Zwischen allen Sternen

Den von der serbischen Regierung angepriesenen Beitritt zur EU empfinden viele Bürger zunehmend als Bedrohung. von boris kanzleiter, belgrad

Mile gegen die Transition«: So heißt eine neue Seifenoper, die Ende des Monats im Fernsehprogramm des Belgrader Senders B92 anlaufen wird. Im Ankündigungstrailer läuft die Hauptfigur Mile vor dem blauen Sternenbanner der Europäischen Union durch das Bild und macht dabei einen reichlich abgehetzten Eindruck. Kein Wunder: Die Fernsehserie wird die aktuellen Alltagsprobleme der Serben zum Gegenstand haben. B92 beweist damit wieder einmal einen Riecher für den Zeitgeist. Als Opposition zur Regierung Slobodan Milosevics gegründet, wurde der Sender jahrelang mit Demokratiepreisen aus dem Westen belobigt. Jetzt schalten die Programmmacher auf Kritik an den neuen Machthabern um – ganz so wie die meisten Bürger in der abgewrackten Balkanrepublik.

Seit im Frühjahr der Premierminister Zoran Djindjic ermordet wurde, ist in Serbien die Krise chronisch geworden. Der wenig glanzvolle Nachfolger Djindjics, Zoran Zivkovic, ein ehemaliger Polizist mit der Ausstrahlung einer ausgefallenen Ampel, versucht mit Mühe, die auseinander fallende Regierungskoalition zu erhalten. Dabei stolpert er von einer Katastrophe in die nächste. Korruptionsskandale wechseln sich mit Hiobsbotschaften von terroristischen Übergriffen auf die serbische Minderheit im Kosovo ab und werden zur Abwechslung durch Berichte von Menschenrechtsorganisationen über systematische Folter in den Gefängnissen unterbrochen. Am schlimmsten ist allerdings die desolate wirtschaftliche Lage. Vergangene Woche gab die Statistikbehörde bekannt, dass sich im Vergleich zum Vorjahr die Arbeitslosenquote von 16 auf 30 Prozent fast verdoppelt habe. Das schließt indes die inoffizielle Arbeitslosigkeit noch nicht mit ein. Und diese ist ebenfalls erheblich, weil viele Betriebe ihrer Belegschaft nicht kündigen, obwohl sie die Produktion weitgehend eingestellt haben.

Wie im Trailer der neuen Fernsehserie weht im Hintergrund des Krisenszenarios überall die Fahne der Europäischen Union. Während Zivkovic und seine Demokratische Partei (DS) mit ihrer verbliebenen Gefolgschaft die schnelle Integration in die Union – als Datum wird 2007 genannt – als Allheilmittel für eine funktionierende Wirtschaft, politische Stabilität und selbst den Kosovo-Konflikt anpreisen, gelten die gelben Sterne immer mehr Serben als Bedrohung. Denn nicht wenige Schritte in Richtung Brüssel vergrößern in Belgrad unmittelbar die Probleme.

Nicht nur die rapide steigende Arbeitslosigkeit ist eine direkte Folge der Privatisierungspolitik, die von der EU als Vorbedingung für ein Assoziationsabkommen gefordert wird, das in den kommenden Monaten unter Dach und Fach gebracht werden soll. Auch auf andere Weise scheint die bereits eingeleitete EU-Ost-Erweiterung neue Probleme erst zu schaffen.

So wird die Aufnahme Ungarns im Frühjahr nächsten Jahres für die Serben zunächst bedeuten, dass sie ab November ein Visum für den bis heute ungehinderten Grenzübertritt in das Nachbarland beantragen müssen. Für den Schwarzhandel, einen der wenigen wirklich florierenden Wirtschaftszweige, wird die von der EU geforderte Verschärfung des Grenzregimes an der neuen Außengrenze eine erhebliche Einschränkung bedeuten. Die Existenzgrundlage Tausender Menschen ist gefährdet. Abgesehen davon fällt eines der wenigen Reiseziele weg, das man als Besitzer eines serbischen Passes ansteuern kann, ohne morgens ab vier Uhr stundenlang vor Botschaften in Belgrad für ein Touristenvisum anzustehen.

