Nicht weit von Afrika

Auf der sizilianischen Insel Lampedusa wird gegen den geplanten Bau eines Abschiebelagers protestiert. Doch nicht aus humanitären Motiven. von angela huemer

Flüchtlinge, die einen Ausreisebescheid erhalten, landen in den meisten europäischen Ländern sofort in Abschiebelagern. In Italien sind das seit 1998 die so genannten Centri di permanenza temporanea (CPT), so genannte »temporäre Aufenthaltszentren«. Theoretisch sollen Flüchtlinge, die abgeschoben werden sollen, bis zu 60 Tagen in solchen Zentren bleiben, in dieser Zeit wird ihre Rückkehr organisiert.

Neben 17 CPTs gibt es in Italien weitere 23 Aufnahme-, Transit- und Asylbewerberheime. Ein italienisches Spezifikum ist, dass sich die Funktion dieser Zentren je nach Notwendigkeiten wandelt. Die Kategorien verschwimmen zusehends, so wird aus einem Aufnahmezentrum schon mal ein Abschiebegefängnis. Der umgekehrte Fall tritt allerdings so gut wie nie ein.

In den vergangenen Wochen hat eine Gruppe des italienischen Sozialforums eines dieser Zentren am Südrand Italiens, auf der Insel Lampedusa, unter die Lupe genommen. In der letzten Augustwoche sollten nun auf Lampedusa, wo bereits ein CPT vorhanden ist, die Arbeiten für ein neues Abschiebelager beginnen. Laut Aussage des Innenministeriums ist das aufgrund der Notsituation, die auf der Insel wegen der vielen ankommenden Flüchtlinge herrsche, erforderlich geworden. Die kleine, viel näher an Afrika als an Sizilien liegende Insel, hat in den vergangenen Jahren traurige Berühmtheit als Ziel von Flüchtlingsschiffen erlangt und wurde in den Sommermonaten fast täglich von »Schiffen der Hoffnung«, wie sie von den italienischen Medien genannt werden, angesteuert. Sobald die Flüchtlinge das Festland erreichen, werden sie in einer Anlage neben dem Flughafen »erstversorgt« und dann weitertransportiert. Die Bevölkerung dieser kleinen Insel, deren wichtigste wirtschaftliche Ressource der Tourismus ist, hat sich eindeutig gegen den Bau eines neuen Abschiebelagers ausgesprochen. Allerdings meist weniger aus humanitären Gründen oder antirassistischem Engagement, sondern vielmehr aus Angst, »ihre« Insel werde in den Medien nur noch im Zusammenhang mit der Ankunft von Migrantenbooten erwähnt und sei daher nicht mehr so attraktiv für die reichen Touristen aus dem Norden.

Das neue CPT in Lampedusa soll mit einer geplanten Kapazität für 400 bis 500 Insassen eines der größten in Italien werden.

Mit einem Sit-in versuchten Ende August mehrere Einwohner, den Baubeginn zu verhindern. Mit Erfolg, denn der Bauleiter weigerte sich, mit Gewalt gegen die Demonstranten vorzugehen. Am folgenden Tag weitete sich eine am Vortag per Megaphon angekündigte Demonstration für Lampedusanische Verhältnisse zur Großkundgebung aus. Fast 1 000 Inselbewohner schlossen sich dem Demonstrationszug an, der vor der Stadtverwaltung endete.

Der Bürgermeister, Mitglied von Berlusconis Partei Forza Italia, scheint mit seiner Befürwortung des Abschiebelagers ziemlich alleine dazustehen. Auch aus anderen Gründen ist der Bau umstritten. Das vorgesehene Terrain ist einer der wenigen fruchtbaren Landstriche der Insel, auch archäologische Fundstücke werden vermutet. Inzwischen hat auch die für Lampedusa zuständige Denkmalbehörde gegen den Bau Einspruch erhoben. Der Gemeinderat stimmte ebenfalls dagegen, doch das Innenministerium will den Bau vorantreiben.

