Widerstand ist möglich

In der Ausstellung »Get rid of yourself« in Leipzig und Weimar wird Kunst zum politischen Interventionsmedium. von susanne altmann

Werde ich jetzt depressiv? Stelle ich einen Ausreiseantrag? Begehe ich Selbstmord oder mache ich so weiter wie bisher?« Diese Fragen müssen sich Künstler stellen, wenn sie erkennen, dass sie in einem politisch restriktiven Staat leben. Zumindest ist das die Meinung von Kurator Frank Motz, der in den letzten Jahren einschneidende Veränderungen in den USA vor Ort verfolgte. Als Stipendiat am Whitney Museum und dann als Talentscout für die Whitney Biennale 2002 erlebte er in New York, wie sich die sanfte Schlinge aus Überwachung, Zensur und Kürzungen auch in der Kunstzene immer weiter zuzog – anfangs im Schatten des 11. September 2001, dann immer willkürlicher.

Als »gelernter DDR-Bürger« sieht der langjährige Leiter der ACC-Galerie Weimar in dieser Entwicklung deutliche Parallelen zur eigenen Vergangenheit in einem totalitären Staat und erinnert sich verschmitzt an Strategien, mit denen Kunstschaffende immer wieder das System austricksten. Nun fragte er US-amerikanische Künstler nach ihren Überlebensmethoden. Das Ergebnis seiner Recherche wird bis Oktober in der »Halle 14« in Leipzig und in der ACC Galerie Weimar gezeigt.

»Halle 14« liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Baumwollspinnerei und gehört zu einem Areal, in dem sich die Not der postindustriellen Verödung mittlerweile zur Tugend gewandelt hat. Zahlreiche Künstler haben die eindrucksvollen Klinkergebäude kolonisiert, Cafés sind entstanden und mit »B/2«, der ehemaligen Versandhalle des Betriebs und neuerdings mit »Halle 14« respektable Ausstellungsorte, die einen verhalten ruinösen Charme verbreiten. Bereits im Dezember 2002 hatte Frank Motz dort ein Symposium organisiert, das sich der sozialen Verantwortung von Architektur bzw. Kunst annahm und internationale Alternativen zum gesellschaftlichen Status quo vorstellte. Insofern kommt sein derzeitiges Projekt durchaus nicht überraschend.

Zehn Gruppierungen, vom Kurator auch als Kollektive bezeichnet, ordneten bis Ende August ihre Arbeiten im Kernbereich der großen Halle an, dort, wo sich einst die Sozialräume und die gewaltige Befeuchtungsanlage für die Garnproduktion befanden. Hier werden selbst im ehemaligen Frauenwasch- und Umkleideraum Installationen vorgestellt, wie etwa die Adaption einer bei e-bay ersteigerten Wüstenparzelle in Utah von der Gruppe »e-team«.

Während der fünfwöchigen, öffentlichen Produktionszeit reisten die KünstlerInnen in mehreren Phasen an. Durch eine Laborsituation wollte Motz die Neugier des Publikums wecken. So bot beispielsweise Bill Brown von den NYC Surveillance Camera Players in Leipzig eine öffentliche Führung zu Überwachungskameras an und entdeckte im Zentrum Leipzigs immerhin 73 Stück davon. Brown und seine Mitstreiter sehen sich eher als Sozialarbeiter und Aufklärer in Sachen Überwachung und fühlen sich in einer ausgesprochenen Kunstsituation unbehaglich. In ihrer Heimatstadt kommunizieren sie per Spruchband mit der anonymen Macht hinter den allgegenwärtigen Linsen und führten bereits, zur Verwirrung des Personals, vor den Monitoren Orwells »1984« als mobiles Theaterstück auf.

Eine Dienstleistung mit gesellschaftskritischem Ansatz bietet auch Michael Rakowitz: Er baut Zelte für Obdachlose. Die phantasievollen Einzelstücke schweißt er aus Zellophantüten zusammen und versieht sie mit Schläuchen, die sich wie Tentakel an die Heizungsauslässe von Privathäusern andocken lassen. Dadurch werden die bewohnbaren Schläuche aufgeblasen und beheizt. Im sichtbaren Kontakt der »Underdogs« mit dem bürgerlichen Wohlstand liegt eine Symbolkraft, die sowohl die Folgen der drastischen Giuliani-Säuberungen in New York als auch der zunehmend reduzierten Sozialprogramme unter der Bush-Administration anmahnt.

Eine virtuelle Offerte erdachten sich Anne-Marie Schleiner und ihre Nerds. Als eine Art cyberfeministische Hackerin klinkt Schleiner sich in das populäre Internetgame »Counter Strike« ein. Sie plündert ältere Versionen des Spiels und ergänzt damit den Fundus jener Requisiten, mit denen die Spieler ihre digitalen Kampfplätze ausstatten. Allerdings brüskiert sie die jugendlichen und meist männlichen Krieger mit Slogans wie »Du bist Opfer eines Kriegsspiels!« Diese Gegenbotschaften, die unter dem Titel »Velvet Strike« laufen, brachten ihr bereits entsprechende Hassmails aus der »Counter Strike«-Gemeinde ein.

Auch die Künstlergruppe »Temporary Services« erfüllt selbst gestellte Aufgaben zwischen sozialer Mission und absurder Performance. Unter ihren zahlreichen Aktionen gibt es mit dem »Binder Archive« eine mobile Galerie mit neun skurrilen, meist kunstfernen Spezialsammlungen und den Nachbauten von »Häftlingserfindungen« (»Prisoners Inventions«). Nach Beschreibungen des Gefängnisinsassen Angelo entstanden bizarre Geräte wie Tauchsieder aus Rasierklingen, Würfelspiele aus Pappmaché oder das »Muff Bag«, ein anthropomorphes Sexspielzeug aus wassergefüllten Plastiktaschen und Filzdecken. Diese Erfindungen dokumentieren Selbsthilfe unter Extrembedingungen.

Mit den Zuständen am äußersten Rand der Zivilgesellschaft beschäftigt sich auch »The 360degrees Team«. Ihren Namen leiten die Aktivisten, die sich im bürgerlichen Beruf als Webdesigner »Picture Project« ihr Brot verdienen, von dem Radius ihrer Forschungen ab. Auf der gleichnamigen Website porträtieren sie Strafgefangene aus Sicht von deren unmittelbarer Umgebung und lassen in Videostreams Opfer, Gefängnispersonal und Angehörige zu Wort kommen. In sieben Fallstudien und mit einer Dokumentation über das US-amerikanische Strafsystem gehen sie der in den letzten Jahren erblühten Gefängnisindustrie auf den Grund. Mittlerweile wird die Website www.360degrees.org an amerikanischen Universitäten als seriöses Studienobjekt verwendet.

Die wöchentlichen Gesprächskreise des Künstlerzirkels »16 Beaver Group« in Lower Manhattan sind inzwischen zu einer Legende geworden. In Leipzig versuchte man, diese mit einheimischen Aktivisten aus der freien Kunstszene und der hiesigen Kunsthochschule zu wiederholen. Mit derlei kommunikativen Lockerungsübungen versucht man, der Text- und Kopflastigkeit der Ausstellung zu entgegnen. Denn auf jeden Fall heißt für jede der zehn Gruppierungen die Alternative zu gesellschaftlichen Härten Engagement durch und mit Kunst. Individueller Rückzug aus der Misere, ob durch Selbstmord, Ausreise oder Eremitendasein, steht nicht zur Debatte.

»Get rid of yourself«, bis 18. Oktober in Leipzig/Plagwitz, Halle 14. Bis 12. Oktober in Weimar, ACC Galerie