100 Jahre Schalke 04

Schalke, Gott u.a.

Der FC Schalke 04 feiert seinen 100. Geburtstag. Aber der Mythos, der ihn umgibt, ist in Jahren nicht zu fassen.

Im letzten Jahr wurde im Internetportal Blutgraetsche.de Bemerkenswertes vermeldet: »Der Mythos Schalke ist tot!« Ort, Zeit und Umstände des Ablebens waren auch zu erfahren: »Begraben am 26. August 2003 um 22.14 Uhr. Bei der Übergabe des UI-Cups. Ein letzter, tödlicher Dolchstoß mitten in die Brust.« Geschehen war dies: Der FC Schalke 04 sicherte sich mit einem 0:0 zu Hause gegen den österreichischen Klub SV Pasching den ungeliebten UI-Cup. Die Schalker Fans pfiffen nach diesem, naja: Triumph, und der Berichterstatter der blutgraetsche resümierte: »Ich schäme mich heute, ein Schalker Fan zu sein.«

Welcher Mythos da beerdigt wurde, ließe sich vermutlich nur durch Exhumation herausfinden, der Mythos Schalke aber liegt dort garantiert nicht. Er lebt vielmehr in der angeblichen Scham des Berichterstatters. Nicht grundlos sind die Schalker die einzigen Fans in der Bundesliga, die einen Schmähgesang in die erste Person gesetzt haben: »Wir sind Schalker, asoziale Schalker, wir schlafen unter Brücken oder in der Bahnhofsmission!«

Schalke steht für die Hoffnung, irgendwann auch mal Glück zu erheischen. Und ebenso für die Gewissheit, dass das eh nie klappt, zumindest nicht unter hiesigen gesellschaftlichen Verhältnissen. Gegründet als wilder Verein von Arbeiterjugendlichen hatte sich Schalke zumindest Respekt erarbeitet. Ende der zwanziger Jahre war eine starke Mannschaft im Aufbau. Hier beginnt der Mythos Schalke, und es ist kein Siegermythos. Es gab im damaligen Fußball üblicherweise Handgeldzahlungen an die oft arbeitslosen Spieler. Der Fußballverband ermittelte, als einziger Verein wurde Schalke 04 bestraft. Im Urteil des Verbandes von 1930 heißt es: »Die Vereinsführer sind leider zum Teil ein Opfer der Spieler geworden.« Schalke 04 wurde vom Ligabetrieb ausgeschlossen. Georg Röwekamp vermutet in »Der Mythos lebt« (Werkstatt Verlag, Göttingen 2001), der »Ton des Urteils, in dem die Hauptschuld den Arbeiter-Spielern angelastet und der eher bürgerliche Vorstand so weit als möglich entlastet wird«, lege nahe, dass der bürgerliche DFB es dem »Proleten- und Polackenverein« einmal zeigen wollte.

Die Sperre endete 1931, und in der Folge entstand die Macht Schalke 04. Aber diese Macht war natürlich keine autonome. Sie war integriert in den bürgerlichen Sportbetrieb, ja, sie war ja stolz darauf, sich als Proletenklub den Respekt im deutschnationalen DFB erkämpft zu haben.

Auf diese Weise wurde Schalke 04 auch ein prägnanter Ausdruck der Integration der Arbeiterklasse in den Nazifaschismus. Die bislang größten Erfolge der Vereinsgeschichte fallen nicht zufällig in diese Jahre. Der Arbeiterklub als Deutscher Meister war nazikompatibel, und die bedeutenden Spieler profitierten von der »Arisierung«.

Dass die Nazijahre den Mythos Schalke mitbegründet hätten, lässt sich aber nicht sagen. Der Mythos Schalke war immer ein anderer, der der Verlierer, bei denen sich Erfolg nur dann einstellt, wenn sie instrumentalisiert werden. Wobei hinzugefügt werden muss, dass der Verein und seine Anhängerschaft gegen die Instrumentalisierung nicht nur nicht opponierten oder sie willenlos mit sich geschehen ließen, sondern sogar begrüßten.

Erst Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre entstand in Schalke wieder eine große Mannschaft mit Spielern wie Nigbur, Libuda, den Kremers-Zwillingen und Fischer. Schalke 04 wurde 1972 Vizemeister, war aber auch in den Bundesligaskandal verwickelt. Spiele wurden verschoben und einige Spieler leisteten sogar Meineide.

Die beste Schalker Mannschaft seit Jahrzehnten zerbrach am Bundesligskandal, statt der erhofften Meisterschaft gab es wieder das (in diesem Fall nicht gerade gut begründete) Gefühl, zurückgesetzt und im Vergleich zu anderen Akteuren des Skandals ungerecht behandelt worden zu sein.

Schalke wurde sportliches Mittelmaß, 1981 folgte der erste Abstieg der Vereinsgeschichte, Schalke wurde zur Fahrstuhlmannschaft, die 1983 und 1988 wieder in die Zweite Bundesliga musste.

Es war weltweit die große Krise des proletarischen Fußballs. Die Katastrophe von Hillsborough, bei der berittene Polizei 96 Fans des FC Liverpool zu Tode quetschte, zeigte, dass die bisherige Vergesellschaftung des Fußballs als polizeilich kontrollierte und eingeengte Form der proletarischen Öffentlichkeit an ihre Grenzen gestoßen war. Für den Fußball wurde ein neues Verwertungsmodell entwickelt. Führend in der Bundesliga war der FC Bayern München, der 1979 den 27jährigen Uli Hoeneß als jüngsten Manager der Bundesliga vorstellte, der wie kein anderer für die Modernisierung der Fußballindustrie stand und steht.

Mit modernem Management hatte man derweil in Schalke nichts im Sinn. Hier regierte Populismus, der besonders erfolgreich war, wenn er mit Geld daherkam. Günter Eichberg, der Sonnenkönig und Besitzer von Krampfaderkliniken, war genau der richtige für Schalke. Er verkörperte das Modell der proletarischen Demokratur, der Arbeiterverein verlangt nach einem stinkreichen Präsidenten.

Erst die Rückkehr von Rudi Assauer auf den Managerposten 1993 und das Scheitern Eichbergs 1994 markierten den Neubeginn, der 1997 immerhin zum Gewinn des Uefa-Cups führte. Das war der größte Erfolg der Vereinsgeschichte, aber auch das Jahr, in dem der Erzfeind Borussia Dortmund die Champions League gewann. Mithin wieder ein Grund, sich zurückgesetzt zu wähnen.

Die bislang letzte Demütigung erfolgte am 19. Mai 2001. Am letzten Spieltag der Saison wähnte sich Schalke für vier Minuten bereits als Deutscher Meister, das Feuerwerk wurde schon gezündet, doch ein Freistoßtor von Bayern München gegen den Hamburger SV zerstörte den Traum.

Schalke weinte.

»Ich glaube ab heute nicht mehr an den Fußballgott«, verkündete Rudi Assauer. »Der ist für mich gestorben – Ende, Feierabend!«

Wenn Gott tot ist, lebt zumindest Schalke, und weil Schalke in diesem hundertsten Jahr der Vereinsgeschichte ja gerade dabei ist die Teilnahme am Uefa-Cup zu verpassen, merkt man, dass der Mythos Schalke weiterlebt. Der Mythos des sympathischen Verlierers.