Notizen aus Damaskus (Teil I)

In der Omayyaden Moschee in Damaskus, Bild: Thomas von der Osten-Sacken
Vor fast genau vierzehn Jahren erblickte dieses Blog in einem Hotel in Tunis, wenige Tage nach dem Sturz des Präsidenten Ben Ali das Licht der Welt. In Erinnerung an unsere damals gemeinsam verfassten Beiträge kommt heute der erste Bericht aus dem von Assads Diktatur befreiten Damaskus.
Montag, 13. Januar: Auf der Fahrt vom Airport in Beirut säumen reichlich Plakate mit dem Porträt Nasrallahs, des Anführers der schiitischen Miliz und Partei Hizbollah, den Weg. In der Innenstadt hängen bereits Porträts von Joseph Aoun. Er ist vor einigen Tagen als neuer Präsident inauguriert worden, ein Posten, der in dem konfessionellen Proporzsystem des Libanon einem maronitischen Christen vorbehalten ist; der von der Hizbollah bevorzugte Kandidat ist es nicht. Nach zwei Jahren mal wieder ein Präsident, und alle Achtung, in wenigen Tagen schon überall Plakate von ihm! Das ist nicht die generell übliche Geschwindigkeit im Libanon, wo eine gewisse Dysfunktionalität der politischen Sphäre vorherrscht. Gerade wurde zudem ein neuer Premierminister (Sunnit) designiert. Das Wasser aus dem Hahn ist gewöhnungsbedürftig; sind die Entsalzungsanlagen in Beirut kaputt? Selbst zum Zähneputzen ist Wasser aus der Flasche empfehlenswert.
Assad nur noch auf Banknoten
Dienstag, 14. Januar: Ein Taxi holt uns um 7 Uhr ab, eine spanische Kollegin steigt mit ihrem katalanischen Kollegen zu, auf geht’s zur Grenze nach Syrien. Dort aussteigen, Gepäck schnappen, die libanesischen Grenzwächter verpassen einem den Ausreisestempel in den Pass. Fliegender Wechsel zu einem anderen Taxi incl. neuem Fahrer, beides syrischer Provenienz. Rein in das syrische Grenzinstitution, die gerade rundumerneuert wird: neue Hinweisschilder, neuer Anstrich für die Wände. Viele einreisewillige Syrer stehen bereits Schlange, zudem einige NGOs: eine norwegische Hilfsorganisation, eine dänische mit einem tunesischen Fixer. Neue kommen regelmäßig dazu. „Schönen Tag auch“, ruft uns eine junge Frau in beigefarbenen Kapuzenpulli und Jeans auf Deutsch zu; sie hat ihren Stempel bekommen. „Schönen Tag auch“, ist unser Echo.

(Bild: An der Grenze; für viele das erste Mal seit Jahrzehnten, dass sie wieder nach Syrien einreisen können)
Drei Tage zuvor hatten wir das syrische Social Media Center kontaktiert und ein seitenlanges Formular ausgefüllt, um eine Einreisegenehmigung zu erhalten, dann dieselbe Prozedur mit dem gerade neu eingerichteten Syrian Arab Republic Ministry of Information vollführt. Kleines Problem: Wir bekamen keine schriftliche Genehmigung, nur ein schmallippiges „Ok“ auf Whatsapp. Großes stundenlanges Hin- und Her, unser Fahrer interveniert, vergebliche Anrufversuche im Ministerium, schließlich bekommen wir alle einen Visumstempel auf einem Einreiseformular. Hurra, große Erleichterung. Weiter geht’s.
Am Straßenrand parken Autos, daneben knallgrüne Fünfliterplastikflaschen; da kann man Sprit kaufen. Der Taxifahrer dreht den Sound auf: Die Revolutionsdabke aus Hooms von 2011, das Lied, das damals alle sangen, als die Proteste noch friedlich waren: "Wenn ich das Lied vor zwei Monaten gehört hätte, hätte der Mukhabarat (der syrische Geheimdienst) mich sofort erschossen". Keine Checkpoints, fast keine Militärpräsenz auf der Fahrt nach Damaskus – was ist hier los? Erst am Stadteingang der erste Checpoint, bemannt von zwei bärtigen Milizionären, die statt grimmig zu gucken uns mit "Welcome to Syria" begrüßen. Wer von Beirut kommt, denkt man fahre in eine normale Stadt, denn anders als im Norden und Osten sind hier die Vororte nicht völlig zerstört worden.

