Aktion untermalte die Polizei mit einer Behauptung ohne Belege: Autonome hätten begonnen, sich mit Steinen und Molotow-Cocktails zu bewaffnen.
Während es im Lauf der Woche an vielen Stellen bei Straßenblockaden blieb, mit denen die Anreise der Staatschefs verhindert werden sollte, setzte die Polizei häufig auf Repressalien. Versammlungen wurden unter dem Einsatz von Knüppeln, Pfeffergas und Wasserwerfern ohne vorherige Ankündigung aufgelöst, Verletzungen bei den Blockadeteilnehmern waren die Folge. Wieder legitimierte die Polizei das brutale Vorgehen mit Angriffen auf Polizisten, die geplant seien oder bereits stattgefunden hätten, was anwesende Journalisten allerdings nicht bezeugen konnten.
Öffentliches Interesse zog der Einsatz von fünf Bremer Polizisten im schwarzen »Autonomen-Outfit« auf sich. Sie wurden bei einer Blockade enttarnt und verjagt, nachdem sie nach Aussagen von Zeugen versucht hatten, eine Gruppe tschechischer Blockierer zu einer Attacke auf uniformierte Beamte anzustiften. Die Polizei dementierte zunächst, verkleidete Beamte einzusetzen. Einen Tag später stellte sie dies dagegen als normale Ermittlungsmethode dar und warf den Demonstranten vor, die Beamten angegriffen zu haben.
Demonstranten, die in Gewahrsam genommen wurden, fanden sich in den Gefangenensammelstellen in überfüllten Gitterkäfigen wieder, wo ihnen teilweise nur 1,4 Quadratmeter pro Person zur Verfügung standen. Den Schlaf auf dünnen Matten und ohne Decken erschwerte die helle Beleuchtung rund um die Uhr. Videokameras liefen durchgehend. Wasser und Brot gab es auf Anfrage, alle Toilettengänge wurden protokolliert.
Diese Verhältnisse bewertete Amnesty international als Verstoß gegen deutsches und internationales Recht, während der Republikanische Anwälte- und Anwältinnenverein (RAV) die rechtliche Situation der Gefangenen bemängelte. Sie hätten nur verzögert juristischen Beistand herbeirufen können, da die Telefone angeblich defekt gewesen seien. Die Arbeit der Anwälte sei beispielsweise dadurch behindert worden, dass ihnen kein Raum zur Verfügung gestellt wurde. Nachdem die Gefangenen den Richtern vorgeführt worden waren, hätten manche von ihnen noch sechs Stunden auf ihre Entlassung warten müssen. Der RAV sieht darin geplante Rechtsverstöße durch die Richter und die ausführenden Beamten und hat beim Rostocker Oberstaatsanwalt Klage eingereicht.
Gegen sieben in Schnellverfahren verhängte Urteile gegen Gipfelgegner wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung kündigten Anwälte Berufung an. Die Verfahren endeten mit Strafen zwischen sechs Monaten Haft mit und zehn Monaten Haft ohne Bewährung. Nach Angaben der Anwälte hätten sich ihre Mandanten mit den Schnellverfahren nur deshalb einverstanden erklärt, weil ihnen ein Ende der Haft unter entwürdigenden Bedingungen zugesichert worden sei. Noch bei den Verhandlungen wiesen sie nach Angaben des RAV sichtbare Verletzungen auf, die ihnen bei der Verhaftung zugefügt worden waren. Die Verteidiger beschränkten sich in den Schnellverfahren darauf, das Vorgehen von Staatsanwaltschaft und Gericht zu kritisieren, weil sie ein rechtsstaatliches Verfahren unter den gegebenen Umständen für unmöglich hielten.
Rechtlich ebenfalls fragwürdig ist auch der Einsatz der Bundeswehr, die mit Panzern, Hubschraubern und Tornado-Flugzeugen zur Stelle war. Ob dies noch der vom Grundgesetz gedeckten Amtshilfe entspricht, will die Bundestagsfraktion der Linkspartei klären lassen.
Vor dem Treffen der G8 setzten Politiker und Vertreter von Justiz und Polizei G8-Gegner mit Terroristen gleich, fand eine fadenscheinig begründete Razzia gegen linke Einrichtungen statt und wurde die Demonstration gegen den Asem-Gipfel in Hamburg faktisch verhindert. Am Montag voriger Woche wurden elf weitere Objekte in Norddeutschland durchsucht. Einen Zusammenhang zwischen solcher Politik und der Militanz der Demonstranten zu erkennen, gilt dennoch im Mainstream als Tabu, denn das hieße, dem so genannten Black Block politische Motive zuzugestehen.
Nachdem sich weitere polizeiliche Verlautbarungen als unwahr herausgestellt haben und die Deeskalationstrategie sich in großen Teilen als PR-Gag entpuppt hat, weicht die Polizei auf ein ebenfalls altbekanntes Mittel ihrer Öffentlichkeitsarbeit aus: Sie präsentiert sich als hilflose Beschützerin der Demokratie, die politisch im Stich gelassen wurde und trotz Personalmangels und schlechter Ausrüstung tut, was sie kann. Bild, Christiansen und Co. können ihr angesichts dessen den einen oder anderen Gesetzesverstoß im Eifer des Gefechts nicht übel nehmen.