Das neue italienische Einwanderungsgesetz hat die Errichtung von CPTs wesentlich erleichtert, das Ministerium braucht auf örtlichen Widerstand nicht allzu viel Rücksicht zu nehmen.

Die Gegner des Neubaus meinen, das bestehende Zentrum, geleitet vom Wohlfahrtsverband »Misericordia« neben dem Flughafen der Insel, sei unzulänglich. Es hat eine maximale Kapazität für 190 Personen, doch oft ist es überbelegt. Geboren aus der Notwendigkeit, die ankommenden Flüchtlinge unterzubringen, wird es immer mehr zum Ort, in dem Flüchtlinge gefängnisartig verwahrt werden, ohne dass ihre Rechte garantiert werden. Besuche sind in diesen Lager meist nur in Begleitung eines Abgeordneten erlaubt. Eine Delegation des Sozialforums, die das Lager Anfang August gemeinsam mit der kommunistischen Abgeordneten Elettra Deiana besuchte, traf 14 Liberianer an, die bereits seit drei Wochen in dem gefängnisähnlichen Bau waren, ohne die Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Claudio Scalia, der für die »Misericordia« das Zentrum leitet, untersagte der Delegation jegliche Kommunikation mit den Insassen. Informationsblätter, die ihm zufolge die Insassen über ihre Rechte aufklären, listen lediglich deren Pflichten auf. Anstatt jedoch ein neues Gebäude in einem abgelegeneren und leichter zu schützenden Gelände zu bauen, sollten die bestehenden Kapazitäten genutzt und verbessert werden, um den Flüchtlingen ein würdiges Willkommen zu bereiten. Ein neues Lager birgt die große Gefahr, Lampedusa zum Abschiebevorhof Europas zu machen.

Auf der Insel fehlen überdies ausreichende medizinische Einrichtungen, erst vor wenigen Tagen starb erneut ein Flüchtling kurz nach seiner Ankunft an Herzinfarkt.

Wie sehr die Emotionen der Inselbewohner bereits angeheizt sind, zeigte sich Anfang August bei einer Mahnwache, die mehrere Aktivisten vom Migrantentisch des Sozialforums für die vielen Flüchtlinge, die nie ihr Ziel erreichen, veranstalteten. Am Rande des Dorfplatzes betrachteten Urlauber und Bewohner der Insel Fotos vom letzten Sommer, als fast täglich Holzkähne voll mit Flüchtlingen die Insel erreichten. Gemeinsam mit einigen Kindern formten die Aktivisten ein Mosaik, das den Fluchtweg symbolisieren sollte. Ein Band, mit Namen und Schicksalen verstorbener Flüchtlinge versehen, wurde aufmerksam gelesen. Einige von ihnen sind hier begraben. Es sind Gräber ohne Namen, nur Datum und Ort des Begräbnisses sind zu lesen.

»Bleibt besser zuhause und kümmert euch dort um eure Probleme«, schrie plötzlich mit großer Geste eine Insulanerin. Wortgefechte folgten, die Gesten wurden bedrohlicher, eine Hand voll Inselbewohner wurde gewalttätig. Die Aktivisten des Sozialforums zogen sich zurück. »Wenn es unser Ziel war, eine Reaktion zu provozieren, so haben wir das wohl erreicht, es wäre nur schön, wenn sich all das auf zivile Weise austragen ließe«, sagte Alessandro aus Turin. Wenig später wurde er von aufgebrachten Insulanern aus dem Auto gezerrt. Als er es endlich schaffte loszufahren, zertrümmerte der für den Tourismus Verantwortliche der Insel das Seitenfenster des Autos.

Zu den aufgebrachten Insulanern gesellten sich auch einige Mitglieder der rechtspopulistischen, separatistischen Partei Lega Nord, die hier Urlaub machen. Hier ist man sich einig.