(Bild: In der Haupbazarstraße von Damaskus)
Unser schnuckliges kleines Hotel liegt in der Altstadt von Damaskus, an der Grenze des christlichen Viertels. An jeder Ecke steht dort eine Kirche oder Kathedrale, aramäisch, orthodox, alles, was das christliche Herz begehrt. Durch die Altstadt führt die Via Recta, auf der Saulus sein Damaskus-Erlebnis hatte, worauf er zu Paulus mutierte. Mitten im Viertel macht sich die Omayyaden-Moschee breit. In ihrem ausgedehnten Innenhof finden sich Revolutionstouristen aller Art ein. Eine Frau posiert für Fotos und schwenkt die Revolutionsflagge, eine mit der Aufschrift „Freedom“.
(Bild: In der Altsadt von Damaskus)
Ein halbes Dutzend eher bärtiger Jungs schießt vor einem großen Gebäude mit beeindruckenden Mosaiken Pics von ihrer Gruppe, einer hat eine Kalaschnikow dabei. Im nahegelegenen Soukh, einem der größten der Region, hängt die Revolutionsflagge quer über dem Gewimmel der Einkaufslustigen. Auf den Straßen sieht man hin und wieder Grüppchen Bärtiger, manchmal mit Kalaschnikows, hin und wieder trägt einer eine Sturmmaske; das sind die neuen Ordnungshüter. Zerstört ist nichts in der Innenstadt, der Verkehr staut sich wie immer, die Leute gehen arbeiten. Militärposten sieht man nur sporadisch, Cops ebensowenig.
(Bild: Jihadist lässt sich vor Omayyaden-Moschee photographieren)
Abends gehen wir futtern in Leila’s Café. Es besteht aus einem einzigen Raum - einem hohen Gewölbe mit Treppenaufgang; unten spielen zwei Typen Backgammon, neben ihnen reckt sich ein 15 Meter hoher Baum in die Höhe, geschmückt mit einer Lichterkette. An den Wänden hängen moderne Bilder. Das Bezahlen der Rechnung gestaltet sich aufwendig, das Geld zu zählen dauert fast so lang wie das Futtern. Für einen Dollar bekommt man an diesem Tag 14 000 syrische Pfund, zwei Tage später sind es noch 12 000; man schleppt die ganze Zeit dicke Geldbündel mit sich herum, die kaum etwas wert sind. Es sind die letzten Geldscheine mit dem Konterfei von Bashar al-Assad.

(Bild: Überall verkaufen fliegende Händler die Fahnen des neuen Syriens)
Minibus und NGO
Mittwoch, 15. Januar: Wegen Bürokratenkram geht’s zum Informationsministerium. Da treffen wir unsere spanischen Freunde; sie seien schon anderthalb Stunden da, erzählen sie. Irgendein Problem mit dem Drucker. Nach einer Stunde kommt ihr Fixer und hakt bei den Verantwortlichen nach. Hoppla, Drucker komplett down. Aber ein neuer wird gerade aus Aleppo hergebracht, heißt es. Das dürfte höchstens sechs Stunden dauern. Doch die Institution schließt um 15 Uhr. Tschüss, bis zum nächsten Mal.
Wir sind in einer Patisserie nahe der Hijaz Station, des ehemaligen Bahnhofs, mit Leuten von einer syrischen Hilfsorganisation verabredet. Dahin fahren wir mit einem Minibus, ein gebräuchliches Fortbewegungsmittel für die weniger Betuchten. An unserem Gefährt hätte der TÜV seine wahre Freude: eine gut 20 Jahre alte Rostlaube mit krachendem Getriebe, ein Wunder, dass sie überhaupt noch fährt, Hauptsache, die Hupe funktioniert. Aber wir sind zehn Passagiere, die neben einem Fahrer locker reinpassen. Nach einer Viertelstunde Fahrt landen wir hoffnungslos im Stau. Raus aus der Mühle, der Rest geht zu Fuß. Raus an die frische Luft a.k.a. Smog an der vierspurigen Straße, das Flüsschen neben ihr hat auch schon ökologisch bessere Zeiten gesehen.
(Bild: Verkauf von Revolutionsdevotionalien)
Am Bahnhofsgebäude prangt riesengroß die Revolutionsflagge, im Innern ist eine Art Ausstellung, unter anderem mit einer historischen Telefonapparatur zum Stöpseln; auf der Strecke war schon Lawrence von Arabien unterwegs. Nur Züge fahren nicht mehr, wo Gleise waren, ist eine große Grube ausgehoben. Vor dem Bahnhof lässt sich eine uralte, kleine Dampflok bewundern. Aber in der Patisserie, die wir finden, sind die Leute von der Hilfsorganisation nicht. Telefonieren geht nicht, Simsen auch nicht, kein Netz für gar nix.
Die, mit denen wir verabredet sind, treffen wir zwei Stunden später im Café Rawda, einem alten Treffpunkt Oppositioneller. Ein großer Vorraum, dann ein Riesenraum mit mindestens 50 Tischen, Bilder an den Wänden. Am Nebentisch raucht ein junge Frau mit Kopftuch Shisha wie eine Weltmeisterin, die Luft ist eh schon zum Schneiden, weil fast niemand keine Fluppe zwischen den Zähnen hat, neben ihr spielen zwei junge Frauen und zwei Typen Karten.
(Bild: Im Café Rawda)
Aah, endlich, da kommen sie! Fünf junge Männer in weißen NGO-Westen, einer ohne. Kurze Vorstellungsrunde, dann etwas Diskussion. Assad weg – sehr gut! Im Krankenhaus, an dessen Wiederaufbau sie als NGO beteiligt sind, funktionieren die Dialysemaschinen nicht mehr und müssen repariert werden. Dann laden sie uns netterweise zum Essen ein. Lecker Hühnchen in allen Formen, knusprig, gegrillt, in Stücken à la KFC, dazu Fritten, eingelegte Gürkchen und anderer Kram, Knoblauchsoße, Hummus, Fladenbrot, Salat.
Super, sie wollen uns zurück ins Hotel bringen. Ihre Autos sind um die Ecke geparkt. Ooops, neben einem steht ein Wagen in der zweiten Reihe, keine Chance, auszuparken. Die Jungs schwirren in alle Himmelsrichtungen aus. Nach einer halben Stunde kommt der Besitzer des Wagens angeschlappt und lässt uns raus aus der Falle. Kein Gepöbel, keine Schreierei, kein Rumgepampe – so was kommt halt mal vor, never mind.
(Bild: Buchhandlung im Souk)

(Bild: In der Altsadt von Damaskus)