Andererseits ist es die Doppelzüngigkeit der Regierenden, welche viele Bürger in Rage bringt. So predigen Zivkovic und die in regelmäßigen Abständen einfliegenden EU-Bürokraten, dass Schwarzhandel und Korruption endlich beendet werden müssten, um Serbien europatauglich zu machen. Zum Beweis für ihre Ernsthaftigkeit ließ die Regierung kürzlich zahlreiche Stände meist jugendlicher fliegender Händler abräumen, die schwarz gebrannte CDs in Belgrads Innenstadt feilbieten.

Gleichzeitig drücken die Institutionen aber alle Augen zu, wenn es um einen der ihren geht, der sich illegal bereichert. So konnte der »Bisnismen« Miodrag Kostic monatelang von der EU subventionierten Zucker nach Serbien importieren, dort in neue Tüten mit einheimischer Aufschrift verpacken und dann zu höheren Preisen wieder exportieren. Kostic machte dabei sieben Millionen Euro Gewinn. Die Ermittlungen gegen ihn verlaufen im Sand. Der Import-Export-Spezialist ist einer der Hauptfinanziers der regierenden DS.

Wer über dergleichen Bereicherungstaktiken stöhnt, muss sich zu allem Überfluss von Premier Zivkovic anhören, er sei nicht auf der Höhe der Zeit. Bei einem Gespräch mit Investoren meinte der Premier vergangene Woche in aller Öffentlichkeit, es sei »schwierig«, den Bürgern klarzumachen, »dass wir jetzt im Kapitalismus leben«. Das wollten nämlich viele nicht einsehen, weil nach wie vor das »Stereotyp« existiere, der Kapitalismus sei etwas, »gegen das man kämpfen sollte«. Vor allem der älteren Generation sei schwer klarzumachen, dass es jetzt eben »extrem Reiche« gebe, für die »der größte Teil des Restes arbeitet«. Wer auf diese Art PR betreibt, muss sich über fallende Umfragewerte nicht wundern.

Das gilt auch für die USA, den globalen Widersacher des »alten Europas«, mit dem die EU neuerdings identifiziert wird. Gilt in Serbiens Nachbarländern der »American Dream« vom Aufstieg aus Not und Elend zu glänzendem Reichtum noch als Utopie im Kontrast zum nahe gelegenen Tal der Tränen, durch das der Weg in die EU führt, gilt dies für Serbien nicht. Während in Rumänien, Bulgarien oder Albanien selbst zweitrangige Unterhändler der USA stürmisch begrüßt werden, wenn sie zu einer Stippvisite einfliegen, werden die USA in Serbien als Hauptaggressor des Nato-Angriffs auf das Land verantwortlich gemacht, bei dem vor vier Jahren die Industrien abgefackelt wurden, die nicht ohnehin schon brachlagen. Auch der aktuelle »Krieg gegen den Terrorismus« und insbesondere der Sturz Saddam Husseins stoßen auf wenig Verständnis. Einer Gallup-Umfrage zufolge sehen 73,7 Prozent der Serben die USA in einem »negativen Licht«.

Allerdings zeigen sich im Verhältnis zu den USA Symptome einer merkwürdigen Schizophrenie. Denn derselben Umfrage nach sind mehr als die Hälfte der Serben für einen Eintritt in die Nato, obwohl diese als von den USA dominiert betrachtet wird. Genauso wie die Aufnahme in die EU trotz allem Unbehagen letztlich als notwendig erachtet wird, um nicht eines Tages mit Moldawien, Albanien und Weißrussland als Paria vor den Türen des alten Kontinents stehen zu bleiben, wird auch eine Kooperation mit der ungeliebten einzigen Weltmacht USA für unabdingbar erachtet. Nur so könnten die Interessen Serbiens im Kosovo gewahrt werden, erklärte Vizepremier Nebojsa Covic den scheinbaren Widerspruch. Außerdem ist Serbien nicht nur von Finanzhilfen aus Europa, sondern auch aus den USA abhängig.